Warum in Arbeitnehmer investieren, wenn Sie sowieso alle zwei Jahre den Arbeitsplatz wechseln? Das Talent Management im Profifußball gibt Antworten auf diese Frage.
Karrierenetzwerke, Jobbörsen und Bewertungsportale haben den Arbeitsmarkt fundamental verändert – und somit auch das Talent Management. Immer mehr Lebensläufe sind öffentlich zugänglich.
Stellenausschreibungen erreichen eine Vielzahl potenzieller Bewerber, überregional und international. Angestellte können sich problemlos woanders bewerben und Unternehmen können leichter extern rekrutieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich im Talent-Management die Frage: Warum überhaupt noch selbst in die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter investieren? Schließlich könnten die gesuchten Kompetenzen ja ohne Weiteres extern eingekauft werden. Make-or-Buy?
Die Entscheidung, in die eigenen Mitarbeiter zu investieren, wird nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip getroffen. Die Investition lohnt sich, wenn die zu erwartenden Rückflüsse die Investitionskosten übersteigen. Im Gegensatz zu einer neu erworbenen Maschine entscheiden Mitarbeiter allerdings selbst, ob sie auch morgen noch im Unternehmen tätig sein wollen.
Humankapital: spezifisch oder allgemein
Wie lässt sich verhindern, dass das Talent-Management zur Kostenfalle wird? Um diese Frage zu beantworten, hilft es, das sogenannte Humankapital in ein allgemeines und ein unternehmensspezifisches zu unterscheiden: Unter allgemeinem Humankapital werden Fertigkeiten verstanden, die auch bei der Konkurrenz gefragt sind. Dazu gehören etwa Sprachkenntnisse. Besucht ein Mitarbeiter hingegen eine Produktschulung, um die Produkte, die er verkauft, bis ins letzte Detail zu verstehen, würde ihm das nur im eigenen Unternehmen zugutekommen. Solche Fertigkeiten fallen unter das unternehmensspezifische Humankapital.
In welche Fertigkeiten soll ein Unternehmen nun investieren? Unternehmensspezifische Fertigkeiten und Kenntnisse sind auf dem freien Arbeitsmarkt nicht von Interesse. Das investierende Unternehmen ist mit einem spezifisch qualifizierten Mitarbeiter produktiver als mit jedem Externen. Gleichzeitig ist der spezifisch qualifizierte Mitarbeiter im eigenen Unternehmen produktiver und kann daher mehr verdienen als in jedem anderen Unternehmen. Beide Seiten haben also ein Interesse daran, in unternehmensspezifisches Humankapital zu investieren und das Beschäftigungsverhältnis aufrechtzuerhalten. Schließlich hätten auch beide Seiten im Falle eines Wechsels einen Nachteil.
Anders bei Investitionen in allgemeines Humankapital: Hier steigt der Marktwert des Mitarbeiters. Dieser könnte dann zu dem Unternehmen wechseln, das ihm für seine Fertigkeiten die besten Konditionen bietet. Das investierende Unternehmen muss demnach befürchten, dass seine Investition „davonläuft“ und es auf den Kosten sitzen bleibt. Für den Mitarbeiter hingegen ist eine Investition in sein allgemeines Humankapital risikofrei, schließlich bleibt die Investition auch dann wertvoll, wenn er den Arbeitgeber wechselt. Sprachkurse, Leadership Trainings und andere Weiterbildungsangebote, die den eigenen Marktwert erhöhen, werden von Mitarbeitern gerne wahrgenommen, bergen für den Arbeitgeber allerdings besagtes Exodus-Risiko.
Man könnte nun meinen, dass ein Unternehmen nur in das unternehmensspezifische, nicht aber in das allgemeine Humankapital seiner Mitarbeiter investieren sollte. Diese Schlussfolgerung ist grundsätzlich richtig, greift aber zu kurz.
Talent Management im Profifußball
Um Make-or-Buy-Entscheidungen im Talent-Management verstehen zu können, lohnt sich ein Blick auf den Profifußball. Das Transferreglement gibt hier die Bedingungen vor, unter denen ein Profifußballer den Club wechseln kann. Ökonomisch bedeutsam ist das Zeitfenster, innerhalb dessen ein Wechsel des Spielers an die Zustimmung seines bisherigen Arbeitgebers gebunden ist. Diese Zustimmung wird vom Erhalt einer verhandelbaren Ablösesumme, zahlbar durch den neuen Arbeitgeber, abhängig gemacht. Zunächst waren die Zeitfenster, in denen Clubs einseitig Spielertransfers blockieren konnten, unbegrenzt. Daher wurde plakativ von einem System moderner „Sklavenhaltung“ gesprochen. 1995 wurden dann mit dem sogenannten Bosman-Urteil durch den Europäischen Gerichtshof Ablösezahlungen für Fußballer verboten, deren Verträge abgelaufen waren.
Durch weitere Liberalisierungsschritte hat der Profifußball eine Entwicklung vorweggenommen, die wir zunehmend auch auf anderen Arbeitsmärkten beobachten können. Für Profifußballer wurde es schlagartig sehr viel leichter, den Club zu wechseln. Für Clubs wurde es im Gegenzug einfacher, ausgebildete Spieler zu rekrutieren.
Auf diesem freien Arbeitsmarkt stellt sich für jeden Club wie für alle anderen Unternehmen dieselbe Make-or-Buy-Frage: Warum überhaupt noch selbst in die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter, in diesem Fall der Nachwuchsspieler, investieren?
Im Fußball ist allgemeines Humankapital von zentraler Bedeutung, weil die Fertigkeiten eines Spielers wie Zweikampfstärke oder Ballbehandlung in unterschiedlichen Clubs ähnlich produktiv einsetzbar sind. Ein Cristiano Ronaldo würde bei Barca, Inter oder Bayern wahrscheinlich vergleichbare Leistungen bringen wie derzeit bei Real Madrid. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein umfangreicher Regelkatalog den Produktionsprozess, also die 90 Minuten auf dem Platz, für alle Clubs standardisiert. Zahlreiche Studien belegen, dass die Fertigkeiten eines Spielers sehr gut transferierbar sind und sportlicher Erfolg damit käuflich ist. Geld schießt eben doch Tore.
In diesem Umfeld maximaler Markttransparenz und hochmobiler Spieler, die ihre Fertigkeiten an den Meistbietenden verkaufen können, erscheint es geradezu abwegig, als Club systematisch in die jahrelange Ausbildung von Talenten zu investieren. Und trotzdem bilden die Clubs aus. Warum?
Extremfall Profifußball
Im Profifußball würde kaum ein Nachwuchsspieler bereit sein, für die Kosten seiner Ausbildung selbst aufzukommen. Die Wahrscheinlichkeit, Profi zu werden, ist einfach zu gering. In Deutschland schaffen von etwa 150.000 Nachwuchsspielern pro Jahrgang nur circa 20 den Sprung in den Profibereich. Investitionen in eine Berufsausbildung oder ein Studium, also in allgemeines Humankapital, sind im Vergleich dazu deutlich risikoärmere Alternativen. Ein Club ist de facto der bessere Investor als der einzelne Nachwuchsspieler, weil nur ein Club das Ausbildungsrisiko über ein Portfolio an Nachwuchsspielern streuen kann.
Dennoch: Die Gefahr „davonlaufender“ Investitionen bleibt. Würden aber weder Clubs noch Spieler investieren, droht die sportliche Qualität im Allgemeinen zu sinken. Zuschauer könnten das Interesse am Fußball verlieren. Die fehlenden Ausbildungsanreize der Clubs werden daher durch drei gezielte Markteingriffe korrigiert: Erstens werden die Clubs gezwungen, bestimmte Mindestinvestitionen in die Nachwuchsausbildung zu tätigen. Insbesondere verpflichtete der DFB alle 18 Erstligisten zur Saison 2001/2002, ein Nachwuchsleistungszentrum zu betreiben. Andernfalls droht ihnen Lizenzentzug. Zweitens werden die Ausbildungsinvestitionen der Clubs durch die Nationalverbände subventioniert. Schließlich haben die Verbände auch ein Interesse an einer wettbewerbsfähigen Nationalmannschaft. Drittens reguliert die FIFA den Transfer von Spielern: Für Spieler mit laufenden Verträgen erhält der bisherige Club im Transferfall vom neuen Club eine verhandelbare Ablösesumme.
Ebenso geht für Spieler mit laufenden Verträgen ein Teil ihrer Transfersumme jedes Mal an den oder die Clubs, die bis zum 23. Lebensjahr eines Spielers in dessen Ausbildung investiert haben. Als Mesut Özil 2013 von Real Madrid zu Arsenal wechselte, erhielt sein Ausbildungsverein Rot-Weiss Essen eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 750.000 Euro. Das schafft Ausbildungsanreize für die Clubs. Eine Fokussierung auf die Marktwertsteigerung junger Profispieler, um entsprechende Ablösen und Ausbildungsentschädigungen zu generieren, ist insbesondere für kleinere Clubs ein attraktives Finanzierungsmodell.
Ein Wert an sich
Der Profifußball zeigt: Sind zu wenige Arbeitnehmer bereit in ihr allgemeines Humankapital zu investieren, sinkt dadurch die branchenweite Qualität. Ein Argument für Markteingriffe von außen. Dasselbe Prinzip gilt für die duale Berufsausbildung. Hier wäre der Auszubildende eigentlich der geeignetere Investor. Wie im Fußball wäre aber zu befürchten, dass zu wenige Menschen bereit sind, selbst in ihre Ausbildung zu investieren. Die branchenweite Qualität könnte dadurch sinken. Ein öffentliches Interesse an einem gewissen Qualitätsstandard rechtfertigt, dass der Staat den Unternehmen Anreize setzt, Auszubildende einzustellen und einen Großteil der Ausbildungskosten zu tragen.
Auch vertragliche Regelungen können eine Möglichkeit sein, das betriebliche Investitionsrisiko zu reduzieren. Die Festlegung einer Mindestbeschäftigungsdauer bei einem vom Arbeitgeber finanzierten Studium kann eine Lösung sein. Und auch ohne rechtliche Absicherung können betriebliche Investitionen in allgemeines Humankapital, wie Talentprogramme oder Führungskräftetrainings, sinnvoll sein. Unternehmen, die glaubhaft signalisieren, dass sie Personalentwicklung als Wert an sich verstehen, besitzen unter Umständen ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber alternativen Arbeitgebern und stärken gleichzeitig ihre Mitarbeiterbindung.
Außerhalb des Fußballs erscheint eine Fokussierung auf die Marktwertsteigerung junger Talente als Finanzierungsmodell ungeeignet. Schließlich kann ein Unternehmen kaum auf Ablösesummen und Ausbildungsentschädigungen hoffen, wenn ein Mitarbeiter von einem Konkurrenzunternehmen abgeworben wird. Völlig abwegig ist der Ansatz jedoch nicht. Führende Unternehmensberatungen und Wirtschaftskanzleien etwa ziehen mit dem mehr oder weniger expliziten Versprechen auf Marktwertsteigerung besonders hochkarätige Bewerber an. Ausscheidende Mitarbeiter bilden einen lukrativen Kundenstamm.
Die Grenzen der Transparenz
Um sinnvoll entscheiden zu können, wann ein Unternehmen in die Qualifikation seiner Mitarbeiter investieren sollte und wann nicht, hilft die einfache Unterscheidung in allgemeines und unternehmensspezifisches Humankapital. Investitionen in unternehmensspezifisches Humankapital sind dabei sowohl für das Unternehmen als auch für Mitarbeiter vorteilhaft. Für beide Seiten steigt das Interesse an einer Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses. Externe können kein unternehmensspezifisches Humankapital mitbringen. Dem gläsernen, digitalisierten Arbeitsmarkt werden effektive Grenzen gesetzt.
Auch wenn bei betrieblichen Investitionen in das allgemeine Humankapital Mitarbeiter für andere Unternehmen attraktiver werden und abgeworben werden können, ist nicht gänzlich von dieser Investition abzuraten. Zum einen spielen strategische Überlegungen im Bereich der internen wie externen Arbeitgeberattraktivität (Rekrutierung ebenso wie Mitarbeiterbindung und Talententwicklung) eine entscheidende Rolle. Zum anderen droht die Qualität zu sinken, wenn weder Unternehmen noch Arbeitnehmer bereit sind, in Aus- und Weiterbildung zu investieren.
In den meisten Branchen ist die Kombination aus allgemeinen und unternehmensspezifischen Komponenten im Humankapital wesentlich ausgeglichener als im Profifußball. Die betriebliche Investitionslogik ist jedoch dieselbe: Wer in der Champions League mitspielen will, darf nicht nur extern rekrutieren, sondern muss auch bereit sein, loyales Spitzenpersonal auszubilden. Selbst dann, wenn es Bayern München hin und wieder gelingt, einen wechselwilligen Spieler abzuwerben.