Je internationaler ein Unternehmen aufgestellt ist, desto größer sind die strategischen Vorteile eines weltweit einheitlichen Job-Bewertungssystems. Doch selbst in großen, globalen Konzernen werden Job Gradings oft noch als reines Vergütungsthema gesehen. Das ändert sich. Der Automobilkonzern BMW hat sich beispielsweise an einem einheitlichen Bewertungs-System für Stellen in 20 Ländern versucht.
Personalprojekte in einer solchen Größenordnung sind selbst für einen globalen Konzern wie die BMW Group eine außergewöhnliche Herausforderung: Die Human Resources-Abteilung in der Münchener BMW-Zentrale hatte es sich im Jahr 2011 zum Ziel gesetzt, ein einheitliches Funktionsbewertungssystem für alle Tochtergesellschaften weltweit zu entwickeln und global einzuführen. Mit Unterstützung des Beratungsunternehmens Mercer entwickelten die Personaler dazu zunächst mehr als 60 unternehmensspezifische Referenzpositionen, anhand derer alle übertariflichen Stellen im BMW-Konzern bewertet werden sollten. Und dann ging es los: „Wir haben die Welt in drei Scheiben eingeteilt und sie dann Stück für Stück ‚durchgegradet‘“, sagt Johannes Trauth, im zentralen Personalwesen des Automobilkonzerns zuständig für die Themen Vergütung, Arbeitszeit und Funktionsbewertung.
Im ersten Jahr standen die Gesellschaften in den USA, China, Brasilien und der Schweiz auf dem Plan, in den beiden folgenden Jahren wurden nach und nach alle weiteren wichtigen Auslandsstandorte analysiert und bewertet. Und zwar nicht am Reißbrett in der Münchener Konzernzentrale. Sondern in direktem Austausch mit den Kollegen der Personalabteilungen vor Ort. In jedem einzelnen Land. Was das konkret bedeutet, wurde den Projektleitern erst im Zuge der ersten Projektwochen klar: Drei Jahre im Flugzeug, unterwegs auf allen Kontinenten. 2.000 zu bewertende Stellen in 20 Ländern. „Anfangs hatten wir die Idee, dass wir die Kollegen aus den jeweiligen Ländern einfach zu uns nach München zu entsprechenden Schulungen einladen könnten“, sagt Trauth. „Aber es stellte sich schnell heraus, dass ein persönlicher Einsatz in den Ländern vor Ort notwendig sein würde, um das Projekt erfolgreich umzusetzen.“
Ziemlich viel Aufwand für ein Personalverwaltungs-Projekt, denkt sich da wohl mancher Personaler. „Funktionsbewertungssysteme gelten in vielen Unternehmen, selbst in Großkonzernen, oft noch als reines Vergütungsthema“, sagt Dieter Kern, Partner bei Mercer und verantwortlich für die strategischen HR- und Organisationsthemen. Und allein um Vergütungsfragen einheitlich zu regeln, würde sich wohl kaum ein Unternehmen die Mühe machen, ein weltweites Bewertungssystem zu entwickeln und umzusetzen. „Inzwischen erkennen aber immer mehr Unternehmen, dass ein konsequentes und transparentes Stellenbewertungssystem die Basis für viele relevante HR-Projekte und -Prozesse ist“, sagt Kern. „Was nach angestaubtem Verwaltungskram klingt, ist tatsächlich ein echtes Management-Thema. Ist die Bewertung von Positionen im Unternehmen nicht stimmig, wackelt die personalwirtschaftliche Statik. Gehen Personaler der Frage nach, warum Personalprozesse international nicht so recht funktionieren, stoßen sie oft auf Unstimmigkeiten bei der Funktionsbewertung.“ Internationale Systeme zur Personalentwicklung, zu Führungskonzepten oder Performance-Management wären deutlich einfacher und effizienter, wenn zuvor die Wertigkeit der Positionen im Unternehmen klar sei.
Vergleich von Positionen
Diese Erfahrung hat auch BMW-Personaler Trauth gemacht. „Das Thema internationale Personalentwicklung, vor allem im Rahmen einer internationalen Führungsstruktur, wird für uns immer wichtiger. Dadurch wurden Vergleiche von Positionen in verschiedenen Ländern zunehmend zum Thema“, erklärt er. „Man steht dann zum Beispiel vor der Frage: Welche Führungskräfte aus welchen Ländern lade ich zu welcher Qualifizierungsmaßnahme ein?“ Für eine solche Entscheidung müsse klar sein, auf welcher Wertigkeitsebene die jeweiligen Führungspositionen angesiedelt seien. Begegnen sich etwa der Abteilungsleiter der deutschen Fachabteilung und der Leiter der Tochtergesellschaft in Malaysia auf Augenhöhe?
„Ein weiteres typisches Beispiel für die Folgen unklarer Positionswertungen ist auch: Man schickt einen Abteilungsleiter raus in die Welt und kann die Frage, für welche Position er sich damit nach seiner Rückkehr im Führungsteam der Zentrale qualifiziert hat, nicht eindeutig beantworten.“ Vor Beginn des internationalen Jobgrading-Projektes gab es bei BMW zwar bereits ein vierstufiges Funktionsbewertungssystem für Führungskräfte. „Das System war seit den siebziger Jahren etabliert und funktionierte für Deutschland sehr pragmatisch“, sagt Trauth. „Es war aber nicht darauf ausgerichtet, damit auch Funktionen in Auslandsgesellschaften zu bewerten.“ Ein genauerer Blick in die Personalstellen der Auslandsgesellschaften zeigte ein unübersichtliches Bild. „Manche Gesellschaften hatten gar kein Funktionsbewertungssystem. Andere hatten, wie wir hier in der Zentrale, ein selbstgestricktes System. Einige wenige Gesellschaften hatten sich Bewertungssysteme unterschiedlicher Dienstleister eingekauft.“
Schlicht das etablierte deutsche Bewertungssystem auf alle anderen Länder auszudehnen, wäre keine Lösung dieses Dilemmas gewesen, ist Trauth überzeugt. „Für mich war zum Start des Bewertungsprojektes klar, dass die Frage der Akzeptanz in den jeweiligen Ländern kritisch für den Erfolg des Projektes sein würde“, sagt er. Aus diesem Grund entschied sich das Unternehmen für ein international ausgelegtes Funktionsbewertungssystem. „Und deshalb haben wir auch entschieden, dass wir jeweils in die einzelnen Länder reisen und die Umsetzung mit den Personalleitern und der gesamten Führungsmannschaft vor Ort planen würden.“ Die Zentrale liefert die Strukturen, die Personaler vor Ort entscheiden über die konkrete Umsetzung. Die Taktik, den Bewertungsprozess dezentral zu organisieren, sei aufgegangen, berichtet Trauth: „Die Akzeptanz für das neue System ist inzwischen sehr hoch. Je mehr Niederlassungen wir ‚geratet‘ haben, desto größer wurde auch das Interesse der Kollegen in anderen Ländern, sich an dem neuen Bewertungssystem zu beteiligen.“
Zur stetig wachsenden Akzeptanz des Systems habe auch beigetragen, dass zu Beginn des Projektes ein Entscheidungsgremium geschaffen wurde, das die Bewertung der Stellen übernimmt. „Zuvor war bisweilen nicht klar, wer eigentlich genau darüber entscheidet, welche Funktion wie bewertet wird.“ Der transparente und faire Bewertungsprozess sei für die Projektleiter eine wichtige Argumentationshilfe gewesen. „Es hat sich darüber hinaus aber auch schnell gezeigt, dass die Funktionsbewertung kein Selbstzweck ist. Sondern die Grundlage für viele internationale Personalprozesse schafft, sowohl für uns in der Zentrale als auch für die Personalleiter in den jeweiligen Ländern“, sagt Trauth. Nicht zuletzt habe sich in den Köpfen der Personaler einiges verändert: „Man hat bei allen Personalprozessen inzwischen immer die ganze BMW-Welt im Kopf, ist nicht mehr so fokussiert auf die speziellen Anforderungen im eigenen Land.“
Deutsche Besonderheit
Eine solche globale Perspektive im Personalmanagement ist selbst in Großkonzernen nicht selbstverständlich, konstatiert Mercer-Experte Kern. „Typisch ist, dass Stellen in der Zentrale und im Land des Stammsitzes weitestgehend einheitlich bewertet werden, dass aber in anderen Ländern individuelle, oftmals historisch gewachsene Systeme im Einsatz sind.“ Dafür sorge auch die deutsche Besonderheit, dass alle tariflich bezahlten Jobs ohnehin nach dem tariflichen Bewertungssystem eingeordnet werden. „In den meisten deutschen Unternehmen sehen wir deshalb gezielte Stellenbewertungsprogramme häufig für außertarifliche Mitarbeiter, meist nur für die obere Fach- und Führungsebene.“ Ob es sich lohnt, darüber hinaus auch weitere Hierarchie-Ebenen und weitere Auslandsstandorte in ein unternehmensspezifisches Stellenbewertungssystem einzubeziehen, sei letztlich immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung. „Man beginnt bei einem Stellenbewertungssystem immer mit den einflussreichsten, strategisch-leitenden Positionen, also mit dem oberen Management für die Fachbereiche, von Forschung und Entwicklung über Produktion und Vertrieb bis zu den Querschnittsfunktionen.“ Auf dieser Grundlage könne man den Prozess der Stellenbewertung dann weiter nach unten und in die Breite ausdehnen.
„In produzierenden Unternehmen sind zum Beispiel ab einer gewissen Hierarchieebene die Stellen in ihrem Wert für das Unternehmen vergleichsweise homogen. Da lohnt es sich nicht unbedingt, eine filigrane Bewertung voranzutreiben.“ Betreibt ein Unternehmen im Ausland nur kleine, sehr homogene Einheiten, lohnt sich dementsprechend womöglich auch die Umsetzung eines ausgefeilten Stellenbewertungssystems für diese Standorte nicht. „Entscheidend ist immer die Frage, ob es Unsicherheiten über Wertigkeiten von Positionen gibt. Und ob sich ein konkreter Anwendungsnutzen für das Unternehmen generieren lässt. Funktionsbewertung darf nicht ‚l‘art pour l’art‘ sein“, sagt Kern.
Internationales Wachstum
Das sieht auch Michael Hinz so. Der Leiter des Personalmanagements beim Mittelständler Hoppecke Batterien in Brilon ist verantwortlich für weltweit 1.900 Mitarbeiter, rund die Hälfte davon am Hauptsitz des Familienunternehmens in Deutschland. Ein Stellenbewertungssystem hat das Unternehmen bereits Ende der 90er Jahre eingeführt, als Teil eines neu aufgestellten Führungskonzeptes. Das Bewertungssystem erstreckt sich allerdings ausschließlich auf außertarifliche Positionen am deutschen Standort. Führungskräfte sollen durch ein transparentes Punktesystem über ihr jeweiliges Job-Level im Bilde sein und klare Pfade für ihre persönliche Weiterentwicklung erkennen. „Diesen Zweck erfüllt das System. Und das ist für uns bisher auch vollkommen ausreichend“, sagt Hinz. Für tarifliche Mitarbeiter sieht er keinen Bedarf, ein individuelles Job Grading einzuführen: Die tariflichen Stellenbewertungen der Metall- und Elektrobranche seien für die Anforderungen des Personalmanagements detailliert genug. Und auch für eine detailliertere Bewertung von Führungspositionen in Auslandsniederlassungen habe es lange keinen Anlass gegeben, berichtet der Personalchef. „Bislang hatten wir im Ausland vor allem Vertriebsgesellschaften mit einem Leiter und 30 bis 40 Mitarbeitern. Da gab es kaum Bedarf, Positionen detailliert zu bewerten.“
Inzwischen allerdings ist eine Auslandsniederlassung massiv gewachsen: Hoppecke betreibt in China einen Produktionsstandort mit 500 Mitarbeitern. Entsprechend habe sich dort inzwischen eine komplexere Organisationsstruktur mit stärker differenzierten Stellen herausgebildet, berichtet Hinz. Mit Blick auf die Personalentwicklung werde das Management gegebenenfalls zukünftig darüber nachdenken, das deutsche Bewertungssystem für diese Niederlassung umzusetzen. „Voraussetzung wäre allerdings, dass dieser Schritt als Teil unserer Personalentwicklungs- und Führungsziele einen Mehrwert bringt.“