Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zu Multitasking.
Konzentrationsstörungen
Mailen, chatten, Bildschirm teilen, Handy checken, Linkedin öffnen – das ist der ganz normale Multitasking-Alltag von Millionen Wissensarbeitenden aller Gehaltsklassen und Branchen. Können Menschen, die so arbeiten, überhaupt noch arbeiten? Kann man auf diese Weise noch etwas anderes schaffen, außer geschafft zu sein? Wohl kaum. „Multitasking ist Körperverletzung“, schrieb der ehemalige FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem Buch Payback. Schirrmacher warnte darin vor der „pathologischen Zunahme von Konzentrationsstörungen“.
Erschöpfung
Im vergangenen Jahrzehnt ist Multitasking zum Dauerzustand geworden. Mehrere Dinge gleichzeitig zu machen, ist für die meisten Menschen normal. Multitasking wird in Stellenanzeigen gefordert und von Unternehmen durch Druck und Überforderung gefördert. Dabei zeigte bereits 2009 eine Studie der Universität Stanford: Multitasking überfordert das Gehirn und kann die Produktivität um 40 Prozent verringern. Zum Vergleich: Laut einer Studie der University of London schnitten bekiffte Studienteilnehmende in IQ-Tests besser ab als Menschen, die durch parallel eingehende E-Mails zum Multitasking gezwungen werden. Multitasking macht nicht leistungsfähiger, im Gegenteil: es stresst, erschöpft, macht unzufrieden und leistungsunfähig.
Milliardenschäden durch Multitasking
Das amerikanische Bryan College hat herausgefunden, dass Millennials 27 Mal pro Stunde ihren Aufmerksamkeitsfokus wechseln – also alle zwei Minuten etwas anders machen. Das kostet Konzentration – und das kostet im Jahresergebnis: Multitaskende Millennials verursachen 450 Millionen Dollar Produktivitätsschaden weltweit pro Jahr. Einer der stärksten Multitaskingverführer ist übrigens Reflex statt Reflexion: Wir lassen uns von vielem ablenken, nur weil es neu ist, nicht weil es relevant ist.
450 Millionen Dollar Produktivitätsverlust durch dauerabgelenkte Millennials 2016 weltweit scheinen wenig im Vergleich zum Produktivitätsverlust, den deutsche Firmen allein im Jahr 2022 durch Arbeitsunterbrechungen in Kauf nehmen mussten: 114 Milliarden Euro. So beziffert der Thinktank Next Work Innovation aus Berlin den Schaden, der durch Dauerablenkung und die Defragmentierung der Konzentrationsfähigkeit entsteht.
Ablenkungsquellen
Alle vier Minuten stört eine digitale Ablenkung die Konzentration. Konzentrationskiller Nummer eins sind neue E-Mails. Weil die E-Mailflut nicht zu bewältigen ist, zwingen sich die meisten Menschen zu Multitasking und bearbeiten E-Mails während Meetings. Bemerkenswert ist auch: Jede vierte Unterbrechung am Arbeitsplatz ist privater Natur. Etwa derselbe Anteil Online-Zeit wird im Feierabend, im Urlaub und am Wochenende in Arbeitszeit investiert. Wir haben es verlernt, abzuschalten. Wir sind beruflich und privat ständig auf Standby und nie mit vollem Fokus bei der Sache. Auch das ist eine Form von Multitasking mit unschönen Folgen: Wer nicht mehr abschaltet, brennt langfristig aus. Abschalten zu können, ist eine unterschätzte digitale Kompetenz.
Der Teufelskreis
Die großen Technologie-Firmen lancieren eifrig neue Betriebssysteme, die noch mehr Gleichzeitigkeit ermöglichen und Multitasking vom menschlichen Gehirn fordern, obwohl wissenschaftlich bewiesen ist, dass das Gehirn das nicht kann. Parallel dazu programmieren sie Apps, die helfen sollen, Multitasking zu verhindern, Fokus zu finden, die digitale Ablenkung auszuschalten, den digitalen Konsum zu kontrollieren und zu reduzieren. Sich von einer weiteren Technologie kontrollieren zu lassen, löst allerdings nicht das Problem, sondern füllt allenfalls die Taschen der Hersteller. Was hilft stattdessen? Digitale Selbstverteidigung und unternehmerische Verantwortung für unerwünschte digitale Nebenwirkungen wie manisches Multitasking.
Schädlichkeit erkennen
Erkennen, dass Multitasking Menschen ausbrennt und Ergebnisse vernichtet, ist der erste Schritt. Monotasking fordern, fördern und vorleben, der zweite. Führungskräfte sollten sich fragen, was der menschlichste und kürzeste Weg für Kommunikation ist. E-Mails und Meetings sind es oft nicht. Neues Arbeiten braucht eine offene Diskussion über einen neuen, wertschätzenden und wertschöpfenden synchronen und asynchronen Medienmix. Zeitgemäße Technologien und Arbeitstechniken, die Fokus fördern und vereinfachen. Das lohnt sich, auch produktivitätsseitig: Bessere Ergebnisse brauchen nicht mehr Zeit, sie brauchen mehr Fokus.
Monotasking lernen
Monotasking bedeutet, wieder ganz bewusst nur eine Sache zu machen und dieser die gesamte Aufmerksamkeit zu widmen. Das lässt sich trainieren, zum Beispiel mithilfe einer Sanduhr, die innerhalb von fünfzehn Minuten durchläuft. Für den Anfang reichen drei Monotasking-Einheiten à 15 Minuten pro Tag. Um Unterbrechungen zu reduzieren, empfiehlt es sich, mit fixen E-Mail-Öffnungszeiten – maximal vier am Tag – zu arbeiten und diese in der Signatur zu kommunizieren. Außerdem sollte sich das Handy beim Arbeiten außer Sichtweite und – wichtig! – außer Reichweite befinden. Es kann zudem hilfreich sein, die Nicht-stören-Funktion beziehungsweise den Fokus-Modus während der Arbeitszeit an allen Geräten zum Standardmodus zu machen. Surfen auf Social Media sollte man sich prinzipiell erst ab 16 Uhr genehmigen.
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