Bewirbt sich eine schwerbehinderte (mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50) oder durch Bescheid von der Agentur für Arbeit mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte (mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30 und von unter 50) Person bei einem öffentlichen Arbeitgeber auf eine Stelle, für welche sie fachlich nicht offensichtlich ungeeignet ist, muss der Arbeitgeber sie nach Paragraf 165 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch zwingend zu einem Vorstellungsgespräch einladen.
Sagt die schwerbehinderte Person das Gespräch aus Termingründen ab und teilt dem Arbeitgeber einen gewichtigen Grund für die Verhinderung mit, sollte der Arbeitgeber einen Ausweichtermin anbieten, um keine Schadensersatzklage wegen Diskriminierung zu riskieren. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Sachverhalt
Die beklagte Stadt schrieb eine Stelle für „Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht“ aus. Auf diese Stelle bewarb sich die klagende Partei, die zweigeschlechtlich geboren wurde, unter Hinweis auf ihre Schwerbehinderung. Auf ihre anschließende Einladung zu einem Vorstellungsgespräch teilte sie der Stadt per E-Mail mit, dass sie an dem betreffenden Tag „schon einen anderen Termin in Brandenburg“ habe und deshalb um einen Ersatztermin bitte. Diese Bitte lehnte die Stadt ab und verwies darauf, dass das Stellenbesetzungsverfahren nicht weiter verzögert werden solle.
Die klagende Partei verlangte daraufhin von der beklagten Stadt die Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung. Sie sei aufgrund ihrer Schwerbehinderung diskriminiert worden, da die Beklagte ihr als öffentlicher Arbeitgeber einen Ausweichtermin für das Vorstellungsgespräch hätte gewähren müssen. Zudem habe sie durch die Verwendung des Gendersterns in der Stellenausschreibung („Fallmanager*innen“) eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts erfahren. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.
Entscheidung
Mit Urteil vom 23. November 2023 (8 AZR 164/22) hat das BAG einen Entschädigungsanspruch zwar im Ergebnis ebenfalls verneint, dies aber letztlich nur wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles. Zum einen hatte die klagende Partei im Streitfall keinerlei Angaben zur Art und Bedeutung ihres anderweitigen Termins gemacht, sondern bloß pauschal „auf einen anderen Termin in Brandenburg“ hingewiesen. Zum anderen konnte die beklagte Stadt belegen, dass sie die ausgeschriebene Stelle dringend besetzen musste, in dem betreffenden Jahr über 200 Stellenbesetzungsverfahren durchzuführen hatte und die Auswahlkommission aufgrund anderer Termine zeitnah nicht nochmals zusammenkommen konnte.
Im Grundsatz entschied das BAG jedoch, dass ein öffentlicher Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen auch einen Ersatztermin für das Vorstellungsgespräch anbieten muss, wenn
- die schwerbehinderte Person ihre Verhinderung vor der Durchführung des ersten Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitgeteilt hat und
- dem Arbeitgeber das Anbieten eines Ersatztermins in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zumutbar ist.
Insbesondere bei einer kurzfristigen Erkrankung sei dem Arbeitgeber eine Verschiebung des Vorstellungstermins bei organisatorischer Machbarkeit regelmäßig zumutbar, stellte das BAG klar. Gleiches gelte, falls der schwerbehinderte Bewerber die Verhinderung mit einer vorübergehenden Ortsabwesenheit oder einer zeitlichen Kollision mit einem anderen Termin begründet und belegt hat, zum Beispiel bei einer gebuchten Urlaubsreise oder einem Arztbesuch.
Darüber hinaus stellt das BAG-Urteil klar, dass die Verwendung des sogenannten Gendersterns in einer Stellenausschreibung zulässig ist. Zwar habe die Stellenausschreibung geschlechtsneutral zu erfolgen und müsse sich an Menschen aller Geschlechter richten, nicht nur an Männer und Frauen. Durch die Verwendung des Gendersterns werde jedoch gerade zum Ausdruck gebracht, dass das Geschlecht keine Rolle spiele. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht dränge der Genderstern kein „drittes Geschlecht als Lückenbüßer zwischen Mann und Frau“ und verleugne auch nicht die Existenz zweigeschlechtlicher Menschen.
Praxishinweise
Öffentlichen Arbeitgebern ist zu raten, schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber stets zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen und ihnen bei Angabe eines konkreten Hinderungsgrundes auch einen Ausweichtermin anzubieten. Andernfalls läuft der Arbeitgeber Gefahr, mit einer Schadensersatzklage wegen Diskriminierung konfrontiert zu werden.
Anders als öffentliche Arbeitgeber haben private Arbeitgeber keine generelle Pflicht, schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zu einem Gespräch einzuladen. Allerdings lauern auch für private Arbeitgeber einige Fallstricke bei Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen. So müssen beispielsweise (auch) private Arbeitgeber sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch den Betriebsrat über vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach deren Eingang unterrichten. Erst kürzlich hat das BAG mit Urteil vom 14. Juni 2023 (8 AZR 136/22) einem schwerbehinderten Bewerber eine Entschädigung von 7.500 Euro zugesprochen, weil das Unternehmen nicht den Nachweis erbrachte, dass es seinen Betriebsrat über die Bewerbung unterrichtet hatte.
Um kostspielige Fehler im Bewerbungsverfahren zu vermeiden, bietet es sich für Arbeitgeber an, Mitarbeitenden mit HR-Funktion eine Checkliste für den Umgang mit Bewerbungen von schwerbehinderten und mit ihnen gleichgestellten Menschen zur Seite zu stellen.