Seit Jahren kämpfen die Personalabteilungen in deutschen Konzernen um Macht und Einfluss. Der Wandel vollzieht sich schleppend und nicht überall gleichermaßen. In einigen Unternehmen aber hat erbegonnen.
Es war eine Meldung, die in der Bankenbranche für Unruhe sorgte: Die Commerzbank will 5.000 Arbeitsplätze abbauen, verkündete das Institut im vergangenen Jahr. Und auch zwei Vorstände fielen der Sparrunde zum Opfer, einer davon Personalvorstand Ulrich Sieber. Im November beschloss der Aufsichtsrat die Abberufung des Managers. Dass man die Erfahrung eines Personalmanagers bei einem massiven Stellenabbau gut gebrauchen könnte, schien keine große Bedeutung zu haben. Die Sparrunde sei nur dann „kommunikativ vertretbar“, wenn man auch den Vorstand verkleinere. Warum es gerade den Personaler traf, ist unklar. Doch viele Beobachter erahnten ein bekanntes Muster: der Schwächste fliegt.
Der Fall Sieber illustrierte einmal mehr, dass Personalmanager oft über weniger Macht verfügen als andere Führungskräfte. Personaler gelten seit jeher als die machtlosen Betreuer der weichen Unternehmenswerte: Sie verwalten, vergüten, versorgen. Zwar arbeiten HR-Strategen in vielen Unternehmen seit Jahren daran, ihr Standing aufzuwerten. Entwicklungen wie der demografische Wandel und der Fachkräftemangel sowie der Aufstieg des Employer Branding spielen ihnen sogar in die Karten. „Die Zeiten, in denen Personaler nur verwalteten und vergüteten, sind endgültig vorbei“, meint Konrad Deiters, Leiter des Talent-Bereichs bei der Beratung Mercer. Doch ein massiver, offensichtlicher Gewinn an Macht ist erst in wenigen Unternehmen zu erkennen.
Schuld daran ist oft die Einstellung der Führungsspitze: „In Chefetagen ist derjenige mächtig, der Umsatz generiert und Entscheidungsgewalt über den Unternehmenskurs und über die eigene Abteilung hinweg hat“, erklärt Jürgen Weibler, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fern-Universität Hagen. Finanz-, Vertriebs- und Produktvorstand haben diese Macht. Ihr Erfolg zeigt sich direkt im Jahresergebnis. Um Umsatz zu erzielen, müssen andere Abteilungen auf ihr Kommando hören. Die Erfolge von Personalmanagern lassen sich in Euro nur schwer beziffern. Oft herrscht in Unternehmen auch die Denkweise vor, dass eine HR-Abteilung dann am besten läuft, wenn man gar nichts von ihr hört. Personaler fallen also nicht positiv auf.
Eine weitere Ursache für das schwache Standing der Personalmanager seien ihre immer noch einförmigen Karrieren, glaubt BWL-Professor Weibler. Viele machen nämlich die übliche „Kaminkarriere“. So nennt der Wissenschaftler einen Aufstieg innerhalb einer Abteilung oder Unternehmensfunktion. Das sei bei Personalern besonders häufig zu beobachten. Schnittstellen zu anderen Abteilungen seien zu wenige vorhanden. „HR ist eine monofunktionale Abteilung“, sagt Weibler. Um an Macht im Konzern zu gelangen, müsse HR aber abteilungsübergreifend agieren. Wenn Führungskräfte in ihrer Karriere Erfahrung in unterschiedlichen Funktionen eines Unternehmens gesammelt haben, hilft ihnen das dabei, ihr Netzwerk über mehrere Abteilungen zu spannen, und gibt ihnen ein größeres Verständnis für den Konkurrenzkampf unter den Abteilungen. Sie lernen, sich durchzusetzen.
Know-how aus verschiedenen Abteilungen
Wie wichtig es für Personaler ist, über den Tellerrand hinauszuschauen, weiß Wolfgang Fassnacht nur zu gut. Er ist seit zweieinhalb Jahren Personalleiter beim Softwarehersteller SAP – und damit für rund 18.000 Mitarbeiter verantwortlich. Der HR-Manager durchlief keine branchentypische Kaminkarriere. Bevor er ins Personalwesen wechselte, war er mehrere Jahre Produktmanager bei SAP und sieht darin zum Teil seinen Erfolg als Personalchef begründet. Denn nach seinem Wechsel zu HR musste Fassnacht zwar zunächst das Handwerkszeug eines Personalers lernen, aber er brachte Know-how mit, das die Leiter anderer Abteilungen schätzen. „Ich kenne die inhaltlichen Probleme der Kollegen“, sagt Fassnacht. Aufgrund seiner Arbeit als Produktmanager verstehe er sehr gut, wie Software programmiert und vertrieben wird. Das Wissen aus der Produktabteilung stärkt das Standing des Personalleiters – und damit seinen Einfluss auf andere Abteilungen.
Bei dem Walldorfer Softwarehersteller sind Personaler sogar in die Produktentwicklung involviert, weil SAP auch Anwendungen für das Personalwesen produziert. Ganz klar, dass die Entwickler dabei das Wissen der eigenen Personalabteilung anzapften, meint Fassnacht. „Wir sitzen schließlich an der Quelle und nutzen die hauseigenen Programme.“ Durch die Kooperation unter den Abteilungen wechseln Mitarbeiter auch häufiger die Positionen. Personaler gehen in die Beratung oder den Vertrieb. Kundenberater hingegen verstärken die Personalabteilung, weil sie die Produkte nutzen wollen, die sie im Vertrieb verkauft haben.
Ein solch direkter Einfluss der HR-Manager auf andere Abteilungen, wie bei SAP, ist natürlich nicht in jedem Unternehmen möglich. In einem Industriebetrieb zum Beispiel brauchen Ingenieure keine Personaler in den Entwicklungsabteilungen. Und auch nicht jeder HR-Mitarbeiter schafft es, sich während seiner Berufslaufbahn Einblicke in andere Abteilungen zu verschaffen. Doch funktionelle Macht, wie Berater den Einfluss auf andere Abteilungen nennen, können Personaler auch anders hinzugewinnen. „HR-Themen werden auf Vorstandsetagen immer präsenter“, sagt Berater Deiters. „Ich beobachte immer öfter, dass Personaler nicht mehr rein administrativ arbeiten, sondern den Vorstand direkt beraten.“
Durchsetzungsstärke und klare Positionen
In einer solchen beratenden Funktion war auch Ute Buscher bei TUI Deutschland im vergangenen Jahr tätig. Die Personalchefin des Touristikunternehmens war federführend in ein Change-Management-Projekt involviert, bei dem sie das gesamte Unternehmen umkrempelte. Die TUI-Geschäftsführung wollte das Unternehmenskonglomerat übersichtlicher machen: Von sechs Gesellschaften sollten am Ende nur zwei übrigbleiben. Trotz des radikalen Einschnitts wurde bei TUI das Personalwesen nicht wie bei der Commerzbank beschnitten, sondern ging gestärkt aus der Verwandlung hervor. Die HR-Managerin wusste der Geschäftsführung offenbar klar zu machen, wie wichtig das richtige Händchen für das Personal bei einer großen Umstrukturierung ist. So sprach ihr die Geschäftsführung die Kompetenz zu, die sie benötigte. „Die Personalabteilung war Dreh- und Angelpunkt bei der Konzernumstellung“, sagt Buscher. Mit den weichen Unternehmenswerten, die Manager anderer Fachbereiche HR-Kollegen nachsagen, können Personaler in einem Change-Management-Prozess nicht bestehen. Dafür brauchen sie echte Führungsfähigkeiten, müssen Härte zeigen und manchmal auch andere Manager übertrumpfen. Schließlich muss ein Unternehmen in einem Change-Management-Prozess ganze Abteilungen umstrukturieren oder zusammenführen – und sich sicherlich auch von einigen Mitarbeitern trennen. Streit ist dabei vorprogrammiert. Nur wenn HR-Manager in Konflikten bestehen und ihre Positionen durchsetzen, können sie ein solch großes Projekt bewältigen.
Ute Buscher kann ein Lied davon singen. Die TUI-Personalchefin war während der Neustrukturierung tief in die Strategieplanung des Reiseanbieters involviert. Und auch nach Abschluss des Mammutprojekts hat die Managerin nicht an Bedeutung eingebüßt. Zwar ist Personalchefin Buscher nicht Teil der Geschäftsführung, aber sie sitzt im Executive Board, das als Gremium für die Strategie des Unternehmens verantwortlich ist. Dort kann sie die Interessen der Personalabteilung im Unternehmen vertreten.
Allerdings ist der Gewinn von funktioneller Macht noch nicht alles. Denn weitaus wichtiger ist in vielen Fällen die informelle Macht – der sogenannte „direkte Draht“ nach ganz oben. Denn so können Personaler Prozesse in Unternehmen schnell voranbringen – ohne stiefmütterlich die Unternehmenshierarchie gen Vorstand abzuklappern, bis endlich eine Entscheidung fällt. Für diese Art von Macht sind Personaler wie gemacht. Schließlich geht es bei Entscheidungen im Unternehmen darum, mit Menschen umzugehen, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu fördern – das tägliche Brot der Personalabteilung.
Erfolgsbeispiele wie SAP und TUI geben einen Hinweis darauf, dass sich die Rolle der Personalmanager in vielen Unternehmen zuletzt durchaus gewandelt hat. Zwar lässt ein Machtzuwachs, der auf den ersten Blick zu erkennen ist, oft noch auf sich warten. Doch ob das überhaupt von Bedeutung ist, darüber lässt sich streiten. Sind es doch in vielen Lebensbereichen oft die Menschen im Hintergrund, die über die wahre Macht verfügen.