Lüge am Arbeitsplatz mit fatalen Folgen

Arbeitsrecht

Die in § 241 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch geregelte Rücksichtnahmepflicht verpflichtet Arbeitgeber aber auch Arbeitnehmende auf die Rechte, Rechtsgüter und schutzwürdigen Interessen des anderen Teils im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Rücksicht zu nehmen. Ohne Zweifel hat der Arbeitgeber auch ein Fragerecht und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat grundsätzlich auf Fragen Rede und Antwort zu stehen. Es gibt bekanntermaßen unzulässige Fragen, wie zum Beispiel die Frage nach einer Schwangerschaft im Bewerbungsgespräch oder nach einer Schwerbehinderung, soweit diese keinen Bezug zur Tätigkeit hat. Eine zulässig gestellte Frage muss jedoch wahrheitsgemäß beantwortet werden. Was gilt aber, wenn der Arbeitnehmende sich mit der wahrheitsgemäßen Antwort selbst belasten würde und damit womöglich seinen Arbeitsplatz verlieren könnte? Eine Antwort liefert die Entscheidung des Landesarbeitsgericht Hamm vom 27. Januar 2023 (13 Sa 1007/22).

Der Fall

Die schwerbehinderte Klägerin war seit acht Jahren beanstandungsfrei bei dem Beklagten als Raumpflegerin beschäftigt, als sie während der morgendlichen Arbeitszeit den Betrieb zu einer Kaffeepause im gegenüber liegenden Frühstückscafé verließ. Sie meldete sich jedoch nicht in dem elektronischen Zeiterfassungssystem ab und hatte zuvor Kolleginnen erzählt, sie ginge in den Keller. Der Betriebsinhaber, der von anderen Mitarbeiterinnen auf ein entsprechendes Verhalten der Klägerin aufmerksam gemacht worden war, beobachtete die Klägerin an diesem Morgen in dem Café und machte mit seinem Handy Aufnahmen. Er brachte durch einen Telefonanruf im Betrieb in Erfahrung, dass sich die Klägerin nicht ausgeloggt hatte. Als sie in das Firmengebäude zurückkehrte, konfrontierte der Chef sie mit seinen Beobachtungen. Die Klägerin entgegnete, dass er sich irren müsse, sie habe sich im Keller aufgehalten. Erst nach dem Hinweis, dass Fotos existierten, räumte sie die Vertragsverletzung ein. Die beim Inklusionsamt beantragte Zustimmung zur Kündigung der schwerbehinderten Klägerin wurde mit Bescheid vom 27. Oktober 2021 erteilt. Darauf erklärte der Beklagte die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung.

Die Entscheidung

Ebenso wie das Arbeitsgericht hielt auch das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung für rechtswirksam und wies die Klage ab. Lehrreich für die Praxis ist an diesem Fall die Bedeutung, die das Landesarbeitsgericht der Lüge der Arbeitnehmerin beigemessen hat.

Zunächst stellte das Landesarbeitsgericht fest, dass selbstverständlich ein nachgewiesener Arbeitszeitbetrug als vorsätzlicher Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten grundsätzlich den für eine fristlose Kündigung notwendigen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch darstellt. Diese Pflichtverletzung bedeute schon für sich einen schwerwiegenden Vertrauensbruch und die Arbeitnehmerin verletzt damit in erheblicher Weise die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß Bürgerliches Gesetzbuch.

Die Klägerin war der Auffassung, dass die Kündigung weder fristlos noch innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist gerechtfertigt sein könne. Sie bemühte zu ihrer Verteidigung die erwartbaren Argumente: Sie sei doch nur kurz Kaffeetrinken gewesen, es habe sich auch nur um ein einmaliges Verhalten gehandelt. Auch habe sie es schlicht vergessen, sich auszustempeln. Sie habe also nicht vorsätzlich gehandelt. Die Klägerin verwies sogar darauf, dass andere Mitarbeitende doch auch gelegentlich vergessen hätten, sich auszuloggen. Ihr vehementes Leugnen im Gespräch mit dem Chef wiederum sei nur darauf zurückzuführen gewesen, dass ihr die Sache peinlich gewesen sei. Zu ihren Gunsten sei auch zu berücksichtigen, dass sie noch keine Abmahnung erhalten habe, dass somit das Arbeitsverhältnis bis dahin vollkommen störungsfrei verlaufen sei.

Diese Verteidigung überzeugte das Landesarbeitsgericht nicht. Auch ein einmaliger und nur relativ kurzer Vertragsbruch, der zu keinem oder nur zu einem geringen wirtschaftlichen Schaden führt, kann ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung sein. Das Landesarbeitsgericht kann hierzu auf einschlägige Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts verweisen.

Vertrauensverlust durch vorsätzliche Lüge

Die bei jeder verhaltensbedingten Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung müsse notwendig zu Lasten der Klägerin ausfallen. Ihre Kündigung stelle sich nicht als im Einzelfall unverhältnismäßig dar, insbesondere sei eine Abmahnung entbehrlich.

An dieser Stelle wirkte sich insbesondere die Lüge fatal zu Lasten der Klägerin aus: Gerade das Nachtatverhalten, in dem sie zunächst beharrlich geleugnet hatte, habe zu dem irreparablen Vertrauensverlust bei dem Arbeitgeber geführt, der es unzumutbar mache, mildere Maßnahmen zu ergreifen. Nicht einmal das Abwarten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei ihm angesichts dieses Verhaltens zumutbar. Spätestens, als der Beklagte sie auf die fehlerhafte Zeiterfassung angesprochen hatte, hätte sie ihr Versäumnis sogleich einräumen müssen, so das Landesarbeitsgericht. Die Klägerin könne nicht damit gehört werden, dass ihr Verhalten ihr peinlich gewesen sei. Dies ändere nichts daran, dass die Lüge in dem Moment vorsätzlich erfolgte und ein Vertrauen unmöglich mache. Das Arbeitsgericht hatte schon in erster Instanz ausgeführt, dass die schutzwürdigen Interessen der Klägerin, die nach achtjähriger – unbeanstandeter – Betriebszugehörigkeit in ihrem Alter von 62 Jahren und als Schwerbehinderte voraussichtlich reduzierte Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe, könnten hier nicht den schweren Vertrauensbruch überwiegen.

Störung des Betriebsfriedens

Gerade auch im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Erforderlichkeit der Abmahnung fiel die Lüge ins Gewicht: Zwar ist nach der Rechtsprechung bei einem steuerbaren Verhalten eines Arbeitnehmenden grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten durch die Androhung einer Kündigung positiv beeinflusst werden könne und damit eine Abmahnung vorrangig sei. Dies gilt aber nicht bei besonders schweren Pflichtverletzungen, bei denen selbst die erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber – für den Arbeitnehmenden erkennbar – objektiv nicht zumutbar ist.

Eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung erkannte das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall. Der gesamte Vorgang sei auf ein Verheimlichen und Verschleierung angelegt und die Lüge hat den durch den Arbeitszeitbetrug begangenen Vertrauensbruch noch vertieft. Das nötige Vertrauen könne nicht wiederhergestellt werden. Gerade die Lüge spreche auch gegen die Behauptung, sie habe das Ausloggen zur Pause doch nur vergessen. Die Klägerin habe dem Arbeitgeber „ins Gesicht gelogen“. Hierauf konnte der Beklagte nicht mehr darauf vertrauen, dass sie sich nicht auch in der Zukunft unredlich verhalte, um sich persönliche Vorteile zu erschleichen. Das Landesarbeitsgericht verzichtete auf nähere Ausführungen zu dem Umstand, dass andere Mitarbeitende den Arbeitgeber auf ein mögliches vertragswidriges Verhalten aufmerksam gemacht hatten. Das Arbeitsgericht hatte diesbezüglich zusätzlich auch eine Störung des Betriebsfriedens im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin erkannt.

Empfehlungen für die Praxis

Versuchen Arbeitnehmende sich mit einer Lüge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen, kann gerade dies das Arbeitsverhältnis besonders gefährden. Interessant ist dieser aktuelle Fall im Zusammenhang mit Befragungen durch den Arbeitgeber bei Compliance-Untersuchungen oder bei der Anhörung zu einer im Raume stehenden Verdachtskündigung. Das Bundesarbeitsgericht hatte schon in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2005 zu einem Fall des Arbeitszeitbetruges ausgeführt, dass sich ein Pflichtverstoß noch verstärke, wenn ein Arbeitnehmender nicht sogleich in der ersten Anhörung sein Fehlverhalten einräume.

Das Bundesarbeitsgericht erkennt zwar an, dass es einem Mitarbeitenden nicht zuzumuten ist, sich durch eine Aussage selbst zu belasten – dies womöglich auch noch mit strafrechtlichen Konsequenzen. Er darf schweigen, ohne dass dies eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht darstellen würde. Jedoch: Wenn der Arbeitnehmende sich dazu entscheidet, nicht zu schweigen, etwa um die ihn entlastenden Umstände vorzubringen und aufzuklären, so ist er verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Es ist den Arbeitgebern zu empfehlen, dass bei Sachverhalten, die eine verhaltensbedingte Kündigung nahelegen, immer auch eine Anhörung des Mitarbeitenden stattfindet, die protokolliert und von Personen geführt wird, die in einem Kündigungsschutzprozess auch als Zeugen aussagen dürfen. Vorsätzlich falsche Angaben aus der Anhörung können dann mit Aussicht auf Erfolg als zusätzlicher Kündigungsgrund herangezogen werden.

Die Pflicht, wahrheitsgemäß Auskunft zu geben, gilt vorgerichtlich, aber auch und umso mehr im Arbeitsgerichtsprozess. Hier trifft den Arbeitnehmenden noch zusätzlich die prozessuale Wahrheitspflicht. Er riskiert bei bewusst wahrheitswidrigem Vortrag den Vorwurf des Prozessbetruges und produziert damit einen weiteren Kündigungsgrund. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg sieht regelmäßig in einer vorsätzlich unwahren Sachverhaltsdarstellung in einem gerichtlichen Verfahren eine Rechtfertigung für eine außerordentliche Kündigung (22.01.2020 – 6 Sa 297/19).

Auflösungsantrag nach § 9 Kündigungsschutzgesetz

Es ist hier in Erinnerung zu rufen, dass der Arbeitgeber auf die Lüge im Prozess auch noch den sogenannten Auflösungsantrag nach § 9 Kündigungsschutzgesetz stützen kann: Selbst wenn das Arbeitsgericht eine verhaltensbedingte Kündigung aus dem Sachverhalt nicht als gerechtfertigt ansieht, kann der Arbeitgeber beantragen, das Arbeitsverhältnis – dann freilich immer nur gegen Zahlung einer Abfindung – aufzulösen, weil eine den Betriebszwecken dienliche weitere gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden nicht mehr zu erwarten ist. Ein solcher Umstand wäre es, wenn der Arbeitnehmende im Prozess zu der Kündigung unwahr vorträgt, um seine Prozesschancen zu erhöhen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag für das Gericht überhaupt in der Beurteilung der Kündigung entscheidungserheblich war. Selbst der untaugliche Versuch eines Prozessbetruges soll das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmenden irreparabel zerstören können. Sollte das Arbeitsgericht zu der Überzeugung gelangen, die Kündigung sei zwar unwirksam, ein Kläger habe im Kündigungsrechtsstreit aber bewusst wahrheitswidrig vorgetragen, so wäre hierin ein ganz erhebliches „Auflösungsverschulden“ zu sehen, das eine gute Zusammenarbeit in der Zukunft undenkbar erscheinen lässt. Dieses muss regelmäßig trotz der Unwirksamkeit der Kündigung zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Das unredliche Agieren des Arbeitnehmers berechtige zudem zu einer Verringerung der Abfindung auf das geringstmögliche Niveau der Regelabfindung von 0,5 Monatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit, urteilten Bundes- und Landesarbeitsgericht im Jahr 2018.

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Helge Röstermundt, Rechtsanwalt bei Heussen

Helge Röstermundt

Helge Röstermundt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am Standort Berlin.

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