Achtsamkeit fördert das psychische Wohlbefinden und die Produktivität. Wie können Unternehmen ihren Mitarbeitern das Trendthema zugänglich machen?
Immer mehr Ausfälle im Arbeitsalltag sind auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse geht hervor, dass im vergangenen Jahr 277 Fehltage (pro 1000 Versicherungsjahre) durch psychische Auswirkungen von Stress wie Depression und Burnout bedingt waren. Da laut Deutschem Gewerkschaftsbund rund 67 Prozent aller Arbeitnehmer trotz Krankheit zur Arbeit gehen, ist der Produktivitätsverlust durch diese Erkrankungen potenziell noch größer. Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, bis dato die unangefochten Hauptgründe für Fehlzeiten und Produktivitätsverlust in Deutschland, waren 2018 für 272 Fehltage verantwortlich.
Wie bei allen Gesundheitsthemen teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch beim Aspekt des psychischen Wohlbefindens die Verantwortung. Die wachsende Anzahl an Angeboten zu Stressregulation und Entspannungstechniken in Unternehmen verdeutlicht, dass die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ein Thema ist, welches sowohl in Führungskreisen als auch auf Mitarbeiterebene allseits auf große Nachfrage stößt. Welche Rolle kann hier das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) übernehmen und was kann es leisten?
Trendthema Achtsamkeit – sensibilisieren und fördern
Wirksame und nachhaltige BGM-Maßnahmen sensibilisieren die Belegschaft im ersten Schritt für relevante Gesundheitsthemen und bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Mitarbeiter zum selbstständigen Erlernen eines wirksamen, gesundheitsdienlichen Verhaltens zu befähigen. Wo jedoch bspw. für das Handlungsfeld Bewegung eine sehr direkte Einflussnahme nach dem Schema “Mehr / weniger von X ist besser” möglich ist, gestaltet sich die Förderung psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz weniger eindeutig. Ein Ansatz, der in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt gerückt ist, wenn es um Entspannung und Stressmanagement geht, ist die Achtsamkeit.
Als Achtsamkeit wird das bewusste, wertungsfreie Wahrnehmen des Moments und die Bündelung der Aufmerksamkeit auf die aktuelle Situation bezeichnet – kurzum, das Leben im Hier und Jetzt. Da der Alltag vieler Arbeitnehmer jedoch durch permanente Anforderungen und ein Gefühl der ständigen Erreichbarkeit geprägt ist, kann dieser Bezug zur Gegenwart leicht verloren gehen. Schon morgens beim Frühstück bereitet man sich gedanklich auf die bevorstehenden Termine vor, auf dem Arbeitsweg wird bereits der erste Anruf getätigt und selbst im Urlaub kreisen die Gedanken um den vollen Schreibtisch im Büro. Studien zeigen: Mehr als 50 Prozent der Zeit erledigen wir unsere Aufgaben wie im Autopilot und stecken im Gedankenkarussell fest. Mit dem Ansatz der Achtsamkeit wird dieser Zerstreuung der Aufmerksamkeit entgegengewirkt, denn durch die bewusste Konzentration auf den Moment und die punktuell fokussierte Wahrnehmung werden ständige Gedankensprünge vermieden und Störeinflüsse der Umwelt ausgeblendet. Für den Körper bedeutet das eine Reduktion der auf ihn einwirkenden Stressimpulse.
Was sich im ersten Moment abstrakt anhört, ist ein altbewährter, traditionsreicher Ansatz. Achtsamkeit bildet die Grundlage verschiedenster moderner Stressreduktionsprogramme und Therapieformen. Nachgewiesener Weise wirkt sich das regelmäßige Praktizieren von Achtsamkeit positiv auf Konzentrationsvermögen, Erinnerungsfähigkeit, Vitalität, Wohlbefinden, Kreativität sowie die Stresswiderstandsfähigkeit aus. Besonders interessant im Businesskontext: Entscheidungen können klarer und durchdachter getroffen werden und auch das Charisma steigt. Das achtsame Wahrnehmen des Moments und der persönlichen Umwelt kann trainiert werden. Schon das bewusste Genießen des morgendlichen Kaffees kann zur Achtsamkeitspraxis werden. Eine besonders wirksame Methode, die eigenen Gedanken auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, ist die Meditation.
Meditation: Achtsamkeit im Unternehmen zugänglich umsetzen
Vor allem in stressigen Zeiten mit hoher zeitlicher Belastung tendieren wir dazu, ausgleichende Aktivitäten zu vernachlässigen – also genau dann, wenn wir deren Erholungseffekt am meisten brauchen. Achtsamkeitstrainings, zum Beispiel in Form von Meditation, können einen Teil dieses nötigen Ausgleichs liefern und zwar niedrigschwellig, in kürzester Zeit, direkt am Arbeitsplatz.
Meditationstechniken ermöglichen es, die Konzentration so zu fokussieren, das belastende Gedanken in den Hintergrund treten. Dabei ist nachgewiesen, dass Meditation unter anderem das akute Stressempfinden reduzieren und die kognitiven Funktionen so augenblicklich steigern kann. Angeleitet oder im Selbsttraining lässt sich Meditation überall da durchführen, wo ein Stuhl und etwas Ruhe vorhanden sind. Durch die gezielte Bündelung der Aufmerksamkeit auf die eigenen Atemzüge (Atemmeditation) oder das An- und Entspannen von Muskeln (progressive Muskelentspannung) bleibt kaum kognitive Kapazität, um sich mit Sorgen, Ärgernissen oder dem nächsten Termin zu befassen. Gleichzeitig wird durch Meditation der Parasympatikus stimuliert, jener Teil des Nervensystems, der für Entspannungsreaktionen und Regeneration im Körper verantwortlich ist.
Um Motivation und Wohlbefinden über den Arbeitsalltag hinweg zu gewährleisten, sind Erholungsmomente notwendig, mögen sie auch noch so kurz sein. Damit diese Pausen auch wirklich erholsam sind, ist ein innerliches Loslösen von aktuellen Aufgaben und Belastungen wichtig. Dieses sogenannte Abschalten (engl: detachment) ist auch der Grund dafür, dass wir uns am Wochenende oder im Urlaub entspannen können. Meditation kann uns den Zugang zum innerlichen Abschalten ermöglichen.
Die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung im Kontext der betrieblichen Gesundheitsförderung sind vielfältig: Im Rahmen eines Achtsamkeitstrainings kann auf die Wichtigkeit von Entspannung und Ausgleich eingegangen und ein Grundverständnis für Entspannungsprozesse im Körper geschaffen werden. Wirksame Angebote können Impulsvorträge, praktische Workshops oder aufeinander aufbauende Seminarreihen umfassen. Aktives Entspannen sowie regelmäßiges Abgrenzen von Belastungen und Stress sind wichtige Mechanismen zur Stärkung der psychischen und psychosozialen Gesundheitsressourcen sowie zur Vorbeugung und Reduzierung spezifischer gesundheitlicher Risiken.
Kostprobe: Achtsamkeitsmeditation
Eine einfache Achtsamkeitsmeditation, die sich problemlos in der kleinen Pause zwischendurch ausprobieren lässt, ist die 4-7-8-Atemtechnik. Mit ihr können mentaler Fokus und innere Ruhe in kürzester Zeit wiederhergestellt werden. Eine detaillierte Anleitung finden Sie in diesem Artikel.
Um in einen Zustand vollständiger Entspannung zu kommen, braucht es etwas Übung. Angeleitete Meditationen können vor allem Neueinsteigern das Fokussieren auf den Moment erleichtern. Dabei sind Atemmeditationen besonders beliebt, da unser Atem einen direkten Einfluss aufs vegetative Nervensystem hat und dadurch kurzfristig Druck- und Stresssituationen lösen kann. Für einen leichten Einstieg in die Technik der Atemmeditation wird die Aufmerksamkeit auf den natürlichen Atemrythmus gelenkt und die Reaktionen des Körpers werden beobachtet. Hierbei kann man sich auf das Heben und Senken des Brustkorbs sowie das Gefühl des Luftzugs beim Ein- und Ausatmen konzentrieren. Darüber hinaus können verschiedene Atemtechniken, bei denen beispielsweise die Länge der Atemzüge variiert wird, die Entspannungsreaktion im Körper noch vertiefen.
Auch Gedankenreisen werden in der Achtsamkeitsmeditation gern eingesetzt. Hierbei werden die Gedanken der Meditierenden im Rahmen einer Geschichte oder eine Beschreibung in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das angeleitete Visualisieren bestimmter Landschaften oder Szenerien lenkt von Sorgen ab und lässt die Gedanken zur Ruhe kommen. Vor allem sehr detaillierte Beschreibungen sind hier wirksam und regen die Phantasie und Kreativität an. Gedankenreisen und Atemmeditationen können auch verknüpft werden.