Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) zeigt noch einmal deutlich, wie schwer es ist, Lohngerechtigkeit in Unternehmen durchzusetzen. Inwieweit diese neueste Equal-Pay-Entscheidung einen Wendepunkt im Kampf um geschlechtergerechte Entlohnung darstellt, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings schon jetzt, dass Arbeitgeber das Urteil ernst nehmen und sich mit den Konsequenzen für die Praxis auseinandersetzen sollten – denn es besteht Handlungsbedarf.
Equal-Pay: Rechtsprechung
Wirft man einen Blick auf die Equal-Pay-Rechtsprechung der letzten drei Jahre, wird deutlich, dass das Thema zunehmend in den Fokus gerückt ist und medienwirksame Entscheidungen eine breite Aufmerksamkeit erlangt haben. So entschied das Bundesarbeitsgericht (25.06.2020 – 8 AZR 145/19) Mitte 2020, dass der Anspruch auf Auskunft über die Bezahlung vergleichbarer Beschäftigter des anderen Geschlechts auch für „arbeitnehmerähnliche Beschäftigte“ gilt. Anfang 2021 folgte sodann die nächste einschlägige Entscheidung, mit der das höchste deutsche Arbeitsgericht (21.01.2021 – 8 AZR 488/19) feststellte, dass im Falle eines höheren Vergütungsmedian des anderen Geschlechts eine Diskriminierungsvermutung vorliegt, die der Arbeitgeber widerlegen muss. Es reichte dem Bundesarbeitsgericht zur Annahme der Vermutung einer Entgeltbeteiligung insoweit bereits aus, dass ein Gehaltsunterschied vorlag. Auf diese beiden, für die Arbeitswelt bereits deutlich einschneidenden Entscheidungen, folgte nunmehr Anfang 2023 der nächste Paukenschlag aus Erfurt. Auch hier bejahte das Gericht (Bundesarbeitsgericht, 16.02.2023 – 8 AZR 450/21) eine Diskriminierungsvermutung, da der klagenden Arbeitnehmerin bei gleicher Tätigkeit und Betriebszugehörigkeit ein deutlich niedrigeres Grundgehalt als ihrem männlichen Kollegen gezahlt worden war. Dabei ließ das Bundesarbeitsgericht das Argument, der männliche Kollege habe besser verhandelt, genauso wenig gelten wie die Rechtfertigungsversuche zur unterschiedlichen Qualifikation, zu anderen Provisionsregelungen, Zusatzurlaub oder der personellen Nachfolgeplanung. Insbesondere stellte das Gericht mit Blick auf die Verteidigungsstrategie des Arbeitgebers noch einmal deutlich heraus, dass keine „Gesamtbewertung“ erfolgt, sondern echte Transparenz und Kontrolle einer möglichen Diskriminierung nur möglich ist, wenn jeder Entgeltbestandteil gesondert betrachtet wird – sprich Grundgehalt zu Grundgehalt, Bonus zu Bonus und so weiter.
Vielschichtige Risiken
Neben dem Risiko, dass durch steigende Präsenz höchstrichterlicher Entscheidungen das Bewusstsein von Arbeitnehmenden zunimmt, mögliche Vergütungsunterschiede rechtlich prüfen zu lassen, kommen eine Vielzahl von weiteren Risiken auf Arbeitgeber zu. Systemische Lohnungleichheit kann neben Individualrechtsklagen auf (Nach-)Zahlung auch zu sozialrechtlichen Nachforderungsansprüchen führen – ganz zu schweigen von dem Reputationsschaden und dem Nachteil auf dem Bewerbermarkt. Da das Lohngleichheitsprinzip ein europarechtliches Grundprinzip ist, machen diese Risiken nicht nur an der Grenze Deutschlands halt, sondern können darüber hinaus gehen.
Medienwirksame Verfahren
Erst kürzlich hat sich das ZDF mit der bekannten Journalistin Birte Meier nach jahrelangem Rechtsstreit über Lohnungleichheit auf einen Vergleich geeinigt. Die Journalistin hat dabei nicht nur das bekannte Grundsatzurteil zum Auskunftsanspruch von freien Mitarbeitenden erstreiten können (Bundesarbeitsgericht, 25.06.2020 – 8 AZR 145/19), sondern auch über die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. deutlich gemacht, dass der „Kampf gegen Lohnungleichheit“ weitergehen und zunehmend medienwirksam bleiben wird. Unternehmen sollten daher nicht zuletzt wegen des Engagements von Non-Profit-Organisationen in diesem Bereich verstärkt ihre Entgeltsysteme in den Blick nehmen und auf Diskriminierungsfreiheit prüfen.
Sozialversicherungsrechtliche Risiken
Darüber hinaus können auch erhebliche sozialversicherungsrechtliche Risiken für Arbeitgeber bestehen. Aufgrund des im Sozialversicherungsrecht geltenden „Entstehungsprinzips“ hätte auf den zu Unrecht nicht gezahlten Lohn eine Verbeitragung für den verjährungsrelevanten Zeitraum erfolgen müssen. Entlohnt der Arbeitgeber also eine größere Anzahl von Arbeitnehmenden eines Geschlechts schlechter, kann dies durchaus teuer und möglicherweise im „worst case“ auch strafbar werden.
Betriebsrats- und Mitbestimmungsthemen
Auch für Betriebsräte dürfte das Thema Equal-Pay höchst interessant sein. Sie haben umfassende Kontroll- und Einsichtsrechte, wie etwa in Gehalts- und Lohnlisten. Zudem stehen ihnen auch Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Vergütungsausgestaltung (§ 87 Nr. 10, 11 Betriebsverfassungsgesetz) sowie Ein- und Umgruppierungen (§ 99 Betriebsverfassungsgesetz) der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu.
Ausschlussklauseln
Im konkreten Fall hat das Bundesarbeitsgericht die Ausschlussklausel für unwirksam erachtet, da diese die Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb von weniger als drei Monaten vorsah. Allerdings dürfte im Hinblick auf die Entgeltgleichheit als wichtiger Grundsatz des Europarechts höchst fraglich sein, ob Ausschlussklauseln in diesem Zusammenhang überhaupt wirksam ausgestaltet werden können. Mangels Rechtsprechung bleibt dies noch abzuwarten, jedoch sollten sich Arbeitgeber vor diesem Hintergrund nicht darauf verlassen, dass eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel im Falle der Geltendmachung von Zahlungsansprüchen aufgrund von Lohndiskriminierung schützend greift.
Due Diligence und Unternehmenstransaktionen
Das Thema Lohngleichheit kann auch eine wichtige Rolle bei Unternehmenstransaktionen spielen. So wird man bei Lohnlisten zumindest die Frage stellen müssen, ob der Lohn diskriminierungsfrei konzipiert und gezahlt wird. Bereits jetzt werden entsprechende Fragen in der Due Diligence gestellt. Zudem müssen derartige Risiken durch Garantien und/oder Freistellungen abgemildert werden. Wichtig: Das Thema betrifft auch die betriebliche Altersversorgung.
Vergütungs- und Lieferketten-Compliance als europarechtlich beeinflusster „Hot Topic“
Mit Blick auf die Rechtsprechung und auch bestehende europarechtliche Rahmenbedingungen sollten Arbeitgeber daher einen kritischen Blick auf ihre Vergütungssysteme werfen und prüfen, inwieweit diese die entgeltliche Gleichbehandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abbilden und ob hinreichend Transparenz in Bezug auf Entlohnungsstrukturen – zur Vermeidung von Diskriminierungen bei der Gehaltsfestlegung – besteht. Arbeitgebern ist im Hinblick auf das jüngste Urteil sowie auf erweiterte Auskunfts- und Berichtspflichten zum unternehmensinternen Lohngefälle dringend zu raten, Maßnahmen zu ergreifen, um geschlechtsbezogene Ungleichbezahlungen zu vermeiden.
An erster Stelle sollte dabei eine gründliche Analyse der bestehenden internen Vergütungsstrukturen stehen. Denn Unterschiede sind zukünftig nur noch dort zulässig, wo sie sich durch einen konkreten, objektiven und geschlechtsneutralen Umstand, etwa die fachliche Qualifikation oder die Berufserfahrung, rechtfertigen lassen und nicht nur vorgeschoben sind. Und auch wenn die im Juni 2023 in Kraft getretene Entgelttransparenzrichtlinie „erst“ bis 2026 umzusetzen ist, sollten Unternehmen den Zeitraum bis dahin schon einmal effizient nutzen, um ihre Gehaltssysteme umzustellen – denn ab 2026 kommen umfangreiche Auskunfts- und Berichtspflichten auf Arbeitgeber zu.
Zusätzliche Herausforderung für viele Unternehmen dürfte zudem das seit dem 1. Januar 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz) sein. Das Gesetz erlegt Unternehmen ab einer bestimmten Größe umfangreiche Pflichten auf. So müssen diese beispielsweise dafür Sorge tragen, dass entlang ihrer gesamten Lieferkette Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Unternehmen sind daher mit Blick auf arbeitsrechtliche Aspekte dazu angehalten, sicherzustellen, dass entlang ihrer Lieferkette ein angemessener Lohn gezahlt wird, der mindestens dem jeweils geltenden gesetzlichen Mindestlohn entspricht. Dabei sieht das Lieferkettengesetz ebenfalls ein Gleichbehandlungsgebot vor, sodass eine geringere Bezahlung, abhängig vom Geschlecht eines Mitarbeitenden, nicht zulässig ist.
Fazit
Unternehmen weht zunehmend ein europarechtlicher Wind entgegen. Es wird deutlich, dass das Thema Equal-Pay nicht nur eine rechtliche Verpflichtung darstellt, sondern ein entscheidender Faktor bei der Schaffung eines gerechten und motivierenden Arbeitsumfelds ist. Daher sollten sich Arbeitgeber, neben einer diskriminierungsfreien Bezahlung, der Einhaltung von Mindestlohnerfordernissen und Transparenz, auch um eine regelmäßige Überprüfung ihrer Entgeltsysteme – soweit überhaupt bereits vorhanden – sowie um Schulungen ihrer Personalabteilungen bemühen. Eben nicht nur zur Minimierung rechtlicher Risken, sondern auch, um im „War of Talents“ weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben.