Sich weiterbilden, Karriere machen, einen neuen Posten annehmen – vielen Mitarbeitern fallen solche Veränderungen schwer, manche entwickeln sogar regelrechte Versagensängste. Wie Unternehmen gegensteuern können.
Mohanna Azarmandi kennt sich mit Sorgen rund ums Lernen in Firmen aus: Die studierte Psychologin entwickelt als Chief Learning Officer bei Microsoft Deutschland Qualifizierungsstrategien für Mitarbeiter. Ihre Erfahrung: Menschen kommunizieren Ängste und Schwächen im Job nur dann, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihnen daraus keine Nachteile entstehen. Es geht dabei freilich nicht darum, vor Kollegen seine Inkompetenz offenzulegen und Verständnis zu erwarten. „Aber unabhängig von der Karrierestufe von Praktikanten bis zum Präsidenten hat man faktisch nie ausgelernt. Daher sollte man entsprechend auch zugeben dürfen, was man alles nicht kann und weiß“, sagt Azarmandi. „Anders können wir uns nicht weiterentwickeln und lebenslanges Lernen in unseren Arbeitsalltag integrieren.“
Dabei wird genau das für Unternehmen immer wichtiger. Der Fachkräftemangel erfordert, dass Unternehmen in stärkerem Maße als bislang mit den Mitarbeitern auskommen, die sie bereits haben – und bei Bedarf eben Qualifikationen nachschulen. Die Sorge, für Unwissenheit abgestraft zu werden, ist aber vielerorts noch groß. Zu dem eigentlichen Umstand, etwas nicht zu können, kommt dann die Angst als Verstärker hinzu, die verhindert, dass man das Problem angeht.
„Angst ist in unserer Leistungsgesellschaft immer noch ein Tabuthema“, sagt Coach Birgit Boettcher aus Düsseldorf. „Viele Menschen schämen sich, wenn sie Angst haben. Für sie hat dieses Gefühl etwas mit Scheitern und Schwäche zu tun.“ Boettcher bietet gezielt Coachings für Mitarbeiter an, in denen sie lernen, ihre Ängste und Blockaden zu erkennen und zu überwinden. Zunächst geht es darum, über Fragen herauszufinden, woher Ängste stammen, die eigene Erlebniswelt zu erkunden. Erst dann lassen sich negative Aspekte bearbeiten, zum Beispiel durch Techniken wie Neuro-
Linguistisches Programmieren. Damit wird versucht, vorhandene negative Gedanken mit regelmäßigem Training positiv zu besetzen, um körperliche Angstreaktionen zu vermeiden.
Microsoft-HR-Managerin Azarmandi beobachtet das Phänomen der Scham insbesondere in Deutschland: „Wenn man etwas nicht weiß oder nicht kann, ist das hierzulande immer noch ein Zeichen von Schwäche“, sagt die Weiterbildungsexpertin. „Ich habe selbst erlebt, dass das in vielen Ländern anders ist. Dort ist es ein Zeichen von Stärke, sich bei anderen Hilfe und Rat zu holen.“ Dahinter steht eine grundsätzlich andere Idee von Zusammenarbeit: Wer sich gleich zu Beginn eines Projekts oder eines neuen Jobs Hilfe von Kollegen holt, agiert proaktiv und selbstbestimmt. Und nicht aus Hilflosigkeit, weil er keinen anderen Ausweg mehr weiß. Zu einer angstfreien Lern- und Bildungskultur zählt deshalb das Einsehen und Bekennen, dass niemand perfekt ist. „Wenn Mitarbeiter in ihrer neuen Position sofort alles können müssen oder auch nur das Gefühl haben, das zu müssen, schreckt das natürlich erst einmal ab“, sagt Azarmandi. „Wichtig ist deshalb ein Austausch auf Augenhöhe mit der Führungskraft, die hier als Coach unterstützen kann.“ Die HR-Managerin beschreibt sich selbst als den Typ „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“: „Jeder neue Job und jede neue Position sind ein Risiko. Ich habe mir immer gesagt: Wenn’s nicht klappt, probiere ich etwas anderes.“
Für Unternehmen ist es wichtig, auch die Mitarbeiter zu fördern, bei denen ein solches Grundvertrauen weniger ausgeprägt ist. Sprich: die sich weiterentwickeln wollen, sich aber von vermeintlichen Hürden abhalten lassen. Mentoring-Programme zum Beispiel können Mitarbeitern helfen, sich zu öffnen. Bei der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) bekommen Kollegen, die zu Partnern befördert worden sind, Unterstützung innerhalb eines sogenannten Transition Coaching: „Wir stellen den Kollegen damit
einen neutralen Berater zur Seite, mit dem sie sich austauschen und Probleme besprechen können, ohne gleich den
Seelenstrip vor dem Chef hinlegen zu müssen“, sagt Oliver Simon, HR-Manager bei EY. „Gerade nach einer Beförderung kann es hilfreich sein, sich über die neuen Anforderungen auszutauschen. Man ist schließlich viel sichtbarer
in der Organisation, zudem in vielen Belangen finaler Entscheidungsträger und damit auch einsamer.“ Angst ist freilich kein guter Ratgeber. „Ich bin aber der Ansicht, dass Unsicherheit und Vorsicht in einem neuen Job oder einer neuen Position bis zu einem gewissen Grad auch hilfreich sind“, sagt Simon. „Man ist dann offen dafür, bestehende Strukturen zu erkennen, in die man hineinwächst und sich einarbeitet. Gleichzeitig ist es wichtig, seine eigenen Stärken zu erkennen und nicht zu versuchen, andere Führungskräfte zu imitieren.“
Lernen, mit Ängsten umzugehen
Wenn Mitarbeiter aber bereits unter konkreten Ängsten leiden, müssen sie das nicht als gegeben akzeptieren. „Erst einmal ist es für den Betroffenen wichtig, Situationen und Muster zu erkennen, wann und wie Angstzustände bei ihm ablaufen“, sagt Coach Alexja Neumann-Günzelmann aus dem unterfränkischen Kreuzwertheim. Ursprünglich ist Angst vor allem ein körperliches Reaktionsmuster, das Menschen in lebensbedrohlichen Situationen die Chance zum Überleben verbessern soll (siehe Kasten auf der nächsten Seite). In der heutigen Jobwelt ist dieses Reaktionsmuster im Gegensatz zum gesunden Respekt vor neuen Situationen aber eher hinderlich. „Menschen brauchen in einer solchen Situation einen Anker, der ihnen Halt gibt“, sagt die Trainerin. Auf die Atmung konzentrieren, die Beine auf den Boden pressen – jedem helfe in Angstmomenten etwas anderes. Im nächsten Schritt üben Betroffene, die sogenannten Erwartungsängste abzubauen, sprich: Mit regelmäßigem mentalem Training so stark zu werden, dass die Angstreaktion gar nicht mehr entsteht. „Das Gehirn ist bequem und nutzt am liebsten gewohnte Wege. Erwartungsängste werden deshalb im Laufe eines Lebens zu einer regelrechten Autobahn. Menschen können
ihr Gehirn aber trainieren, diesen Weg nicht mehr zu gehen“, sagt Neumann-Günzelmann.
Auslöser für Ängste kann gerade ein neuer Job in einer Führungsposition sein: „Viele Menschen haben nach einer Beförderung Selbstzweifel, ob sie der neuen Rolle gerecht werden. Auch dann, wenn sie fachlich eindeutig qualifiziert sind. Sie fühlen sich wie ein Hochstapler, können aber mit niemandem darüber reden“, sagt Neumann-Günzelmann. Wenn das Gefühl der Unsicherheit und Überforderung bleibt, können sich daraus Ängste entwickeln. Typisch sind Angstattacken bei Präsentationen, Vorträgen oder wenn jemand ein Meeting leiten muss. Solche Situationen sind für Betroffene wie ein Brennglas, weil alle Augen auf sie gerichtet sind. Manche Arbeitnehmer haben auch schlicht schlechte Erfahrungen gemacht – ein richtig vergeigter Auftritt kann reichen, um Angstzustände auszulösen.
Manche Mitarbeiter suchen dann von sich aus einen Coach auf, andere brauchen jemanden, der sie dazu motiviert. „Oft fällt es den Betroffenen leichter, wenn man gar nicht erst von Angst redet. Sonst entsteht bei vielen Menschen eine emotionale Hürde, gerade im Unternehmensumfeld“, sagt Neumann-Günzelmann. Je weiter oben der betroffene Kollege in der Hierarchie steht, desto schwerer fällt es ihm in der Regel, Ängste vor sich und vor anderen zuzugeben. „Wenn man in diesen Fällen Unterstützung anbieten will, sollte man das positiv formulieren und von einem Skill-Coaching oder einem individuellen Training sprechen“, sagt die Beraterin. Und woran sind solche Kandidaten erkennbar? „Häufig gibt es ein vages Gefühl, dass bei einem Mitarbeiter etwas nicht richtig läuft. Diesem ersten Impuls sollte man vertrauen und das Gespräch suchen“, sagt Neumann-Günzelmann. Denn dieses Gefühl stimme meistens. Das eigentliche Problem anzusprechen und den anderen damit womöglich bloßzustellen, sei dabei oft gar nicht nötig. Besser sei eine Andeutung im Sinne von: „Ich habe das Gefühl, Sie könnten Unterstützung gebrauchen“, verbunden mit dem Angebot eines internen oder externen Coachings. So muss der andere sich im Gespräch nicht komplett offenbaren.
Je größer die Not, desto sichtbarer wird sie: Wenn jemand in bestimmten Situationen stark schwitzt, errötet oder seine Hände zittern, sind das schon ziemlich eindeutige Signale. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitarbeiter sich mehr und mehr verschließt, stiller wird und Situationen wie Präsentationen aus dem Weg geht, indem er sich krankmeldet, einen Kollegen vorschickt oder sonstige Ausreden parat hat. Entsprechend wichtig ist ein Klima, in dem Mitarbeiter bereit sind, sich zu öffnen und ihre Ängste und Zweifel mitzuteilen. Das geht nur, wenn die Chefs von oben eine Kultur vorleben, in der sie selbst auch Zweifel und Sorgen offen kommunizieren. „Nur dadurch entsteht das nötige Vertrauen“, sagt Angst-Coach Birgit Boettcher.
Veranlagung und Sozialisierung
Bleibt die Frage, warum manche Menschen mehr Angst haben als andere. Dafür sind aus Sicht von Psychologen zwei Faktoren maßgeblich: die genetische Disposition und die Sozialisierung, vor allem in der frühen Kindheit, und wie Eltern als Vorbilder mit Ängsten umgehen. „Bei manchen Menschen ist die Unsicherheit so groß, dass es völlig in Ordnung ist, mit dem Job zufrieden zu sein, wie er ist“, sagt Boettcher. Es gibt aber eben auch Mitarbeiter, die kleine Ängste und Unsicherheiten mit sich herumtragen und bei denen sich nur ein Knoten lösen muss, damit sie sich entfalten können. „Häufig haben diese Mitarbeiter andere Stärken, mit denen sie ihre Ängste kaschieren können“, ergänzt die Expertin. „Auf Dauer bleiben sie aber unter ihren Möglichkeiten, weil dieses Kaschieren sie viel Energie kostet, die dann anderswo fehlt.“ Und dann macht es aus Sicht des Arbeitgebers Sinn, nachzuhelfen.
Darüber hinaus müssen sowohl Führungskräfte als auch Personalmanager Mitarbeitern immer wieder klarmachen, dass es sich lohnt, die eigene Komfortzone zu verlassen: „Neues lernen und machen ist immer erst einmal mit Anstrengung verbunden“, sagt Mohanna Azarmandi von Microsoft. „Aber der Aufwand lohnt sich. Das wohlige Gefühl später, es geschafft zu haben und etwas Neues zu können, ist viel größer.“
Übrigens
Der menschliche Körper funktioniert immer noch wie zu Urzeiten: Wenn der Tiger aus dem Busch sprang, war es sinnvoll, dass Hormone den Organismus binnen Sekunden auf maximale Leistung schalteten. Heute reagiert der Körper in Angstsituationen genauso: Adrenalin bringt das Herz zum Rasen, um kämpfen oder möglichst schnell davonrennen zu können. Und die sprichwörtliche Angststarre hat die gleiche Absicht, die Überlebenschance in aussichtslosen Situationen zu verbessern. Wenn Kämpfen und Wegrennen keine erfolgversprechenden Optionen sind, aktiviert das Gehirn den Totstellreflex. Den evolutorischen Sinn vermuten Forscher darin, dass viele Raubtiere bewegungslose und damit vermeintlich bereits tote Tiere nicht angreifen. Zudem wird die Schmerzempfindlichkeit heruntergefahren und damit wohl auch die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit – Forscher erklären Blackouts bei wichtigen Auftritten mit diesem körperlichen Reaktionsmuster. Ob Angststarre oder Herzrasen: Aus heutiger Sicht sind beide Reaktionen natürlich alles andere als hilfreich, um mit schwierigen Situationen im Job fertigzuwerden. Coaches trainieren betroffene Mitarbeiter deshalb dahingehend, dass solche Reaktionsmuster erst gar nicht ablaufen – oder Mitarbeiter sich davon wenigstens nicht völlig aus dem Konzept bringen lassen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Angst. Das Heft können Sie hier bestellen.