Alle Welt redet über die Viertagewoche – und nun soll es dazu im kommenden Jahr sogar noch ein (allerdings kostenpflichtiges) Modellprojekt geben. Dabei sind ihre Nachteile doch mittlerweile eigentlich bekannt: Meist ist die Viertagewoche mit spürbar verlängerten Tagesarbeitszeiten verbunden, wodurch die arbeitsgebundene Zeit (also einschließlich Pausen, Wege- und sonstigen Nebenzeiten) dann schnell elf Stunden und mehr beträgt. Damit passt sie zum einen nicht zu Lebensmodellen, in denen an Arbeitstagen noch etwas anderes passieren soll oder muss – man denke nur an die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. Zum anderen können so lange Arbeitstage wegen der damit verbundenen Belastung die Stundenproduktivität der Arbeit verringern.
Noch mehr Abstriche bei der Viertagewoche
Oft fehlt es an Flexibilität. Das gilt für Arbeitgeber sowie Mitarbeitende. So ist in unserem Land die Tagesarbeitszeit gesetzlich – aus im Übrigen sehr guten Gründen – grundsätzlich auf zehn Stunden begrenzt, sodass bei Tagesarbeitszeiten von neun Stunden und mehr bei kurzfristig erhöhtem Arbeitsbedarf legal kaum Reaktionsmöglichkeiten bestehen. Aber auch für die Beschäftigten gibt es dadurch kaum Möglichkeiten, bei einer Viertagewoche auch einmal später zu kommen, früher zu gehen oder den Arbeitstag aus privatem Grund zu unterbrechen. Gerade eine solche Tages-Flexibilität ist aber für eine gute Work-Life-Balance sehr wichtig.
Die beiden angeführten Effekte können nur vermieden oder jedenfalls abgemildert werden, wenn die Viertagewoche mit einer Arbeitszeitverkürzung verbunden wird – wie im berühmten Modell 100 – 80 – 100 mit seinen Elementen 100 Prozent Entgelt, 80 Prozent Arbeitszeit und 100 Prozent Leistung. Das Modell verspricht in seinen ersten beiden Punkten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genau das, was die überwiegende Mehrheit sich wünscht. Doch selbst wenn es Arbeitsprozesse gibt, in denen die dabei im Extremfall erforderliche 25-prozentige höhere Stunden-Produktivität der Arbeit erreichbar ist: Der Normalfall ist dies sicherlich nicht. Und schon gar nicht im Blue-Collar-Sektor, dem dadurch in aller Regel nach dem nicht realisierbaren Homeoffice die nächste gravierende strukturelle Benachteiligung droht: Nicht nur hinsichtlich der Arbeitszeit, sondern auch der Stundenvergütung!
Daher ist es auch kein Wunder, dass die meisten Gewerkschaften der Viertagewoche eher abwartend gegenüberstehen. Bisher hat nur die IG Metall in der Stahlindustrie die Viertagewoche in seiner aktuellen Tarifrunde gefordert. Zudem gibt es auch noch die volkswirtschaftliche Dimension, wonach die Viertagewoche, auch wenn sie den einzelnen Betrieb dabei unterstützen kann, seine Arbeitsplätze besetzt zu bekommen, kaum gegen Arbeiter- und Fachkräftemangel hilft.
Die 4,5-Tagewoche als Alternative
Vor diesem Hintergrund sollte aus meiner Sicht „eine Nummer kleiner“ gedacht werden. Wie wäre es also mit dem Modell „9/14“, in dem abwechselnd fünf und vier Tage pro Woche gearbeitet wird – also an neun von 14 Tagen? Dieses Modell ist in der Praxis noch sehr selten und wird kaum einmal diskutiert – wie man zum Beispiel daran erkennen kann, dass bei meiner Google-Recherche Anfang September zur „4,5-Tage-Woche“ ausschließlich (!) Ergebnisse zur Viertagewoche angezeigt worden sind.
Besonders vielversprechend ist dieses Modell dann, wenn die betriebliche Fünftagewoche die Ausgangsgrundlange bildet und die Mitarbeitenden abwechselnd Montag bis Freitag und Montag bis Donnerstag arbeiten. Wie etwa beim Berliner Softwareentwickler Cross Engage, bei dem die freien Freitage als „Recharge Days“ bezeichnet werden. Optimal wird dieses Modell aus meiner Sicht so umgesetzt, dass die Mitarbeitenden in zwei etwa gleich große und qualifizierte Gruppen aufgeteilt werden und gegenläufig arbeiten, wodurch dann freitags immer rund die Hälfte von ihnen verfügbar ist. Dies reicht in der Regel für das Bearbeiten dringender Kundenanliegen und kann den Beschäftigten ansonsten einen Tag ohne Meetings bescheren, an dem sie endlich einmal in Ruhe arbeiten können.
Hier finden Sie die Vorteile dieses Modells gegenüber der Viertagewoche:
- Die durchschnittliche Tagesarbeitszeit nimmt nur relativ moderat zu – bei zum Beispiel der 39-Stundenwoche von 7:48 Stunden auf 8:40 Stunden (statt bei einer Viertagewoche auf 9:45 Stunden) bei einer 36-Stunden-Woche von 7:12 Stunden auf acht Stunden (statt auf 9 Stunden). Damit kann dieses Modell häufig auch im Schichtbetrieb umgesetzt werden. Im 2-Schichtbetrieb kann dies insbesondere in der bei Entfallen der Spätschicht am Freitag besonders attraktiven kollektiven Form „abwechselnd Frühschicht von Montag bis Freitag und Spätschicht von Montag bis Donnerstag“ erreicht werden. Dies ist aber auch im 3-Schichtbetrieb wegen der hier häufig gut erreichbaren acht Stunden Arbeitszeit pro Schicht, die die durchschnittliche 4,5-Tage-Woche auch bei üblichen Regelarbeitszeiten ermöglichen, realisierbar.
- Damit nimmt der Druck auf begleitende Arbeitszeitverkürzungen und damit verbundene Kostensteigerungen und Arbeitsverdichtungen entsprechend ab, was diesem Modell deutlich größere Verbreitungschancen gibt als der Viertagewoche.
- Mitarbeitende, die bei der vormaligen Tagesarbeitszeit bleiben wollen oder müssen, können entweder unverändert weiterarbeiten oder müssen, wenn sie beim Modell „9/14“ mitmachen wollen, ihre Vertragsarbeitszeit (und damit ihr Bruttoentgelt) nur um zehn Prozent reduzieren, was deutlich häufiger in Reichweite sein sollte als es die 20 Prozent bei Viertagewoche sind.
- Die Flexibilität ist – und zwar für Arbeitgeber wie Mitarbeitende – deutlich höher als bei betrieblicher Viertagewoche. Erstens beträgt die Reserve bis zur gesetzlichen Tages-Höchstarbeitszeit zum Beispiel bei einer 39-Stundenwoche 15,4 Prozent gegenüber 2,6 Prozent, bei der 37,5-Stundenwoche 20 Prozent gegenüber 6,7 Prozent und bei der 36-Stundenwoche 25 Prozent gegenüber 11,1 Prozent. Zweitens können die Mitarbeitenden auch einmal an einem für sie freien Freitag arbeiten und dafür einen anderen freien Tag bekommen – aus privatem Grund, aber auch zur Optimierung ihres Urlaubs oder zum Freischaufeln eines Brückentages, an dem sie sonst hätten arbeiten müssen. Damit sollte sich dann auch das leidige Thema Gleittage (die oft einfach dadurch erwirtschaftet werden, dass ohne Not etwas länger am Arbeitsplatz geblieben wird) erledigt haben. Und schließlich können die Mitarbeitenden bei entsprechendem betrieblichem Bedarf an einem individuell freien Freitag, soweit dies ihren Präferenzen entspricht, vergütete Mehrarbeit leisten, was zum einen ihr Einkommen steigert und zum anderen ein bisschen gegen Arbeitermangel hilft.
Damit bietet das Modell „9/14“ den Mitarbeitenden zwar deutlich weniger zusätzliche freie Tage als die Viertagewoche, kommt dem sehr verbreiteten Wunsch hiernach aber dennoch weit entgegen. Es vermeidet dabei die gravierenden Nachteile des Vier-Tage-Modells und ist darüber hinaus auch schon unter den gegebenen Rahmenbedingungen vergleichsweise schnell umsetzbar. Wir sollten daher nicht länger dem Traumbild der Viertagewoche nachhängen. Es lohnt sich, nach umsetzbareren Alternativen zu suchen.
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