Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung genießen in Deutschland zu Recht einen hohen Schutz, sollen sie doch im Alter zusammen mit der gesetzlichen Rente zu einer angemessenen finanziellen Absicherung beitragen. Im Fall einer Insolvenz sind die Betriebsrenten jedoch bedroht. Deshalb werden die Ansprüche vom Pensions-Sicherungs-Verein VvaG (sog. „PSV“) abgesichert.
Der Schutz von Betriebsrenten bei Insolvenz des Arbeitgebers
Die Idee ist einfach: Der PSV übernimmt, wenn der Arbeitgeber nicht mehr kann. Dafür zahlt der Arbeitgeber – solange er kann – jährliche Insolvenzsicherungsbeiträge.
In der Umsetzung ist es dann aber doch nicht so einfach, denn der PSV muss oft nicht dieselbe Leistung erbringen, die der Arbeitgeber eigentlich hätte erbringen müssen. Der PSV sichert nur Zusagen ab, die bei Insolvenzeröffnung gesetzlich unverfallbar waren. Ansprüche, die also beispielsweise auch bei einer regulären Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalls noch verfallen wären, muss auch der PSV nicht erfüllen. Außerdem gibt es zugunsten des PSV Rentenhöchstbeträge und den sogenannten Festschreibeeffekt: Der PSV darf die Betriebsrente mit den bei Insolvenzeröffnung maßgeblichen rechnerischen Eckdaten berechnen und etwaige spätere Änderungen ausblenden.
Der Käufer übernimmt Arbeitsverhältnisse mit bestehenden Rechten und Pflichten – aber erst ab Insolvenzeröffnung
Werden Arbeitsverhältnisse in einer Insolvenz „gerettet“, weil der Betrieb mitsamt Belegschaft übernommen wird, zeigt sich die beschriebene eingeschränkte PSV-Absicherung besonders deutlich.
Wer einen Betrieb übernimmt, muss nach dem Gesetz die dortigen Arbeitsverhältnisse mit allen bestehenden Rechten und Pflichten übernehmen. Wird der Betrieb aus einer Insolvenz heraus erworben, muss der Käufer die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüche jedoch nicht mitübernehmen. Einfach gesagt: Er übernimmt zwar die Beschäftigten mit ihren Betriebsrentenzusagen, muss für diese aber nur in dem Umfang zahlen, in dem sie nach der Insolvenzeröffnung entstanden sind. Für den Teil, der vor der Insolvenzeröffnung angefallen ist, ist der PSV zuständig – mit allen Einschränkungen.
Dass der neue Inhaber nur für die nach der Insolvenzeröffnung entstandenen Betriebsrentenansprüche haftet, hat gute Gründe. Müsste der Erwerber auch für den vorinsolvenzlichen Teil aufkommen, würde er sich den Erwerb entweder zweimal überlegen oder die zusätzlichen Kosten beim Kauf einpreisen. Beides wäre nicht wirklich im Sinne des Beschäftigten oder des Gläubigerschutzes.
Ist Haftungsbeschränkung bei Betriebsrenten europarechtskonform?
Nun stellt sich jedoch die Frage, ob diese Haftungsbeschränkung auch europarechtskonform ist. Widerspricht sie nicht den Zielen der Betriebsübergangs-Richtlinie für den Schutz von Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang oder der Insolvenz-Richtlinie für den Schutz von Ansprüchen in der Insolvenz?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste sich im Jahr 2018 mit dieser Frage in zahlreichen Parallelfällen befassen. Es gab den Ball aber erst einmal an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ab und bat um Beantwortung von neun Fragen zur Vereinbarkeit mit Unionsrecht. Nachdem der EuGH alle neun Fragen letztes Jahr beantwortet hatte, konnte das BAG jetzt abschließend entscheiden (Urteile vom 26.Januar 2021 – 3 AZR 139/17 und 3 AZR 878/16).
Worum ging es in den Fällen?
Zwei Arbeitnehmer hatten ihren neuen Arbeitgeber verklagt, der ihren Betrieb aus der Insolvenz übernommen hatte. Beide besaßen Betriebsrentenzusagen. Nach diesen sollte die Höhe der Betriebsrente auf der Basis des Gehalts vor dem rentenbedingten Ausscheiden berechnet werden.
Nun zahlte zwar der neue Arbeitgeber – wie vereinbart – den Teil der Betriebsrente, der nach Insolvenzeröffnung entstanden ist. Für seinen vorinsolvenzlichen Teil legte der PSV aber das deutlich niedrigere Gehalt zur Zeit der Insolvenzeröffnung zugrunde. In der Folge fehlten monatlich knapp 150 Euro Betriebsrente. Den anderen Arbeitnehmer traf es noch härter: Weil er bei Insolvenzeröffnung noch zu jung war, waren seine Betriebsrentenansprüche noch verfallbar. Vom PSV würde er daher bei Renteneintritt voraussichtlich überhaupt nichts bekommen.
Beide Arbeitnehmer wollten, dass ihr neuer Arbeitgeber diese Lücken schließt. Den PSV verklagten sie nicht.
Wie entschied das BAG?
Der EuGH hatte dem BAG im Wesentlichen folgende rechtliche Vorgaben gemacht:
- Damit der Käufer nach deutschem Recht nicht haften muss, muss die Betriebsrentensicherung durch den PSV ein angemessenes Schutzniveau im Sinne der Insolvenz-Richtlinie bieten.
- Die für den PSV im deutschen Recht vorgesehen Beschränkungen (verfallbare Ansprüche, Festschreibeeffekt etc.) sind nur gerechtfertigt, wenn damit noch das geforderte Schutzniveau der Insolvenz-Richtlinie gewährleistet ist. Beschäftigte müssen den PSV direkt in Anspruch nehmen können.
- Das Schutzniveau ist nicht mehr gewährleistet, wenn mehr als die Hälfte der Betriebsrentenansprüche entfallen und wenn Beschäftigte infolge des Entfalls unter der Armutsschwelle leben müssten.
Mit diesen Vorgaben im Rücken wies das BAG beide Klagen gegen den neuen Arbeitgeber ab. Nach Ansicht des BAG reicht der direkte Anspruch von Beschäftigten gegenüber dem PSV aus, um das geforderte Schutzniveau zu erreichen. Damit scheidet eine Haftung des neuen Arbeitgebers aus.
Und jetzt?
Offenbar hat sich das BAG entschieden, den Käufer eines Betriebs „auf Kosten“ des PSV zu schützen. Entsprechend muss der PSV zukünftig damit rechnen, weitergehend als bisher in Anspruch genommen zu werden, wenn das nötig ist, um das geforderte Schutzniveau herzustellen.
So risikobehaftet der Erwerb eines Betriebs nach wie vor ist – durch die jüngste Entscheidung des BAG wurde jedenfalls ein Risiko minimiert. Gleichzeitig wurde die Absicherung von Betriebsrenten verstärkt. Zusammenfassend also eine Win-Win-Situation? Nicht für den PSV!
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