Deutschland hat aufgehört zu arbeiten! Gewiss: Wir alle reißen täglich unsere Stunden runter – aber wer hat noch Spaß dabei? Scheinbar keiner, was die lauten Forderungen nach Viertagewoche, mehr Work-Life-Balance und immer neuen Benefits zeigen. Viele Menschen empfinden ihre Arbeit heute als Belastung und lästige Pflicht, statt als Quelle von Freude und Erfüllung. Die Lust auf Leistung scheint bei vielen verloren gegangen zu sein – oder gar nicht erst erweckt. Dabei ist es ein Grundbedürfnis des Menschen: Der Wunsch, etwas zu bewirken, zu gestalten, Spuren zu hinterlassen. Schon kleine Kinder zeigen diesen Drang, wenn sie voller Stolz ihre ersten Bauwerke oder Bilder präsentieren.
Was aber ist nötig, damit Menschen auch im Beruf wieder Freude an Leistung entwickeln? Zentral ist das Erleben von Selbstwirksamkeit. Wir brauchen das Gefühl, mit unseren Fähigkeiten einen Unterschied zu machen. Sei es ein zufriedener Kunde, ein gelungenes Produkt oder reibungslos funktionierende Abläufe – immer geht es darum, das Ergebnis der eigenen Arbeit unmittelbar zu erleben. Das schafft „Werkstolz“.
Leistungslust entsteht, wenn Menschen eine direkte Verbindung zwischen ihrer Anstrengung und einem sichtbaren Ergebnis sehen. Genau das geht aber in der zunehmend automatisierten und digitalisierten Arbeitswelt oft verloren. Immer mehr Tätigkeiten laufen virtuell ab, losgelöst von einem greifbaren Produkt. Am Ende des Tages ist die Festplatte oder Cloud um ein paar Megabyte gewachsen, aber ein wirkliches Wirksamkeitsgefühl stellt sich nicht ein. Hinzu kommt der Eindruck vieler Beschäftigter, nur noch ein austauschbares Rädchen im Getriebe zu sein. Sie sehen den Sinn und Wert ihres Beitrags nicht mehr – nur noch Rädchen, ohne Getriebe.
Führungskräfte ebenso wie Personalverantwortliche stehen vor der Herausforderung, bei Mitarbeitenden die Freude an der Arbeit und die Lust auf Leistung zu fördern.
Hier sind neun konkrete Tipps, mit denen Sie die Leistungslust und Begeisterung Ihres Teams wecken können:
1. Machen Sie Sinn durch Wirksamkeit erlebbar
Viele Mitarbeitende empfinden ihre Arbeit als sinnentleert, weil sie keine Wirkung sehen. Ihr Job ist es, genau diese Wirkung sichtbar zu machen. Erklären Sie immer wieder, welchen konkreten Nutzen die Leistung jedes Einzelnen stiftet – eben nicht nur „Gutes tun“ für die Gesellschaft sondern auch ganz konkret für Kunden, Kollegen – eben Menschen. Gerade in Zeiten digitaler Arbeit braucht es den Bezug zum greifbaren Ergebnis. Stellen Sie her, wer von der Arbeit Ihres Teams profitiert. Ein Beispiel: Die Vertriebsmitarbeiterin erlebt, wie ihr mühsam akquirierter Auftrag in der Produktion umgesetzt wird und beim Kunden für Freude sorgt. So erkennt sie den Wert ihres Tuns.
2. Setzen Sie auf Kooperation statt Konkurrenz
Gehälter, Boni, Benefits, Beförderungen – in vielen Firmen wird ständig verglichen und konkurriert. Doch dieser Wettbewerb lenkt von der eigentlichen Arbeit ab. Nicht falsch verstehen: herausragende Leistung verdient auch eine herausragende Entlohnung – aber bitte nicht an die große Glocke hängen, denn sozialer Vergleich ist Gift für echte Kooperation und Teamwork auf Augenhöhe. Denn wenn sich alles nur noch um die Frage dreht „Wer verdient mehr, wer verdient weniger?“, geht der Blick für die Sache verloren, dann ist die intrinsische Motivation korrumpiert, wie man in der Psychologie sagt. Verzichten Sie also auf künstliche Anreize und Auszeichnungen wie den „Mitarbeiter des Monats“. Solche Incentives sprechen nur die quasi-niederen Triebe des sozialen Vergleichs an. Setzen Sie stattdessen auf Teamgeist und Zusammenarbeit. Die wirklich motivierten Kolleginnen und Kollegen werden es Ihnen danken – und gerne an Bord bleiben.
3. Respektieren Sie individuelle Prioritäten, denn das Leben hat viel zu bieten (und sicher mehr als Sie)
Die Vorstellung, dass sich jeder Mensch allein über den Beruf definiert, ist überholt. Für viele liegt der Lebenssinn in der Balance zwischen Job, Familie, Freunden und Freizeit. Akzeptieren Sie, dass nicht alle Ihre Mitarbeitenden ihren kompletten Ehrgeiz in die Arbeit stecken wollen oder können, nicht alle können immer 120 Prozent geben. Das ist kein Makel, auch keine Faulheit oder gar Inkompetenz, sondern eine persönliche Entscheidung. Gerade Angestellte in einfacheren Positionen ziehen ihr Selbstwertgefühl oft aus Aktivitäten jenseits des Berufs. Ermöglichen Sie ihnen, pünktlich in den Feierabend zu gehen, statt misstrauisch auf die Uhr zu schauen. Wer sich in seiner Ganzheit respektiert fühlt, wird umso motivierter seinen Beitrag leisten – vielleicht nicht zu 120 Prozent, aber zu 100 Prozent.
4. Nicht beleidigt sein, wenn Leute gehen
Hand aufs Herz: Wenn Teammitglieder weniger arbeiten oder gar kündigen wollen, denken Sie insgeheim auch mal: „Die sind halt bequem geworden“? Meist steckt hinter dem Wunsch nach Veränderung aber etwas anderes: Die Menschen haben erkannt, dass sie ihre Fähigkeiten nicht voll einbringen können. Sie sehnen sich danach, wirklich gebraucht zu werden und zu wachsen – beruflich und persönlich. Hinterfragen Sie also Ihr Mindset und ihr betriebliches Angebot, wenn Sie sich über „faule Säcke“ ärgern. Sehen Sie das Positive für die kündigende Person – und sehen Sie das Potenzial, diese dann zufriedenere und erfahrenere Person in Zukunft wieder für Ihr Unternehmen gewinnen zu können. Das ist gelebtes positives, wertschätzendes Outplacement!
5. Investieren Sie in kluge Benefits
Obstkörbe, Kickertische und kostenloser Kaffee – solche Benefits sind nett, aber kein Ersatz für gute Arbeitsbedingungen. Wenn Sie Mitarbeitende langfristig begeistern und binden wollen, müssen Sie in die Basis investieren, die auch tatsächlich eine Höchstleistung erst möglich macht: Hochwertige technische Ausstattung, durchdachte Arbeitsplätze, effiziente Prozesse. Vielleicht ist es eine Überlegung wert, sich von durchaus lukrativer, aber extrem nervender Kunden oder Beschäftigten entledigen. Alles, was die eigentliche Tätigkeit erleichtert und bereichert, ist Gold wert und wirkt motivierender als viele „Nice to have“-Extras und New-Work-Köder. Fragen Sie Ihr Team, was es wirklich braucht: Einen neuen Laptop? Rechenzeit? Mehr Mobilitätsbudget? Unterstützungskraft für die Reisekostenabrechnung? Eine neue HR-Software? Und oft beginnt es bei Kleinigkeiten, die den Arbeitsalltag enorm erleichtern.
6. Finden Sie die optimale Herausforderung
Ein Job, der unterfordert, ist genauso motivationshemmend wie einer, der überfordert. Die Kunst etwa im Recruiting ist es, die richtige Passung zwischen Stellenprofil und Fähigkeiten der Bewerbenden zu finden. Definieren Sie den Schwierigkeitsgrad einer Stelle möglichst genau – nicht zu hoch und nicht zu niedrig. Die ideale Herausforderung liegt in der Mitte: Sie bringt Ihre Talente zum Vorschein, lässt aber auch Raum für Entwicklung. Stellen Sie lieber jemanden mit Potenzial (oder einigen nicht gravierenden Lücken) ein, der in die Aufgabe hineinwachsen kann, als eine „perfekte“ Besetzung, die sich schon nach kurzer Zeit langweilt. So bleibt die Leistungslust langfristig erhalten.
7. Achten Sie auf „Mad Skills“
Bei der Auswahl neuer Mitarbeitender lohnt sich ein Blick über den Tellerrand des üblichen Anforderungsprofils. Achten Sie in den Bewerbungsunterlagen – und darüber hinaus – auf außergewöhnliche Erfahrungen und Fähigkeiten, sogenannte „Mad Skills“, die vordergründig rein gar nichts mit dem Job zu tun haben. Das können ungewöhnliche Hobbys sein, Ehrenämter oder auch Projekte wie eine mehrmonatige Radtour durch die Mongolei. Solche „verrückten“ Kompetenzen zeugen von hoher Eigenmotivation, Durchhaltevermögen und wertvoller Lebenserfahrung. Wer sich in seiner Freizeit herausfordernden Projekten stellt, bringt oft auch mehr Leistungslust im Beruf mit. Fragen Sie im Interview genauer nach – oft verbergen sich hinter den „Mad Skills“ spannende Persönlichkeiten.
8. Seien Sie konkret und praxisnah – und sehr ehrlich
Gestalten Sie Ihr Recruiting so realistisch und lebendig wie möglich. Führen Sie anspruchsvolle Interviews, in denen nicht nur Floskeln ausgetauscht und Benefits gepreist werden, sondern echte Kompetenzen gecheckt werden. Lassen Sie die Bewerberinnen und Bewerber Arbeitsproben erstellen, Fallstudien bearbeiten, einfach ihr Können unter Beweis stellen. Und organisieren Sie „Probetage“, an denen sie in den realen Arbeitsalltag hineinschnuppern können. So bekommen beide Seiten ein Gefühl dafür, ob die „Chemie“ stimmt und die Aufgaben zu den Kompetenzen und Neigungen passen. Nutzen Sie die Gelegenheit, ganz konkret zu beschreiben, was die Aufgabe beinhaltet: Wer sind die Kunden und Kollegen? Was sind typische Tagesabläufe? Welche Ziele und Herausforderungen gibt es? Je plastischer und ehrlicher Sie den Job schildern, desto eher treffen Sie eine gute Wahl.
9. Entwickeln Sie Talente – auch unentdeckte
Als Führungskraft sind Sie weit mehr als ein Verwalter von Aufgaben und Terminen. Sie sind der Trainer Ihres Teams und damit gefordert, die individuellen Potenziale zu erkennen und zu fördern. Dazu braucht es eine feine Sensorik: Gehen Sie auf Entdeckungsreise in den Stärken und Interessen Ihrer Mitarbeitenden – ohne zu privat, zu indiskret zu werden. Finden Sie durch Gespräche, Feedback und Beobachtung heraus, wo die Vorlieben und verborgenen Talente liegen. Wer kann was besonders gut und macht es auch mit Freude? Ermutigen Sie Ihr Team, sich auszuprobieren und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Geben Sie dafür Freiräume und Ressourcen. Und trauen Sie sich, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen: Die IT-Expertin mit Hang zum Schreiben könnte sich im Blog-Beitrag üben, die zurückhaltende Sachbearbeiterin mit Organisationstalent ein Teammeeting moderieren. So wecken Sie schlummernde Potenziale und eröffnen jeder und jedem die Chance, ihre und seine ganz persönliche Leistungslust zu entdecken.
Echte Wertschätzung: Zuhören statt Blumenstrauß
Und zuletzt gilt generell: Pflegen Sie eine Kultur des Vertrauens. Echte Leistungsfreude kann nur dort entstehen, wo sich Menschen sicher und wertgeschätzt fühlen – mit ihren Stärken, aber auch mit ihren Grenzen. Hören Sie genau hin, was Ihre Mitarbeitenden umtreibt. Seien Sie großzügig mit Lob und Dank für ihre Mühen. Feiern Sie gemeinsam Erfolge. Aber üben Sie sich auch in Nachsicht, wenn mal etwas schiefläuft. Nur wer sich etwas zutraut, wird auch Freude an Höchstleistungen entwickeln. Denn Leistungslust entsteht nicht auf Knopfdruck, sondern in einer Atmosphäre der Ermutigung, Zugewandtheit und Begeisterung. Die zu schaffen, ist die vornehmste Aufgabe jeder Führungskraft.
Der Schlüssel zur Leistungslust liegt letztlich darin, den Fokus weg von abstrakten Kennzahlen zurück auf die Tätigkeit selbst zu lenken. Wer spürt, dass seine Arbeit wirkt und geschätzt wird, ist mit mehr Freude bei der Sache. Denn Leistung ist in erster Linie Psychologie, keine Ökonomie.
Denn eines ist klar: Leistungslust kann man nicht verordnen, aber man kann die Bedingungen dafür schaffen. Indem Sie genau hinschauen, was Ihre Mitarbeitenden bewegt und antreibt – und dann den Rahmen bieten, damit sie das Beste aus ihren Fähigkeiten machen können. Und wir sollten weniger über „Leistung“ reden – und mehr über „Wirksamkeit“ und „Werkstolz“. So kann es gelingen, die Lust auf das zu wecken, was unsere Arbeitswelt im Innersten zusammenhält: das Gefühl, gemeinsam etwas Gutes zu schaffen.
Das Buch zum Thema:
Ingo Hamm: Lust auf Leistung. Wie wir Arbeit (wieder) lieben lernen. 288 Seiten, 24,90 Euro. Vahlen, 2024.
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