Viele Manager und Mitarbeiter bewegen sich immer noch in Systemen, die von ihren Mitgliedern permanent mehr Leistung und Effizienz einfordern. Auch Mindfulness-Angebote haben oft dieses Ziel. Personalmanager müssen gegensteuern und endlich an den festgefahrenen Systemen rütteln.
Montags Hartha-Yoga, dienstags Feldenkrais, mittwochs Tai Chi und autogenes Training: Was klingt wie das Sportangebot des Vier-Sterne-Hotels im Mallorca-Urlaub, nennt sich Mindfulness und ist in Wirklichkeit der neueste Trend in Managerkreisen. Die Mittagspausen in Konzernen werden zunehmend von der Kantine in die Sporthalle verlegt. Gestresste Führungskräfte und Mitarbeiter sollen mit Hilfe von Achtsamkeit ihre Zufriedenheit am Arbeitsplatz steigern. Das beabsichtigte Ziel: Die Steigerung der Leistungsfähigkeit, mehr Effizienz. Und hier liegt der Fehler. Nicht der Einzelne sollte für das System mehr leisten, sondern das System dem Einzelnen dienen.
Mindfulness – ein Wolf im Schafspelz
Aufgezwungene Achtsamkeit entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als paradox. Dinge, die entspannen und einen Ausgleich zur Arbeitswelt schaffen sollen, werden zur puren Effizienzsteigerung instrumentalisiert. Dabei ist genau diese permanente Effizienzsteigerung auf den Schultern des Individuums die Ursache für ausgebrannte Arbeitskräfte. Anstatt aus diesem Kreislauf auszubrechen, raten Konzernverantwortliche ihren Angestellten zur Selbstoptimierung. Sie bekämpfen Feuer mit Feuer und schaffen eine perfide Methode, aus Managern noch mehr herauszupressen.
Ein krankes System heilen
Nicht das Individuum muss optimiert werden, sondern das System. Das Problem liegt darin, dass unser Arbeitsalltag standardisiert und ritualisiert ist. Hypnotisiert vom ständigen Läuten des Telefons, schleppen wir uns von Termin zu Termin und checken zwischen Tür und Angel unsere E-Mails. Zeitgleich stapeln sich die Aufgaben des Tagesgeschäfts auf dem Schreibtisch immer höher. Da mag eine Runde Yoga zwar dazu beitragen, die sich anhäufenden To-Dos gelassener zu sehen. Doch das eigentliche Problem ist nicht gelöst: Mit dem eingefahrenen Arbeitsrhythmus der Vergangenheit werden wir die Zukunft nicht bewältigen können, da neue Kommunikationsformen und Geschäftsmodelle der Digitalisierung zum Umdenken zwingen.
Die Schlüsselrolle der Personalleiter
Vorstände und Geschäftsführer brauchen einen Denkanstoß – hier kommen HR-Manager ins Spiel. Sie sind diejenigen, die den Mitarbeiterverschleiß auffangen müssen, gleichzeitig haben sie aber auch die Möglichkeit, den Burnout bereits an der Ursache zu bekämpfen.
Als Schnittstelle zwischen Unternehmensbedarf und Mitarbeiterbedürfnis sowie aufgrund ihrer Verantwortung in den Bereichen Personalpolitik und -entwicklung können HR-Entscheider großen Einfluss auf die Unternehmensphilosophie nehmen. Moderne Arbeitszeitmodelle implementieren, vertikale Hierarchiestrukturen hinterfragen und die Belegschaft dazu ermutigen, eigenverantwortlich erfolgreich zu sein – um den Büroalltag gesünder zu gestalten, muss an festgefahrenen Systemen gerüttelt werden.
In den meisten Unternehmen werden Anweisungen immer noch starr von oben nach unten durchgesetzt. Die Chefetage ist weit weg vom Tagesgeschäft und trifft in Meetings kollektive Entscheidungen, ohne dabei zu wissen was „unten“ passiert. Oben Ahnungs- und unten das Gefühl von Machtlosigkeit. Da hilft auch kein tief durchgeatmetes „Om“ mehr, um das zu kitten. Es ist vielmehr Aufgabe der HR, dass beide Seiten wieder zusammenfinden. Gute Ideen von Mitarbeitern finden zu selten Gehör, weil sie gar nicht bis nach oben gelangen. Dieser Frust wiederum führt zu Stress und unnötiger Belastung des Einzelnen. Transparente Gehaltsgefüge, Mitbestimmung bei wesentlichen Entscheidungen, Mitsprache bei Personalangelegenheiten sowie zeitgemäße Arbeitszeitmodelle sind notwendiger denn je.
Vorreiter aus dem Norden
Im schwedischen Göteborg haben vier Unternehmen den Sechs-Stunden-Tag eingeführt: Das Pflegeheim Svartedalens, die Sahlgrenska-Universitätsklinik, das Toyota-Werk und das Tech-Startup Brath. In allen Unternehmen hat sich die Produktivität verbessert. Das liegt laut den Mitarbeitern daran, dass sie viel aufmerksamer sind. Waren sie früher ständig erschöpft, so haben sie nun mehr Energie für ihre Arbeit – und auch für ihre Familien. Letzteres steigert die Zufriedenheit wesentlich und wirkt sich so positiv auf das Betriebsklima aus.
Die Hamburger Online-Agentur Elbdudler geht noch einen Schritt weiter. Sie hat ihre Organisation radikal auf ein unautoritäres System umgestellt. Die Gehälter können die Angestellten selbst festlegen – in einem transparenten Entscheidungsprozess. Sie bestimmen auch ihre Arbeitszeiten und entscheiden, welche Möbel sie nutzen. Entscheidungen werden per Mehrheitsbeschluss getroffen. Deshalb haben die Mitarbeiter auch konkrete Einblicke in die Geschäftszahlen und müssen strategische Überlegungen anstellen, wie der Jahresgewinn investiert wird. Das Modell funktioniert nämlich nur, wenn alle darüber reflektieren, was sie beitragen können, damit der Pro-Kopf-Umsatz stimmt.
Freiwillig Yoga machen
Wer Lust auf Yoga, Qi Gong und Co. hat, soll das gerne ausleben. Wenn Unternehmen einen gesundheitsbewussten Lebensstil fördern möchten, ist das mehr als löblich. Aber bitte nicht als Antwort auf Überstunden im zweistelligen Bereich und permanenten Druck von oben. Wir müssen aufhören, Arbeit zu messen. Wir müssen endlich aufhören den Menschen zu bewerten, zu beurteilen und formen zu wollen. Wir sollten beobachten, ihn unterstützen und schauen, ob die Arbeitsergebnisse passen. Alleine der Ergebnisbeitrag zählt. Dann wird er dauerhaft leistungsstark, kreativ und ausgeglichen in der Arbeit und dann auch in der Freizeit sein.