Der Begriff „Guerilla“ stammt aus dem Spanischen und bedeutet in etwa „Kleinkrieg“. Die Besonderheit daran ist: sich im Kampf im Hinterhalt zu verstecken und zuzuschlagen, wenn es der Feind oder die Gegnerin am wenigsten erwartet. Die größte Waffe dabei ist das Überraschungsmoment. Auch wenn die Guerilla-Taktik aus der Kriegsführung stammt, ist sie im unternehmerischen Kontext keineswegs martialisch gemeint. Dieses unkonventionelle Vorgehen ist längst Teil zahlreicher Marketing-Strategien. Je überraschender und unvorhersehbarer eine Guerilla-Kampagne ist, desto erfolgreicher ist sie. Manche HR-Abteilungen ziehen nach und nutzen die Idee dahinter für das Recruiting. HR kann Guerilla Recruiting einsetzen, um begehrte Fachkräfte aufzuspüren und wichtige Stellen im Unternehmen zu besetzen.
Das Herzstück einer erfolgreichen Guerilla-Kampagne im Recruiting ist die Idee, potenziellen Kandidatinnen und Bewerbern eine Stelle so kreativ und unkonventionell zu präsentieren, dass diese sich bewerben. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Es geht einzig und allein darum, das Jobangebot dort zu präsentieren, wo die Zielgruppe am wenigsten damit rechnet: direkt am Arbeitsplatz, auf dem Arbeitsweg oder im privaten Umfeld. Immer mit dem größtmöglichen Überraschungseffekt.
Innovative Recruiting-Ansätze
Immer mehr Unternehmen können in Zeiten des Fachkräftemangels offene Stellen nicht besetzen. Vor allem in den Berufen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik sowie im Gesundheits- und Pflegebereich ist der Bedarf an Personal groß. Stellenanzeigen allein reichen hier nicht aus. Hinzu kommt, dass Stellenanzeigen über Jobportale meistens nur diejenigen ansprechen, die aktiv auf Jobsuche sind. Der weitaus größere Teil der Personen auf dem Arbeitsmarkt ist aber gar nicht auf Stellenbörsen unterwegs – obwohl viele von ihnen durchaus offen für einen Wechsel des Arbeitsplatzes wären, sofern das Angebot interessant ist. Genau diese passiv suchenden Fachkräfte erreichen Unternehmen mit Guerilla Recruiting und können der Konkurrenz die Talente vor der Nase wegschnappen.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, Guerilla Recruiting sei nur für die Kreativ- und Werbebranche geeignet. Denn viele bekannte Guerilla-Recruiting-Kampagnen wurden von Agenturen für die eigene Talentsuche umgesetzt. Hintergrund ist, dass das Entwickeln kreativer Ideen zum Kerngeschäft jeder Agentur gehört. Doch Guerilla Recruiting eignet sich für alle Branchen, Stellen und Hierarchieebenen. Egal ob Fach- und Führungskräfte oder Blue-Collar-Beschäftigte: Mit diesem innovativen Recruiting-Ansatz finden Unternehmen Talente vor allem dann, wenn konventionelle Wege nicht mehr funktionieren.
So gestaltet sich selbst für bekannte Automobilkonzerne die Suche nach qualifizierten Kfz-Mechanikerinnen und -Mechatronikern schwierig. Warum deshalb nicht einmal völlig neue Wege im Recruiting gehen? Die Idee eines Konzerns: Fachkräfte freier Autowerkstätten ins Visier nehmen. Das Unternehmen brachte präparierte Autos, bei denen das Jobangebot gut sichtbar am Unterboden befestigt war, in Werkstätten. Genau dort entdeckten es die gesuchten Fachkräfte.
Zielgruppenanalyse erforderlich
Beim Guerilla Recruiting lauern Recruiterinnen und HRler ihrer Zielgruppe an den verschiedensten Orten und zu unterschiedlichsten Gelegenheiten auf. Schließlich wollen sie potenzielle Bewerberinnen und Kandidaten mit dem Jobangebot maximal unvorhersehbar überraschen. Dazu müssen sie ihre Zielgruppe genau kennen und wissen, wen sie suchen. Welche Personengruppen werden am erfolgreichsten die zu besetzenden Stellen ausfüllen? In welchen Branchen, Berufen und Unternehmen arbeiten mögliche Zielpersonen?
Anschließend müssen sich Recruiting-Verantwortliche in diese Personen hineinversetzen, deren Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse herausfinden. Sie müssen wissen, wo und wie sie arbeiten und was sie in der Freizeit machen. Eine sorgfältige Zielgruppenbestimmung und -analyse ist deshalb Voraussetzung für erfolgreiche Guerilla-Kampagnen im Recruiting.
Bei der Definition unterschiedlicher Zielgruppen hilft die Beantwortung folgender Fragen:
- Welche Berufserfahrung ist wichtig?
- Kommen auch Jobanfänger und Berufseinsteigerinnen infrage?
- Über welche Qualifikationen, Kenntnisse und Fähigkeiten sollten Zielpersonen verfügen?
- Wären auch Personen aus fachfremden Berufen geeignet und, wenn ja, welche?
- In welchen Berufen, Branchen und Unternehmen arbeiten potenzielle Zielpersonen?
- Gibt es ein bevorzugtes Wohn- beziehungsweise Einzugsgebiet?
- Welche örtliche Flexibilität ist gefordert?
- Welche beruflichen Ziele der Zielpersonen passen zur Stelle und zum Unternehmen?
- Bei welchen anderen Unternehmen ist dieses Fachkräftepotenzial vorhanden?
Wichtig ist, an alle Personen und Personengruppen zu denken, die für die zu besetzende Stelle infrage kommen – und nicht nur an jene, die bisher eingestellt wurden. Je detaillierter Arbeitgeber mögliche Zielgruppen bestimmen und analysieren, desto einfacher ist das anschließende Entwickeln passgenauer Guerilla-Recruiting-Ideen. Am besten lassen sich Zielgruppenprofile übrigens mithilfe einer Persona oder Empathy Map erstellen.
Inspirieren ja, kopieren nein
Eine der wohl genialsten Guerilla-Recruiting-Kampagnen ist Pizza Digitale. Die Kampagne wurde bereits im Jahr 2011 durchgeführt und gilt bis heute als Klassiker. Die Hamburger Agentur Scholz and Friends war auf der Suche nach digitalen Kreativen und plante, diese direkt von der lokalen Konkurrenz abzuwerben. Nichts einfacher als das, dachten sich die Verantwortlichen und verzichteten bewusst auf Stellenanzeigen oder die Beauftragung einer Personalberatung. Guerilla Recruiting sollte es sein. Sie stellten fest, dass viele kreative Arbeitende anderer Agenturen nach einem langen Arbeitstag ihr Essen bei einem ganz bestimmten Lieferdienst bestellen. Das war die Möglichkeit, das Jobangebot direkt auf den Schreibtischen der Konkurrenz zu platzieren. Die Idee: Jeder Bestellung aus einer anderen Hamburger Agentur legt der Lieferdienst eine kostenlose Pizza bei, deren Belag nur aus Tomatensoße in Form eines QR-Codes besteht. Dieser führt direkt zu einer Landingpage mit dem Jobangebot. Das Ergebnis: zwölf Bewerbungsgespräche und zwei neue Teams.
Diese und andere erfolgreichen Beispiele könnten Unternehmen dazu verleiten, bereits erprobte Ideen für die eigene Guerilla-Recruiting-Kampagne zu kopieren. Doch das ist tunlichst zu vermeiden. Wenn ein Unternehmen kreativ und innovativ sein und Guerilla Recruiting ausprobieren will, dann muss es eigene Ideen entwickeln. Das macht auf potenzielle Beschäftigte einen viel professionelleren Eindruck. Außerdem ist es wichtig, dass die Ideen zum Unternehmen, zur Unternehmenskultur, zur Branche und zur gesuchten Zielgruppe passen. Deshalb gilt: Sich von anderen erfolgreichen Beispielen inspirieren zu lassen ist in Ordnung, sie zu kopieren hingegen nicht.
So gelingt eine Guerilla-Recruiting-Kampagne
Strukturierte Planung im Team: Die Toolbox im Guerilla Recruiting ist riesig. Da empfiehlt es sich, strukturiert zu planen und im Team zu arbeiten. Für einen kreativen Ideen-Workshop eignet sich die Design-Thinking-Methode. Mit dieser systematischen Vorgehensweise entwickeln Teams schnell und effizient kreative Guerilla-Recruiting-Konzepte für ihre offenen Stellen.
Authentisch und konsistent bleiben: Kreatives Guerilla Recruiting begeistert und macht potenzielle neue Beschäftigte neugierig auf Job und Unternehmen. Doch die Aktionen müssen zur Unternehmenskultur passen, um den positiven Eindruck zu bewahren. Auch dürfen Interessierte danach nicht in ein schwarzes Recruiting-Loch fallen und am Bewerbungsprozess verzweifeln. Die Möglichkeit zur schnellen, unkomplizierten Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen ist daher besser als das Ausfüllen komplexer Bewerbungsseiten.
Aufmerksamkeit erzeugen: Unternehmen haben mit Guerilla Recruiting die einmalige Chance, schnell und kostengünstig Fachkräfte zu finden sowie gleichzeitig ihr Employer Branding zu stärken. Hierfür sollten Entstehung und Umsetzung der Aktion festgehalten sowie in den sozialen Medien geteilt werden. Viele erfolgreiche Kampagnen gingen viral und wurden in einschlägigen Blogs vorgestellt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Gender. Das Heft können Sie hier bestellen.