Karrierekiller Homeoffice?

Sichtbarkeit

Brian arbeitet an einer deutschen Forschungsinstitution. Dort ist er für das Erstellen von Forschungs- und Jahresberichten und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Weil er studierter Übersetzer vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt ist, übernimmt er häufig Übersetzungstätigkeiten für die Wissenschaftler am Institut, indem er entweder deren deutsche oder englische Texte in die jeweils andere Sprache übersetzt oder Texte in der entsprechenden Sprache redigiert und sprachlich verbessert. Brians Dienste werden sehr hochgeschätzt, weil er jeden Text besser und damit leichter publizierbar macht. Während er von Montag bis Donnerstag immer mit guter Laune ins Büro kommt, ist er am Freitag nie zu sehen.

Da hat Brian auf seinen Wunsch hin die Erlaubnis bekommen, von zu Hause aus zu arbeiten. Er sagt, er kann sich dort besser konzentrieren beim Übersetzen komplizierter Texte. Brians Vorgesetzte Heidi war anfänglich skeptisch, ob Homeoffice funktionieren und nicht etwa zu geringerer Arbeitsleistung führen würde, wollte Brian aber aufgrund seiner bislang guten Arbeit einen Vertrauensvorschuss und damit die Möglichkeit zu Homeoffice geben. Bisher ist Heidi mit dem Arrangement zufrieden. Sie ist aber skeptisch, ob der aktuelle Einzelfall auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgreich übertragbar ist, wenn eine Gesetzesnovelle jedem ein verbrieftes Recht auf Homeoffice einräumt. Werden dann nicht weniger motivierte Mitarbeiter während des Homeoffice die Füße hochlegen und sich weniger anstrengen? Weltweit ist Homeoffice auf dem Vormarsch, nicht erst seit der Coronapandemie.

In den USA etwa hat sich der Anteil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause leisten können, in den letzten 30 bis 40 Jahren etwa verfünffacht. In Deutschland und Österreich arbeiteten schon vor der Pandemie rund 50 Prozent der Arbeitnehmer regelmäßig, wenn auch meist nur einen Tag pro Woche, von zu Hause aus. Aufgrund der weiter zunehmenden Digitalisierung spielt der Arbeitsort immer häufiger eine untergeordnete Rolle und es ist zu erwarten, dass auch in den kommenden Jahren Homeoffice weiter zunehmen wird. Aus Umweltschutzgründen gilt diese Entwicklung als willkommen, weil dadurch weniger Pendelverkehr zwischen Heim und Arbeitsstätte anfallen wird.

Aus Sicht der Mitarbeitenden kann Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit die Work-Life-Balance verbessern. Für die Arbeitgeber kann Homeoffice den Bedarf an Büroflächen und damit Kosten einsparen. Jedoch wird Homeoffice häufig mit einer geringeren ­Arbeitsleistung zu Hause assoziiert. Arbeit­nehmerinteressensverbände sehen auch die Gefahr einer Vereinsamung all jener, die zu viel von zu Hause aus arbeiten. Je nachdem, welche Effekte überwiegen, mag Homeoffice positiv oder negativ beurteilt werden, mal von der einen (Arbeitgeber) Seite, mal von der anderen (Arbeitnehmer) Seite.

Schwer messbare Evidenz

Eines der Probleme hinsichtlich der Bewertung von Homeoffice besteht aber darin, dass es kaum methodisch einwandfreie Evidenz über die kausalen Wirkungen von Homeoffice gibt. Das liegt daran, dass fast alle Studien an einem Selektionsproblem leiden. Das bedeutet, Menschen, die von sich aus um Homeoffice bitten und die Möglichkeit dazu nutzen, sind andere als jene, die das nicht tun. Im Idealfall würde man also Personen, die alle gerne Homeoffice machen möchten, zufällig entweder
Homeoffice erlauben oder sie weiter zwingen, in der Firma im Büro zu arbeiten. Damit würde das Selektionsproblem entfallen und die kausalen Wirkungen von Homeoffice wären messbar, wenn die Tätigkeit, die man entweder im Büro oder zu Hause ausführt, auch wirklich identisch wäre.

Eine Studie von Nicholas Bloom von der Stanford University erfüllt diese Bedingungen. Etwa 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Schanghai-Filiale des größten chinesischen Online-Reisebüros Ctrip konnten wählen, ob sie an vier Tagen pro Woche Homeoffice machen wollten. Die Gruppe von 500 Interessenten wurde zufällig in zwei Teilgruppen unterteilt. 250 Mitarbeitende mussten wirklich neun Monate lang an vier von fünf Tagen von zu Hause aus arbeiten, während die andere Hälfte weiter jeden Tag ins Büro kommen musste. Die Arbeit war für beide Gruppen identisch, nämlich das Entgegennehmen von Telefonaten und die Buchung von Individual-, Pauschal- und Geschäftsreisen. Die Bezahlung und sogar die Arbeitszeiten blieben für beide Gruppen gleich, lediglich der Arbeitsort unterschied sich.

Während der neun Monate erhöhte sich die Arbeitsproduktivität durch Homeoffice um 13 Prozent, was zum überwiegenden Teil durch weniger Pausen während des Homeoffice und zu einem geringeren Teil durch mehr bearbeitete Anrufe pro Schicht zustande kam. Die Arbeitszufriedenheit der Personen im Homeoffice war ebenfalls höher und die Verweildauer in der Firma war deutlich länger. So weit, so gut.

Die Beförderungen sinken

Jedoch hatte das Homeoffice einen gravierenden Nachteil, der erst bei einer genaueren Analyse der Daten zum Vorschein kam: Beförderungen (etwa zur Teamleitung) gingen deutlich häufiger an die Mitarbeiter im Firmenbüro als an jene im Homeoffice. Geringere Aufstiegschancen waren demnach eine nicht zu unterschätzende Nebenwirkung der Tätigkeit im Homeoffice.

Netzwerkpflege für Beförderungen ist eben im Büro viel einfacher als von zu Hause möglich, weshalb die große Mehrheit der Homeoffice-Mitarbeitenden wieder ins Firmenbüro zurückwollte. Aus Sicht des Unternehmens jedoch zahlte sich Homeoffice durch die hohen Produktivitätssteigerungen deutlich aus.

Balance ist wichtig

Im Zuge der Erfahrungen während der Pandemie ist zu erwarten, dass auch nach dem Ende der Pandemie Homeoffice ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsalltags bleiben wird. Wie die Arbeit von Nicholas Bloom zeigt, ist das weder nur gut oder nur schlecht, sondern es geht um eine gute Balance zwischen den Vor- und Nachteilen für beide Seiten.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Sachbuch Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt. 50 verhaltensökonomische Erkenntnisse. Der Verhaltensökonom Matthias Sutter präsentiert darin aktuelle verhaltensökonomische Forschung, die den menschlichen Faktor im Berufsleben ergründet. Erschienen im Februar 2022.
© Carl Hanser Verlag

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Sachbuch Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt. 50 verhaltensökonomische Erkenntnisse. Der Verhaltensökonom Matthias Sutter präsentiert darin aktuelle verhaltensökonomische Forschung, die den menschlichen Faktor im Berufsleben ergründet. Erschienen im Februar 2022.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Risiko. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Matthias Sutter ist Direktor am Max-Planck-Institut zur ­Erforschung von Gemeinschaftsgütern sowie ­Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltens­ökonomie an den Universitäten Köln und Innsbruck.

Matthias Sutter

Matthias Sutter ist Direktor am Max-Planck-Institut zur ­Erforschung von Gemeinschaftsgütern sowie ­Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltens­ökonomie an den Universitäten Köln und Innsbruck.

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