Eine Regelung, die eigentlich aus dem Sozialversicherungsrecht, hat beachtliche arbeitsrechtliche Auswirkungen auf Kündigungen. Das Sozialgesetzbuch verpflichtet den Arbeitgeber, zusammen mit der beschäftigten Person und gegebenenfalls Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung in einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlicher Einschränkungen Ausfallzeiten entstanden sind und wie man daraus drohende Kündigungen vermeiden kann. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 18. November 2021 zeigt lehrreich auf, welche Fallstricke das BEM für die Arbeitgeber bereithält und gibt wertvolle Hinweise und Klarstellungen für die Umsetzung aber auch für den Einsatz in einem Kündigungsschutzprozess.
Das BEM im Kontext: Worum geht es?
Die Kündigung wegen Krankheit ist einer der Hauptanwendungsfälle der personenbedingten Kündigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes. Eine auf Gründe in der Person des oder der Beschäftigten gestützte Kündigung ist unverhältnismäßig, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist nicht durch Krankheit „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung der Person auf einem anderen – ihrem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es der beschäftigten Person vor einer Kündigung zu ermöglichen, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern.
Das Arbeitsgericht prüft, sowohl in Fällen von häufigen Kurzerkrankungen wie auch bei Langzeiterkrankungen, ob der Arbeitgeber eine zutreffende Interessenabwägung zwischen den eigenen und denen der beschäftigten Person vorgenommen hat.
Hierzu gehört die Frage, ob ein betrieblichen Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Hat der Arbeitgeber ein solches gar nicht durchgeführt, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass es die Kündigung nicht hätte vermeiden können. Wurde es zwar wenigstens eingeleitet, unterliefen dann aber Fehler, so ist zu prüfen, ob diese verhindert haben, Maßnahmen für die Erhaltung der Beschäftigung treffen zu können. Zum Beispiel könnte die fehlende vorgeschriebene Aufklärung über den Datenschutz durch den Arbeitgeber bei der Einladung zum BEM die beschäftigte Person dazu veranlasst haben, die von ihm erforderliche Zustimmung zum BEM nicht zu geben.
Der Fall des BAG-Urteils vom 18. November 2021
Der seit dem Jahr 2001 beschäftigte Arbeitnehmer war im Jahr 2017 an 40 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahr 2018 an 61 Arbeitstagen und im Jahr 2019 sogar an 103 Arbeitstagen. Der Arbeitgeber lud am 5. März 2019 zu einem Gespräch über ein betriebliches Engliederungsmanagement. Der Kläger erkrankte nach dem Gespräch und dem abgeschlossenen BEM erneut für 79 Arbeitstage, also mehr als sechs Wochen. Die Beklagte kündigte am 26. Februar 2020, also vor Ablauf eines Jahres nach Abschluss des ersten BEM, ohne ein erneutes BEM durchgeführt zu haben. Der Kläger obsiegte in allen drei Instanzen, die Kündigung war unwirksam.
Der Arbeitgeber konnte nach Auffassung des BAG nicht darlegen, dass eine Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz beziehungsweise durch andere Maßnahmen, eine Beschäftigung zu geänderten Bedingungen zu erhalten, nicht möglich gewesen sei. Das Unterlassen des betrieblichen Eingliederungsmanagements hatte damit zur Folge, dass die Kündigung für unwirksam erklärt wurde. Das BAG bestätigte den Grundsatz, dass ein BEM grundsätzlich dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
Dabei hat der Arbeitgeber ebenso grundsätzlich die Möglichkeit aber auch die Notwendigkeit darzulegen und zu beweisen, dass ein BEM kein positives Ergebnis erbracht hätte. Den Arbeitgeber trifft laut Kündigungsschutzgesetz die primäre Darlegungs- und Beweislast für die Nutzlosigkeit eines BEM. Er muss umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung möglich war, alternativ eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen nicht möglich gewesen sei und dass Fehlzeiten auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger verhindert beziehungsweise vermindert werden könnten.
Hierbei kann der Arbeitgeber es sich aber nicht so einfach machen, auf das vorherige ergebnislose BEM zu verweisen. Das BAG hat ausgesprochen, dass der Arbeitgeber gemäß Sozialgesetzbuch grundsätzlich ein weiteres BEM durchzuführen habe, wenn die beschäftigte Person innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines vorherigen BEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten Gespräch noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.
Das BAG nimmt zum Ausgangspunkt, dass das Gesetz dem Arbeitgeber bereits nach Ablauf von sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit auferlegt, unverzüglich da BEM einzuleiten. Damit vertrage es sich nicht, wenn nach einem ersten BEM dann plötzlich ein Mindestbetrachtungszeitraum von einem Jahr sollte abgewartet werden dürfen. Dies konterkariere den Gesetzeszweck, beständig präventiv um die Beschäftigung beziehungsweise den Erhalt des betroffenen Arbeitsplatzes bemüht zu sein. Ein BEM habe kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“. Erkranke der Arbeitnehmer erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, bestehe vielmehr erneut ein Bedürfnis für ein weiteres BEM. Denn es können sich sowohl die Krankheitsursachen als auch die betrieblichen Umstände geändert haben und neue Heilverfahren ergeben haben, was auch aus diesem Grund eine erneute Prüfung rechtfertigt.
Das BAG verlangt allerdings nicht, dass während eines noch laufenden BEM ein weiteres parallel dazu geführt wird. Etwa zwischenzeitliche Veränderungen dürfen zweckmäßiger Weise das laufende Verfahren ergänzen.
Wann aber ist eigentlich ein betriebliches Eingliederungsmanagement abgeschlossen? Das BAG sieht dies als gegeben an, wenn beide Seiten einig sind, dass der Such- und Klärungsprozess des BEM nicht weiter durchgeführt werden soll. Aber Vorsicht: Der Arbeitgeber kann dies nicht einseitig bestimmen. Erst wenn von der beschäftigten Person oder den zu beteiligenden Stellen, wie dem Betriebsrat, keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze mehr aufgezeigt werden, wozu ihnen unter Bestimmung einer Frist vom Arbeitgeber Gelegenheit zu geben ist, kann der Arbeitgeber vom Abschluss ausgehen. Ein „Abschluss“ liegt auch darin, wenn die beschäftigte Person ihre Zustimmung zur Einleitung des BEM verweigert.
Die Pflicht zum erneuten BEM besteht nach Auffassung des BAG auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit schon während des ersten bestand und nach dem Abschluss des BEM ununterbrochen mehr als sechs Wochen fortdauert. Denn auch in dieser Phase können sich neue Erkenntnismöglichkeiten, Änderungen der Krankheitsursachen und der Heilverfahren ergeben.
Der Arbeitgeber muss auch dann, wenn die beschäftigte Person zu einem ersten BEM-Verfahren die Zustimmung nicht erteilt hat und innerhalb eines Jahres nach der Ablehnung erneut mehr als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, das BEM anbieten.
Fazit
Arbeitgeber sind einmal mehr aufgerufen, die Verpflichtung zur Durchführung des BEM ernst zu nehmen und sich seiner Bedeutung bewusst zu werden. Dies gilt proaktiv zum Wohle und im Interesse der betroffenen Mitarbeitenden, aber es ist meist auch im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers, der zum Beispiel aus Personalmangel versuchen muss, erfahrene Mitarbeitende zu halten. Wenn nur noch die Kündigung den Ausweg gibt, wird eine personenbedingte Kündigung ohne vorheriges BEM regelmäßig vor dem Arbeitsgericht nicht durchsetzbar sein. Ein Arbeitgeber sollte vorbereitet sein und das Verfahren des BEM dann Schritt für Schritt ordnungsgemäß durchlaufen können.