Nicht wegschauen: Sieben Gedanken zu Trauer im Unternehmen

Leadership

Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zum Umgang mit Verlust und Trauer im Unternehmen.

1. Verlust und Trauer kündigen sich selten im Unternehmen an

Jana, die 28-jährige Projektleiterin, sitzt eines Dienstags an ihrem Schreibtisch. Ihr leerer Blick schweift weit über das Großraumbüro hinaus. War sie nicht eben noch in der 22. Woche schwanger? Einige tuscheln, andere machen einen Bogen um sie – und dann die Blicke … Jana hätte gerne losgeheult, wäre in den Boden versunken oder schreiend rausgerannt – am liebsten alles gleichzeitig.

Wo war ihre Führungskraft? Gerne hätte sie mit ihr gestern bereits gesprochen, sie um Unterstützung gebeten. Auch hätte sie ihr gerne gesagt, was sie in diesem Moment brauchte. Aber die Führungskraft war, anders als sonst, weder zu sehen noch zu erreichen. Eine ungekannte Mischung aus Trauer, Ohnmacht, Wut und innerer Kündigung stieg in Jana hoch. An konzentriertes Arbeiten war nicht zu denken. Sie packte ihre Sachen, ging zu ihrer Frauenärztin und wurde sofort krankgeschrieben. Am nächsten Morgen: ein Anruf aus der Firma. Jana ignorierte das Klingeln – sie hatte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Verlust und Trauer, auch wenn sie im Privaten passieren, haben auf den betrieblichen Alltag einen maßgeblichen Einfluss und ziehen Kosten im fünf- bis sechsstelligen Umfang nach sich. Ein teures Tabu. Unternehmen sind auf den Brandschutz vorbereitet, auf Trauer und Verlust nicht. Zugleich kommen – angesichts von mehr als einer Million Verstorbener in 2021 sowie vieler schwerer Diagnosen – Verlust und Trauer in Unternehmen häufiger vor als Feuer.

2. Trauer und Verlust sind keine Krankheit

Trauer ist neben allem Gefühlschaos ein Transformationsprozess. Letztlich muss der Hinterbliebene die Frage beantworten: „Wer bin ich, wenn du nicht mehr bist?“ Das tägliche Miteinander mit einem der wichtigsten Menschen, genauso wie die Zukunft mit ihm, gibt es ab sofort nie mehr. Selbstverständliche Abläufe müssen – möglicherweise mit anderen Menschen – neu definiert werden. Maximale Unsicherheit bei gleichzeitigem schmerzhaftem Verlust.

Hier heilen weder Medikamente noch Operationen. Das Bisherige ist unwiderruflich Geschichte, häufig ohne Vorwarnung. Ohne emotionale, organisatorische oder auch mögliche finanzielle Unterstützung kann der Betroffene massiv überfordert sein. Hier können das Unternehmen und die Führungskraft konkrete Hilfe anbieten. Über deren Annahme entscheidet jedoch der Trauernde.

3. Wer nicht vorbereitet ist, verliert

Die Studie zu Tod und Trauer in Unternehmen der TH Würzburg-Schweinfurt besagt, dass 80 Prozent der Führungskräfte bereits einen nachhaltig auf die Arbeitssituation wirkenden Trauerfall erlebt haben. Knapp 80 Prozent wünschten sich für diesen Moment detaillierte Leitfäden und Kommunikationstrainings. Hier sind die Unternehmen präventiv in der Pflicht. Mit vorbereiteten Leitfäden für eine Standardvorgehensweise, die sogenannte Standard Operating Procedure, erhalten die meist überforderten Führungskräfte einen Überblick über alle entscheidenden Schritte. Vorbereitung bedeutet konkret Entlastung und qualitativ gute Ergebnisse.

4. Verständnisvolle Nähe und strukturierte Unterstützung entscheidet

Empathie und gezielte Angebote schaffen Nähe zwischen Betroffenen und Führungskräften. Die kühle Distanz, wie sie vielfach als Zeichen von Professionalität gelehrt wird, erreicht beim Gegenüber oft massives Unverständnis und führt nicht selten zum zeitweiligen Kommunikationsabbruch.

5. Sprachlosigkeit und Sprücheklopfer

Während respektvolles Nachfragen, wie es dem Mitarbeiter heute geht, oder auch ein bewusstes, gemeinsames stilles Aushalten des Schmerzes meist in einen ehrlichen, produktiven Austausch münden, kommt Schweigen häufig als passive Abwehr oder gar Aggression an. Sprücheklopfen, auch wenn es häufig aus Hilflosigkeit heraus entsteht, trägt fast immer zur Eskalation bei.

6. Unternehmen verlassen Mitarbeiter

Unternehmen und Führungskräfte, die sich in dieser Situation nicht hinter ihre Mitarbeiter stellen und beim Wiederaufbau ihrer Handlungsfähigkeit unterstützen, erleben „silent oder conscious quitting“. Hier passen die Werte nicht mehr zusammen. Nach der französischen Studie Le deuil au travail. 10 propositions pour accompagner le deuil dans la vie professionnelle kündigt jede neunte Fachkraft, die dies selbst oder bei Kollegen erlebt hat. Die Zahlen des Gallup Engagement Index lassen solche Ergebnisse auch für Deutschland erwarten. Denn je geringer die Verbundenheit zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen ist, desto höher fällt die Wechselbereitschaft aus.

7. Offboarding – der letzte Eindruck bleibt

Im Privaten kann sich jeder genau erinnern, wie seine letzte Beziehung geendet hat – viel weniger daran, wie sie einst begann. Gleiches gilt für das Verhalten des Unternehmens nach Ausscheiden eines Mitarbeiters nach einem Trauerfall. Ein wertschätzendes Offboarding, bei dem sich jemand Gedanken gemacht und wertschätzend gehandelt hat, spricht sich positiv herum.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Heinke Wedler

Heinke Wedler ist Diplom-Ingenieurin und berät seit 1995 Unternehmen zu Arbeitssicherheit und betriebliches Gesundheitsmanagement. Zudem ist sie Mitglied der Fachbereichsleitung Kliniken beim VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit und stellvertretende Regionalleiterin Kurpfalz sowie Mitglied im Ausschuss für Mutterschutz (AfMu).

Stefan Hund

Stefan Hund hat über 7.000 Menschen bei Trauer, vor allem in Kliniken, Gemeinde und Unternehmen begleitet. Er arbeitete über 15 Jahre Jahre als evangelischer Pfarrer und Klinikseelsorger. Hund ist Ehrenmitglied der Wirtschaftsjunioren und als systemischer Organisationsberater (ISBW) und Mediator (IKOM) tätig.

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