Betriebsrat und KI: Gestalten statt treiben lassen

Betriebsrat

Das FinTech-Unternehmen Klarna hat kürzlich berichtet, dass ihr KI-Assistent nach nur einem Monat im globalen Einsatz 2,3 Millionen Kundengespräche geführt hat. Wiederholungsanfragen konnten dank seines Einsatzes um 25 Prozent reduziert werden. Statt vorher in elf Minuten können Kunden ihr Anliegen nun in weniger als zwei Minuten klären.

Hätte diese Meldung aus einem deutschen Unternehmen kommen können? Sicher ist: Unternehmen und Betriebsräte in Deutschland können gemeinsam für diese Schlagzeile sorgen. Es entstehen Effizienz- und Produktivitätsvorteile durch den Einsatz von KI, die kein Unternehmen vernachlässigen kann. Im Wettbewerb werden diejenigen gewinnen, die diese Potenziale nutzen. Die Frage sollte also nicht sein, ob ein Unternehmen KI einsetzt. Sondern die Frage ist, wie der Einsatz von KI verantwortungsvoll im Unternehmen möglich ist. KI ist eine Gestaltungsaufgabe für Unternehmen und Betriebsräte.

Bisher waren Themen wie künstliche Intelligenz oder maschinelles Lernen den Spezialisten insbesondere unserer IT-Abteilungen vorbehalten. Dank generativer künstlicher Intelligenz – und Anwendungen wie ChatGPT ­(OpenAI) oder Copilot (Microsoft) – fällt nun allerdings eine entscheidende Barriere in der Anwendung dieser komplexen Technologien: Wir müssen keine Programmiersprachen verstehen, um mit der Technologie zu interagieren und sie anzuwenden. KI wird zu einer unternehmensweiten Herausforderung. Wir erleben einen „iPhone-Moment“: Die Einführung des iPhones im Jahr 2007 bedeutete eben nicht nur ein neues Smartphone. Apple revolutionierte damit das Konzept Smartphone. Der Multi-Touch-Screen veränderte die Art und Weise, wie Menschen mit Technologie interagieren und setzte neue Standards für Mobilgeräte.

Mehr als eine technologische Innovation

Ähnliches werden wir bei den KI-Technologien sehen. Weil sie tief in die Arbeitswelt vordringen, sind sie mehr als technologische Innovationen. Sie verändern Geschäftsmodelle, machen IT-Systeme smarter und effizienter, eröffnen neue Möglichkeiten für Interaktion und Personalisierung. Gleichzeitig stellen sich aus Sicht der Mitarbeitenden Fragen nach dem Datenschutz und der freien Gestaltung der eigenen Arbeit. Motivierte und kreative Mitarbeitende wollen keine Marionetten der KI sein. Diese Themen berühren einige grundlegende Fragen: Wie gestalten wir in Unternehmen die Arbeitswelt? Wie arbeiten Unternehmen und Betriebsräte zusammen, um bei steigender Innovationsgeschwindigkeit die besten Lösungen für Unternehmen und Mitarbeitende zu finden? Was sind die richtigen Strategien, um Mitarbeitende fit für die AI-Revolution zu machen?

Bei TUI haben wir uns entschlossen, mit einem gemeinsam vom Vorstand und Konzernbetriebsrat verabschiedeten „Politischen Papier“ die Diskussion um den Einsatz von KI im Unternehmen zu gestalten. Im Mittelpunkt stehen die Potenziale der Technologie und ihre Auswirkungen für die Mitarbeitenden. Erstmals formulieren wir gemeinsam Leitplanken für die Einführung und Anwendung von KI bei TUI. Das Papier schafft ein gemeinsames Verständnis über die Potenziale und Herausforderungen der KI. Bevor wir in Betriebsvereinbarungen rechtlich bindende Regelungen schaffen, verständigen wir uns über grundlegende Annahmen und Ziele. Das schafft frühzeitig und schnell einen Diskussionsraum für Unternehmen und Arbeitnehmervertreter. Ein für den Erfolg der TUI hochrelevantes Zukunftsthema wird aktiv gestaltet – gemeinsam, chancenorientiert, verantwortungsvoll.

Chancenorientiert diskutieren

Zu oft beginnt die Einbindung der Mitbestimmungs­gremien zu einem Zeitpunkt, wenn weniger die Chancen technologischen Innovationen im Fokus stehen, sondern die Risiko­faktoren – für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens wie für die Mitarbeitenden. Dieses Dilemma adressiert das „Politische Papier“ auf verschiedenen Ebenen. Es stellt die Chancendiskussion an den Beginn des Prozesses. Für das Thema KI findet diese Diskussion zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die vollständigen Auswirkungen von KI noch nicht konkret abzuschätzen sind. Zu diesem Zeitpunkt ist es für Unternehmen wie Konzernbetriebsrat realistischer, sich auf Leitplanken und ein gemeinsames Verständnis über die Chancen und Herausforderungen von KI zu einigen, als bereits einzelne Anwenderbeispiele zu bewerten. Daraus ergibt sich eine Offenheit für die Zukunft, die eine kontinuierliche Diskussion über die Entwicklungen im Bereich KI erfordert. Das Papier ist keine statische Zustandsbeschreibung, sondern eine dynamische Grundlage für die gemeinsame, kontinuierliche Gestaltung von KI im Unternehmen.

Im Papier ist eine umfassende und regelmäßige Information sowie Einbindung der Arbeitnehmervertreter bei der Einführung neuer KI-Anwendungen vereinbart. Das ist auch bei zahlreichen anderen strategischen Themen der TUI seit Jahrzehnten geübte Praxis. Das Papier geht nun einen Schritt weiter. Vereinbart ist ein paritätisch – mit Vertretern und Vertreterinnen des Unternehmens und der Arbeitnehmerseite – besetztes KI-Beratungsteam, das technische Fortschritte und die damit einhergehenden ethischen Fragestellungen begleiten wird. Das Gremium wird darüber hinaus auf den Gesundheitsschutz, insbesondere mit Blick auf Softwareergonomie und mögliche psychische Belastungen, achten. Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, nannte in ihrer Rede auf der TUI-Konzern-Betriebsräteversammlung am 12. März 2024 diese Art der frühzeitigen Einbindung der Mitarbeitenden in die Entwicklung von KI-Anwendungen „gute Arbeit by Design“. Sie mache die KI-Anwendungen im Unternehmen besser.

KI ersetzt Aufgaben, aber ­keine Jobs

Die Mitarbeitenden stehen im Mittelpunkt des „Politischen Papiers“. Ziel ist es, dass sie mit dem technologischen Fortschritt mithalten können. Das muss nicht bedeuten, dass komplette Job-Profile in Zukunft verschwinden. Sie werden sich allerdings verändern und KI-Kompetenzen werden dabei eine entscheidende Rolle spielen. Für die strategische Personalplanung der TUI bedeutet das: Einerseits werden wir Mitarbeitende in ihren bestehenden Jobs auf den Einsatz von KI-Technologien schulen – und entscheiden, welche neuen Schwerpunkte sie dank realisierter Effizienzgewinne in ihrer Arbeit umsetzen können. Wer dank KI-Unterstützung schneller programmiert, kann mit der „gewonnenen“ Zeit komplexeren Code schreiben. Wer dank KI Social-Media-Inhalte schneller kreiert, kann die Frequenz der Veröffentlichungen erhöhen. Gleichzeitig werden wir analysieren, in welchen Bereichen Mitarbeitende zu höherwertigen Aufgaben hin entwickelt werden, um ihnen auch weiterhin eine Perspektive bei TUI zu bieten. Denn unsere Überzeugung bei TUI ist: KI wird keine Jobs ersetzen, sondern bestimmte Aufgaben.

Mit umfangreichen Weiterbildungsangeboten wird TUI die Mitarbeitenden in die Lage versetzen, sich frühzeitig mit den Potenzialen der KI auseinanderzusetzen und sie im eigenen Arbeitsbereich zu testen und einzuführen. Das Interesse an solchen Angeboten ist bereits vorhanden, wie die Einführung von zwei ersten E-Learnings zum Thema „Generative Künstliche Intelligenz“ zeigt. Sie wurden innerhalb von drei Wochen von fast 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgerufen.

Besondere Verantwortung für HR

KI wird in allen Bereichen der TUI eingesetzt werden – natürlich auch im Bereich HR. Hier sind besonders hohe Standards an den Einsatz von KI zu erfüllen. Das macht auch der kürzlich vom EU-Parlament verabschiedete AI Act der Europäischen Union deutlich, der bestimmte HR-Systeme in die höchste Sicherheitsstufe einordnet. Für ihre Nutzung ist eine Vielzahl von Regelungen zu beachten, wie besondere Qualitätskriterien für Daten, mit denen die KI trainiert werden darf, oder eine menschliche Aufsicht. Das TUI-Papier nimmt diese Regelungen vorweg und formuliert eine klare Maxime für den Einsatz von KI im Bereich HR: Die endgültige Entscheidungsgewalt liegt immer beim Menschen. Dies gilt für sämtliche Prozesse, die Beschäftigte und Bewerber betreffen – von der Bewerbung und Einstellung über die persönliche Karriereplanung bis hin zu Qualifikationsmöglichkeiten, Entwicklungschancen und Gehaltsentwicklungen. Die KI dient dabei als unterstützendes Werkzeug, jedoch wird jede finale Entscheidung von Mitarbeitenden verantwortet. Sowohl Beschäftigte als auch Bewerberinnen und Bewerber werden zudem informiert, wenn sie im Rahmen ihrer Interaktion mit TUI auf KI-Anwendungen treffen.

Natürlich kann das „Politische Papier“ nicht alle ­offenen Fragen zum Einsatz von KI bei TUI beantworten. Aber es eröffnet einen Diskussionsraum, formuliert ein chancen­orientiertes Verständnis der Technologie und setzt erste Leitplanken für die Zukunft. Es bietet eine Basis für die weiteren Gespräche und schafft Orientierung, indem es zeigt, über welche Themen Einigkeit herrscht (zum Beispiel die Bedeutung von Qualifizierung und Weiterbildung), wo sich rote Linien abzeichnen (kein Jobverlust durch KI) und wo es weiteren Diskussionsbedarf gibt (insbesondere die Ausgestaltung konkreter KI-Systeme oder -Anwendungen). Dieser Ansatz kann ein Modell für die Zukunft sein, in der die Innovationszyklen kürzer werden und KI-Technologien immer tiefer in die Systeme von Unternehmen vorrücken. Unternehmen und Konzernbetriebsrat können damit ihrer gemeinsamen Gestaltungsrolle in Zeiten des technologischen Wandels gerecht werden, ohne der Zukunft hinterherzulaufen.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sybille Reiß

Sybille Reiß ist Chief People Officer der TUI Group.

Frank Jakobi

Frank Jakobi ist Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der TUI AG.

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