Wie so oft stellt sich auch bei der Massenentlassungsanzeige regelmäßig die Frage, ob man den Buchstaben des Gesetzes vertrauen kann oder ob die in Teilen darüber hinausgehende Rechtsprechung beziehungsweise Verwaltungspraxis entscheidend ist? Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst in einem praxisrelevanten Kontext für Klarheit gesorgt.
Wenn im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen die maßgeblichen Schwellenwerte überschritten werden, stellen das Konsultationsverfahren sowie die korrekte Erstattung der Massenentlassungsanzeige laut Kündigungsschutzgesetz mittlerweile eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Denn die Anforderungen, die die deutschen Gerichte an den Arbeitgeber stellen, wurden in den letzten Jahren ständig erhöht; bis jetzt.
Laut Kündigungsschutzgesetz muss die zu erstattende Massenentlassungsanzeige mindestens folgende Angaben enthalten: den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes, die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Mitarbeitenden, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorzunehmen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Beschäftigten (sogenannte Muss-Angaben). Darüber hinaus regelt das Gesetz, dass in der Anzeige im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Personen gemacht werden sollen (sogenannten Soll-Angaben).
In einem vom Bundesarbeitsgericht jüngst entschiedenen Fall (Urteil vom 19. Mai) kündigte eine Arbeitgeberin, die regelmäßig mehr als 20 Personen beschäftigte, in der Zeit vom 18. Juni 2019 bis zum 18. Juli 2019 insgesamt 17 Mitarbeitenden. Die Arbeitgeberin erstattete vor Ausspruch dieser Kündigungen eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit und fügte dieser nicht das Formblatt mit den Soll-Angaben bei. Eine von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage und argumentierte, die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung sei aus diesem Grund unwirksam.
Fehlen der Soll-Angaben führt nicht zur Unwirksamkeit
Das Landesarbeitsgericht Hessen hatte der Arbeitnehmerin noch recht gegeben und vertreten, dass eine Massenentlassungsanzeige ohne die Soll-Angaben unwirksam sei. Zur Begründung verwies die Kammer auf eine richtlinienkonforme Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der europäischen Massenentlassungsrichtlinie. Diese verlange für die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige, dass diese alle zweckdienlichen Angaben enthalte, wozu auch die im Kündigungsschutzgesetz genannten Soll-Angaben gehören. Die nationale Regelung sei einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich, da eine solche mit dem aus der Entstehungsgeschichte ersichtlichen Willen des deutschen Gesetzgebers vereinbar sei und ihr auch nicht der Wortlaut der Norm und die Gesetzessystematik entgegenstünden. Diese Auffassung teilte das Bundesarbeitsgericht nicht: Das Fehlen der sogenannten Soll-Angaben nach führt nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige. Es hob daher das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgerichts Hessen zurück. Zur Begründung führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass das Fehlen der Soll-Angaben nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige führe, da das Gesetz klar zwischen bloßen Soll-Angaben und zwingenden Muss-Angaben unterscheide. Über diese gesetzgeberische Wertung könnten sich nationale Gerichte nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hinwegsetzen. Zusätzlich stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass die vom Landesarbeitsgericht Hessen für erforderlich erachtete, richtlinienkonforme Auslegung auch nicht geboten sei. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage sei eindeutig: Die im Kündigungsschutzgesetz geregelten Soll-Angaben seien auch nach der Massenentlassungsrichtlinien kein zwingender Bestandteil der Anzeige.
Die klare Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen, sowohl in rechtsdogmatischer wie auch in praktischer Hinsicht. Rechtlich kann der Begründung nur zugestimmt werden. Für die praktische Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes setzt sie der bisweilen ausufernden Tendenz hinsichtlich der Anforderungen an eine Massenentlassungsanzeige – sowohl durch die nationalen Gerichte, aber auch durch die Arbeitsverwaltung selbst – klare Grenzen. Sie dient dadurch der Rechtssicherheit, auch wenn die Frage der Wirksamkeit einer erstatteten Massenentlassungsanzeige wegen der ansonsten fortbestehenden, hohen Hürden weiterhin ein erhebliches Risiko bei Restrukturierungsmaßnahmen darstellt. Trotz der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gilt daher weiterhin, dass Arbeitgeber, die größere Personalabbaumaßnahmen beabsichtigen, diese weiterhin frühzeitig rechtlich bewerten und den weiteren Prozess sorgfältig planen müssen, um Fehler mit gravierenden Auswirkungen auf die späteren Kündigungen zu vermeiden.