„Man muss sich nicht rechtfertigen, wenn man eine rote Linie zieht“

Debatte

„Demos gegen rechts“ haben weitreichende Debatten darüber angestoßen, ob und inwieweit Regierung und Gesellschaft der Erstarkung von extremen politischen Strömungen entgegenwirken sollen. Diese Debatten machen auch vor dem Arbeitsplatz nicht halt. Wie solche Bewegungen im Unternehmen auf die Belegschaft wirken und was Unternehmen tun können, um politische Debatten zu begleiten.

Frau von Kempis, Sie haben bereits in Ihrer Zeit als Journalistin vor circa sieben Jahren mit Ihrem Youtube-Kanal Die besorgte Bürgerin politisch immer wieder klar Stellung gegen die AfD bezogen. Was denken Sie über die aktuellen politischen Diskussionen und Strömungen?

Franziska von Kempis: Es gibt eine starke Zivilgesellschaft, die sich damals wie heute und auch schon früher und hoffentlich auch in Zukunft für Demokratie einsetzt. Einerseits habe ich ganz viele Flashbacks und denke: Wir waren hier doch schon mal. Doch heute stehen wir an einem anderen Punkt, einem gefährlicheren Punkt. Aber ich habe Hoffnung, dass wir Wege finden, mit antidemokratischen Strömungen umzugehen.

Die gesellschaftlichen und politischen Bewegungen lassen sich nicht trennen vom Arbeitsplatz. Namhafte Unternehmen, Verbände und auch Medien haben beispielsweise die Kampagne #Zusammenland initiiert, um ein Zeichen zu setzen. Und auch kleinere Unternehmen senden klare Botschaften. Was halten Sie davon, wenn Unternehmen sich so klar positionieren?

Ich finde es großartig. Ich sehe auch in unserem Mitgliederkreis, wie sich da in Diskussionen eingebracht oder positioniert wird. Die Charta der Vielfalt ist auch bei einigen dieser Bündnisse dabei. Unternehmen sehen sich nicht mehr nur als Wirtschaftsakteure, sondern sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Ich persönlich finde, Unternehmen können und sollen zeigen, wofür sie stehen.

Die Diskussionen und Positionierungen wirken auch ins Unternehmen hinein. Wie sollten Unternehmen mit verschiedenen politischen Haltungen in der Belegschaft umgehen?

Für eine Positionierung braucht es Klarheit darüber: Wofür stehe ich als Unternehmen? Überparteilich zu agieren und sich zu positionieren, schließt ein klares Nein zu Rechtsextremismus, zu Antisemitismus und Rassismus nicht aus. Und übrigens auch kein Ja für Demokratie und Vielfalt. Mit Diversity, Equity und Inclusion, DE&I, zeigen viele Unternehmen bereits eine große Verantwortung für die Mitarbeitenden. Eine Unterzeichnung der Charta der Vielfalt kann zum Beispiel ein Anfang sein, indem man sich als Unternehmen damit einhergehend Ziele für strukturelle Veränderungen setzt.

Politische Diskussionen, die auch in den Unternehmen stattfinden, sind ja nichts Neues. Man denke an die Pandemie-Maßnahmen oder an die WM in Katar. Die aktuellen Bewegungen scheinen jedoch verstärkt in die Unternehmen zu schwappen. Ist Corporate Political Responsibility heute wichtiger denn je?

Die Positionierung nach außen spiegelt auch das Gelebte nach innen. Und da müssen wir uns fragen: Was kommt nach der Haltung?

Wie meinen Sie das?

Was ich nach außen kommuniziere, muss ich innen auffangen. Ein Statement nach außen bedeutet nicht, dass es von der Belegschaft keine Fragen dazu gibt oder keinen Bedarf, darüber zu sprechen. Das sind zwei unterschiedliche Ebenen. Hierfür ist es wichtig, dass Themen und Fragen der Belegschaft von Führungskräften aufgefangen werden können – dafür müssen diese abgeholt, inhaltlich gestärkt und sich dazu in der Lage sehen, ­solche Gespräche anzufangen, aufzufangen, anzustoßen.

Heute sind Sie Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt. Viele Unternehmen achten inzwischen auf eine vielfältige Belegschaft, in der kein Mensch benachteiligt oder ausgegrenzt wird. Inwieweit sollte das für unterschiedliche politische Meinungen gelten?

Diverse Belegschaften sind immer ein Segen und eine Herausforderung zugleich, weil Menschen einfach unterschiedlich sind. Bei der Charta definieren wir sieben Dimensionen von Vielfalt. Um ein Beispiel zu nehmen: Schon verschiedene Generationen haben unterschiedliche Sichtweisen, was aber auch viele Vorteile mit sich bringt. Diversity hat viele Perspektiven und muss intersektional gedacht werden. Verschiedene Auffassungen können natürlich auch verschiedene politische Richtungen beinhalten.

Braucht es rote Linien?

Eine rote Linie besagt ganz klar: Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, wir sind für Demokratie und wir sind gegen jegliche Art von Diskriminierung. Jede und jeder von uns muss sich für sich überlegen, wo genau man die roten Linien ziehen will und wo man ins Gespräch gehen will – das gilt auch für den Arbeitsplatz. Jedes Unternehmen, je nach Branche und Größe, sollte seinen eigenen Weg finden. Klar ist jedoch, dass der internen Kommunikation hier eine Schlüsselrolle zufällt. Als Charta betonen wir immer wieder klare Grenzen gegen Diskriminierung. Es braucht klare Bekenntnisse, zum Beispiel gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Altersdiskriminierung, gegen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung oder gegen Homophobie. Was es aber auch braucht, sind Schulungen und Kommunikation, die helfen zu erkennen, wo, womit, wodurch Grenzen überschritten werden. Und es braucht Meldestellen, Hilfs- und Gesprächsangebote für Betroffene sowie klare Konsequenzen bei Grenzüberschreitungen. Das eine ist die Prävention, das andere die Intervention.

Wie erreicht man intern einen gemeinsamen Nenner, hinter dem alle stehen können?

Gesellschaftlich stellen sich gerade Fragen wie: Wer wollen wir sein, wofür stehen wir ein? Diese Debatten können Unternehmen begleiten, durch
Weiterbildungsangebote oder Vortragsformate mit externen Expertinnen und Experten. Die Führungsebene sollte das antreiben und Raum für Debatten geben; Führungskräfte oder Teamleads sollten sich aber auch wohlfühlen, solche Gespräche moderieren zu können. Die Menschen sind unterschiedlicher Meinung. Das wird immer so sein und das ist auch gut so. Man wird nie allen gerecht werden können. Eben weil wir so unterschiedliche Belegschaften haben, stellt sich umso mehr die Frage, auf welchen kleinsten gemeinsamen Nenner wir uns in einer Positionierung einigen können.

Wie können Debattenräume im Joballtag konkret aussehen?

Diese Frage stellen wir uns noch viel zu wenig. Wir fordern jetzt alle ganz viel, aber die Menschen haben ja auch einen Job und bestimmte Aufgaben zu erledigen. Und dabei haben wir vielleicht viele unzufriedene, unglückliche oder sehr, sehr frustrierte, aggressive oder ängstliche Mitarbeitende. Auf der anderen Seite haben wir Mitarbeitende, die sagen: Was geht mich das an, wie schlimm kann es schon werden? Um zwischen diesen Menschen Gespräche zu moderieren oder auch nur das Bedürfnis nach Gesprächen aufzufangen, braucht eine Führungskraft Unterstützung. Sie muss aushalten und dranbleiben, sich vorbereiten, sich Support einholen und auch vernetzen und mit anderen Führungskräften austauschen können. Das Topmanagement und die Führungsriege sollten gemeinsam überlegen, wie sie Debatten in den Teams moderieren können. Und auch ihre eigene Rolle hinterfragen, zum Beispiel wie viel Empathie sie geben können. Sie können einfach mal die Menschen nach dem Warum ihres Tuns, ihrer Haltung, ihrer Angst fragen. Rote Linien sind nur dann was wert, wenn alle sie auch einhalten können. Mein Rat ist, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben über Themen, die ihnen jetzt wichtig sind. Nur wenn wir im Gespräch bleiben und uns austauschen, können wir einander besser verstehen.

Was hören Sie bei der Charta über die Stimmungslage in Unternehmen?

Ich glaube, dass sich viele Unternehmen gerade die Fragen stellen: Wie können wir uns einsetzen? Wie können wir uns positionieren, und was kommt danach? Was können wir jetzt machen? Wie können wir unserer Belegschaft helfen? Wir bei der Charta sprechen mit Unternehmen darüber, wie wir unterstützen können, sich für demokratische Prinzipien einzusetzen – und vor allem, was sie bereits tun, nämlich sich für Vielfalt am Arbeitsplatz einsetzen. Mit dem Deutschen Diversity-Tag bieten wir für das Thema Vielfalt – und damit auch für Demokratie stärken, einen Anlaufpunkt, als Unternehmen zu zeigen und intern zu besprechen, wie man sich engagiert. Viele Unternehmen hinterfragen auch, was sie bisher gemacht haben oder ziehen Konsequenzen daraus. Man sieht ja auch, wie unterschiedlich Unternehmen jetzt agieren. Die einen gehen mit einem Statement raus, die anderen fangen intern bei einem Code of Conduct an, wieder andere machen Workshops oder arbeiten an einer Worst-Case-Strategie. Wir bei der Charta beobachten, dass die Stimmen für Vielfalt lauter werden. Das macht uns sehr hoffnungsfroh, weil wir in der Charta schon so viele Beispiele kennen, wie es funktionieren kann.

2019 haben Sie das Buch Anleitung zum Widerspruch geschrieben. Wie sehen Sie heute, was Sie damals geschrieben haben?

Ich habe das Buch geschrieben, das ich selbst gerne gehabt hätte während meiner Arbeit im Internet, als Beraterin, als Youtuberin. Das Buch ist in vielen Punkten gut gealtert, weil die Themen noch so aktuell sind. Wir haben immer noch eine Klimakrise, wir haben steigenden Antisemitismus und rassistische Übergriffe, wir haben Hetze gegen Geflüchtete. Es ist sogar ein Impfkapitel drin. Ich habe damals allerdings noch einen Fokus auf Masern gelegt. Es ist verrückt. Ein Jahr später hatten wir die Coronakrise und die Impfdiskussionen.

Grundsätzlich stehe ich weiter hinter der Aussage: Ja, wir brauchen Widerspruch, weil es manchmal hilft, einfach nur zu sagen: bis hierhin und nicht weiter! Man muss sich nicht rechtfertigen, wenn man eine rote Linie zieht. Aber es ist wichtig, konstruktiv zu widersprechen und auf Menschen einzugehen, die anders denken. Ich glaube: Das kann man lernen, zumindest kann jeder und jede von uns mehr dazulernen. Und man muss es üben.

In welcher Verantwortung sehen Sie dabei HR?

Ich erlebe bei der Charta so viele HR-Personen, die mit DE&I beauftragt sind und die tolle Arbeit leisten, die sehr engagiert sind und eben genau das umsetzen, worüber wir gesprochen haben: vom Menschen ausgehend denken, Empathie schenken, sich über Menschen und ihre Gefühle Gedanken machen, Gespräche führen. Und ich bin mir aber auch sehr bewusst, dass HR nicht alles leisten kann, wenn wir über – auch politische – Positionierung, über Inklusion sprechen. Dies braucht ein breites Fundament im Unternehmen, Top-down wie Bottom-up. Aber HR kann eine enorme Strahlkraft haben für diese sensiblen Themen.

Über die Gesprächspartnerin:
Franziska von ­Kempis ist Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt, Autorin und Kommunikations­beraterin.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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