Immer wieder stehen Arbeitgeber nach erstinstanzlichem Unterliegen im Kündigungsschutzprozess unter Druck, weil mit zunehmender Prozessdauer das Risiko steigt, bei endgültigem Unterliegen die Vergütung nachzahlen zu müssen, ohne eine Arbeitsleistung dafür erhalten zu haben (sogenanntes Annahmeverzugsrisiko). Dem kann ein Arbeitgeber grundsätzlich nur entgehen, wenn er vertragsgerechte Arbeit anbietet, wie dieses Urteil anschaulich zeigt.
Sachverhalt
Die Beklagte hatte den Kläger, einen Qualitätsmanager, zum 30. September 2019 betriebsbedingt gekündigt. Am 29. August 2019 stellte das ArbG Heilbronn die Unwirksamkeit der Kündigung fest und verurteilte die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Qualitätsmanager. Am 26. September 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, Berufung einzulegen und bot ihm explizit zur Vermeidung des Annahmeverzugsrisikos beginnend mit dem 1. Oktober 2019 ein anderes Beschäftigungsverhältnis befristet auf die weitere Dauer des Kündigungsrechtstreits an (sogenannte Prozessbeschäftigung). Gut eineinhalb Stunden später forderte der Kläger die Beklagte auf, ihn dem Weiterbeschäftigungsurteil gemäß als Qualitätsmanager zu beschäftigen. Auch bot er seine Arbeitsleistung als Qualitätsmanager am 1. Oktober vor Ort explizit an. Die Beklagte lehnte dies ab und bestand auf Unterzeichnung des von ihr angebotenen Prozessarbeitsvertrages, was der Kläger wiederum verweigerte. Letztlich nahm die Beklagte ihre Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzurteil zurück und beschäftigte den Kläger seit dem 1. Januar 2020 wieder seinem Vertrag entsprechend als Qualitätsmanager. Im jetzigen Prozess stritten die Parteien nun darum, ob die Beklagte dem Kläger Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis zum 31. Dezember 2019 schuldet.
Entscheidung
Das ArbG wies die Zahlungsklage ab. Der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Es sei ihm zumutbar gewesen, das Vertragsangebot der Beklagten auf Prozessbeschäftigung anzunehmen, zumal der Kläger weiterhin im Wirkungsbereich seines bisherigen Tätigkeitsfelds gearbeitet hätte. Das LAG Baden-Württemberg hat jedoch anders entschieden und die Beklagte zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verurteilt. Der Beklagten sei es ersichtlich darum gegangen, die Prozessbeschäftigung des Klägers auf eine vertragliche Grundlage zu stellen und nicht (bloß) den vom ArbG titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch anzuerkennen und zu erfüllen. Das unterstreiche auch der zeitliche Ablauf: Noch bevor der Arbeitnehmer unter Zwangsvollstreckungsandrohung seinen titulierten Anspruch habe durchsetzen wollen, habe die Beklagte dem Kläger das vertragliche Prozessbeschäftigungsverhältnis angeboten. Bestehe ein Arbeitnehmer darauf, nur aufgrund des von ihm erstrittenen Weiterbeschäftigungstitels tätig zu werden, handele er nicht böswillig.
Praxisfolgen
Unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts hat das LAG zutreffend entschieden. Überdies ist das Urteil lesenswert, weil es einen großen Teil der einschlägigen Rechtsprechung des BAG anschaulich wiedergibt. Für den Personalpraktiker ergeben sich aus diesem Urteil folgende Handlungsleitlinien:
- Nach Ablauf der Kündigungsfrist kommt der Arbeitgeber automatisch in Annahmeverzug. In einer Kündigung liegt zugleich die Erklärung des Arbeitgebers, die Leistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht anzunehmen.
- Das Angebot vertragsgerechter Arbeit zwecks Erfüllung des bestehenden Arbeitsverhältnisses beendet den Annahmeverzug. Im laufenden Kündigungsstreit unterbreitete Angebote auf Prozessbeschäftigung beenden den Annahmeverzug nicht, weil sie nicht in Erfüllung des (gekündigten) Arbeitsvertrages erfolgen.
- Jedoch muss sich ein Arbeitnehmer nach § 11 KSchG, § 615 BGB während des Annahmeverzugs anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen. Im Ergebnis gleiches gilt für (fiktives) Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer in dieser Zeit hätte erzielen können und er dies böswillig unterlassen hat.
- Böswillig handelt der Arbeitnehmer dann, wenn er im bestehenden Annahmeverzug trotz Kenntnis aller Umstände vorsätzlich untätig bleibt oder die Arbeitsaufnahme bewusst verhindert und kein sachlicher Grund dafür vorliegt. Erst recht gilt das, wenn das Arbeitsgericht den Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilt hat.
- Insbesondere liegt böswilliges Unterlassen zumutbaren Erwerbs vor, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung begeht, aber ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers ablehnt.
- Will der obsiegende Arbeitnehmer für die weitere Dauer des Rechtsstreits vertragsgerecht beschäftigt werden, kann sich der Arbeitgeber dem grundsätzlich nicht mit einen anderen Beschäftigungsangebot entziehen.
- Soweit eine Weiterbeschäftigung beim bisherigen (kündigenden) Arbeitgeber in Rede steht, kann der Arbeitnehmer regelmäßig abwarten, ob der Arbeitgeber ihm eine zumutbare Arbeit anbietet.
- Selbst ohne Weiterbeschäftigungstitel besteht eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers, wenn der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch seinen Tatbestandsvoraussetzungen nach gegeben ist.
Die Handlungslast liegt also klar beim Arbeitgeber. Er hat es in der Hand, den Annahmeverzug zu beenden oder den klagenden Arbeitnehmer in die Situation zu bringen, anderweitigen Verdienst böswillig zu unterlassen. Das gilt in besonderem Maß in dem unter Ziffer 8 genannten Fall. Die Erfahrung zeigt, dass nicht wenige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Aufforderung, nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder arbeiten zu kommen und vertragsgerecht beschäftigt zu werden, keine Folge leisten. Zur Entlastung vom Annahmeverzugsrisiko sollten Arbeitgeber dies verstärkt nutzen; da hierbei der Teufel oft im Detail steckt, müssen entsprechende Aufforderungen sorgfältig formuliert sein; im Zweifel sollte hierzu sachverständiger Rat hinzugezogen werden.