Am Wochenende über ein Nachbarschaftsfest schlendern, in der Stadt demonstrieren gehen oder im Urlaub an der Ostseeküste ein erfrischendes Bad im Meer genießen. Alles Freizeitaktivitäten, bei denen freiwillige Helferinnen und Helfer nicht fehlen dürfen. Meist agieren sie eher still im Hintergrund, greifen im Notfall aber schnell ein und sorgen für unser Wohlergehen und unsere Sicherheit. „Die offene, engagierte Bürgergesellschaft ist ein wesentlicher Teil unseres demokratischen Gemeinwesens“, konstatierte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier als Schirmherr der Bundesgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Als sich vor rund zwei Jahren die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ereignete, machten sich unzählige Freiwillige sofort auf den Weg, um den in Not geratenen Menschen unter die Arme zu greifen. Wer konnte, nahm sich dafür im Job frei, andere halfen nach der Arbeit in ihrer Freizeit. Und die ist knapp bemessen: Drei Stunden und 55 Minuten stehen uns in Deutschland durchschnittlich an einem Werktag zur Verfügung. Dies ermittelte die Stiftung Zukunftsfragen des Tabakkonzerns British American Tobacco im Rahmen ihres Freizeit-Monitor 2023.
Etwas weniger als vier Stunden bleiben uns also für Erholung, Sport, Hobbys, Treffen im Freundes- oder Familienkreis oder unsere Selbstverwirklichung übrig. Ein Zeitbudget, das also clever genutzt werden will und das sich seit dem ersten Coronajahr 2020 um eine halbe Stunde verkürzt hat. Das liegt vor allem an der Rückkehr in die Büros und dem damit verbundenen Arbeitsweg, der wertvolle freie Zeit verschlingt. Und trotz der knapp bemessenen Freizeit nutzten laut Statista im vergangenen Jahr 15,7 Millionen Personen diese Zeit nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für andere Menschen, sie engagierten sich privat im Rahmen von ehrenamtlichen Aktivitäten. Etwa 59 Prozent von ihnen sind zwischen 20 und 59 Jahre alt – und stehen damit häufig mitten im Berufsleben. Zwangsläufig kommen Unternehmen mit dem ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitarbeitenden in Berührung – oder möchten selbst gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Manchmal fallen diese beiden Bereiche aus einem unternehmerischen Selbstverständnis oder als Teil einer komplexen Nachhaltigkeitsstrategie zusammen. Immer mehr Unternehmen fördern gezielt Mitarbeiterengagements, die sich laut der Praxis-Studie Corporate Volunteering in Deutschland aus dem Jahr 2018 in den letzten Jahren weitgehend ausdifferenzieren. Oft stünden Unternehmensverantwortliche allerdings vor dem Problem, „dass es kaum Informationen über Art, Umfang, Rahmenbedingungen, Strategien und das Management von Corporate Volunteering in Deutschland gibt“. Dabei seien Unternehmen mehr denn je als gesellschaftsgestaltende Akteure gefragt. Eine Rolle, derer sie sich zunehmend bewusst werden, wie der Monitor Unternehmensengagement 2022 festhält.
Unternehmen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung
Im sogenannten Corporate Volunteering fördern Unternehmen die Tätigkeiten ihrer Mitarbeitenden, die innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses mit ihrer Zeit oder ihrem Wissen gemeinnützige Zwecke unterstützen – völlig unabhängig vom Kerngeschäft des Unternehmens. Doch warum tun sie das? „Grundsätzlich ist für uns eindeutig, dass es heutzutage nicht mehr darum geht, ob sich ein Unternehmen engagiert, sondern nur wie. Die Herausforderungen sind so groß, dass sie ein gesamtgesellschaftliches Vorgehen erfordern, und das schließt alle ein.“ Nina Warnecke verantwortet mit ihrem dreiköpfigen Team als Director Global Health and Social Impact unter anderem den Bereich Corporate Volunteering beim Pharmaunternehmen Pfizer Deutschland. „Wir glauben an Partizipation und binden unsere Mitarbeitenden aktiv in unser gesellschaftliches Engagement ein. So schaffen wir ein gemeinsames Werteverständnis und ermöglichen jedem, diese im Arbeitsalltag einzubringen und weiterzutragen.“
Oft ist der Wunsch zu helfen schon tief in uns Menschen verwurzelt. Auch die 1998 gegründete Ehrenamtsinitiative Miteinander im Team (MIT) vom Konsumgüter- und Industriekonzern Henkel geht auf einen Impuls der Mitarbeitenden zurück. Die 1990er Jahre waren geprägt von Unruhen und den Jugoslawienkriegen. „Und wenn die Welt zerrüttet ist, wie wir das leider auch in der letzten Zeit festgestellt haben, steigt natürlich die Solidarität“, sagt Andrea Becher, Global Head of Employer Reputation, Recruitment and Corporate Citizenship bei Henkel. Viele Mitarbeitende hätten damals helfen wollen. Um die zahlreichen Einzelanfragen besser bündeln zu können und im Einklang mit dem unternehmerischen Selbstverständnis, gründete das Unternehmen die Corporate-Volunteering-Initiative MIT. Heute können interessierte Beschäftigte bei Henkel einen Antrag mit Motivationsschreiben im Intranet stellen. Dort wird das ehrenamtliche Projekt beschrieben sowie die Form der notwendigen Unterstützung geklärt. Neben der bezahlten Freistellung von bis zu fünf Arbeitstagen können Mitarbeitende auch finanzielle Unterstützung oder Sachspenden für ihr Projekt beantragen. Anschließend entscheidet vierteljährlich eine Jury, die sich aus verschiedenen Unternehmensabteilungen und dem Betriebsrat zusammensetzt, über die Anträge.
Vereinbarkeit von Job, Familie und Ehrenamt
Auch außerhalb der Unternehmensgefüge gibt es viele Menschen, die sich in ihrer Freizeit für andere engagieren. Im Rahmen des Corporate Volunteering unterstützen Unternehmen oft auch die individuellen ehrenamtlichen Aktivitäten ihrer Mitarbeitenden, zum Beispiel mit bezahlten Freistellungen. Von diesen freien Tagen fürs Ehrenamt profitieren auch Organisationen wie die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Die DLRG steht vor der Herausforderung, genügend Einsatzkräfte für die Wasserrettung, den Bevölkerungsschutz und für die Ausbildung von Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmern zu finden. Die Menschen seien häufig beruflich stark belastet, wie DLRG-Präsidentin Ute Vogt erklärt. „Es ist oft schwierig Beruf, Familie und Ehrenamt miteinander zu vereinbaren.“
Die frei verfügbare Zeit, aber auch die Verbindlichkeit der Menschen sei spürbar gesunken. Um der schwierigen Vereinbarkeit etwas entgegenzuwirken, biete die Hilfsorganisation in ihrer Bundesakademie beispielsweise eine Kinderbetreuung an, sodass die Ehrenamtlichen zu Tagungen und Lehrgängen ihren Nachwuchs mitbringen können. Die Rettungskräfte der DLRG bewahrten im vergangenen Jahr allein 1.307 Menschen vor dem Ertrinken und halfen mit ihren Strömungsrettern bei der Flutkatastrophe 2021 im Katastrophenschutz. Während Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, Mitarbeitende für ihre Einsätze bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk freizustellen, verhält es sich bei der DLRG anders. Engagierte, die sich in einem Angestelltenverhältnis befinden, bekommen für ihre Einsätze in der Regel keine Freistellung und keinen Lohnersatz. Für die Hilfsorganisation ist dies eine Herausforderung. Sie fordert daher die Gleichstellung aller Ehrenamtlichen im Bevölkerungsschutz. Aber auch in Unternehmenskooperationen sieht Vogt großes Potenzial. So könnten sich junge Menschen im Rahmen ihrer Berufsausbildung auch zu Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmern ausbilden lassen und dann zum Beispiel für eine Woche an die Küste zum Wachdienst kommen, mit Kost und Logis. „So ein Austausch würde uns sehr helfen.“
Stärkere Vernetzung mit HR
Einen ähnlichen Gedanken scheint es bei Randstad Deutschland gegeben zu haben. Beim Personaldienstleister ist der Bereich Corporate Volunteering bei Public Affairs und Social Responsibility angedockt. Doch mittlerweile gibt es eine stärkere Vernetzung mit HR, wie Carlotta Köster-Brons, Leiterin des Hauptstadtbüros und National CSR Coordinator, erläutert. Denn seit diesem Jahr gibt es ein neues Projekt für Auszubildende und Werkstudierende: Im Rahmen ihrer Ausbildung sollen sie ein soziales Projekt umsetzen. „Als fester Bestandteil der Ausbildung wird Volunteering nun Teil der DNA des Unternehmens. Und da führt an HR kein Weg vorbei.“
Wie sich gesellschaftliches Engagement noch in der Unternehmenskultur verankern lässt, weiß man auch bei Henkel. Dort geht die Unterstützung fürs Ehrenamt sogar über das Beschäftigungsverhältnis hinaus. So umfasst die Ehrenamtsinitiative MIT auch Pensionärinnen und Pensionäre des Unternehmens. Darin sieht Andrea Becher eine große Chance für die Gesellschaft, denn die zeitlichen Kapazitäten sind bei dieser Gruppe häufig größer. Da die ehemaligen Mitarbeitenden nicht mehr mit den internen Unternehmenskanälen verbunden sind, ist der administrative Aufwand etwas höher. „Aber das nehmen wir sehr gerne in Kauf, denn der gesellschaftliche Mehrwert, den unsere Pensionärinnen und Pensionäre mit ihrem Ehrenamt leisten, ist enorm. Und das möchten wir auch gerne weiterhin fördern.“
Den richtigen Kanal finden
Damit Mitarbeitende sich für Corporate Volunteering begeistern lassen, braucht es eine greifbare Einbindung in die Unternehmensstrategie, vorgelebte Werte aus der Führungsebene und eine gute interne Kommunikation. Bei Pfizer wird zu ehrenamtlichen Aktivitäten via E-Mail, über das Intranet oder das firmeninterne soziale Netzwerk informiert. Zentral sei zudem eine stetig wachsende, lebendige Chatgruppe, die sich aus Mitarbeitenden aus ganz Deutschland zusammensetzt. „Hier kommen Kolleginnen und Kollegen zusammen, die sich für den Bereich Corporate Social Responsibility interessieren oder sich hier mit einbringen wollen“, führt Nina Warnecke weiter aus. „Immer wieder entwickeln wir hier auch gemeinsam neue Ideen und Initiativen.“
Beim Corporate Volunteering rät sie außerdem, die verschiedenen Bedürfnisse und Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden zu beachten. „Es geht auch darum, Angebote zur Verfügung zu stellen, die für alle Mitarbeitenden in den Arbeitsalltag passen.“ Denn dieser unterscheide sich in verschiedenen Abteilungen, wie in der Produktion oder im Büro. Um mehr Mitarbeitende für gesellschaftliches Engagement zu erreichen, kann es daher helfen, unterschiedliche Zeitkontingente, Themenschwerpunkte sowie ortsungebundene Initiativen anzubieten. „Hygienetaschen
für Menschen ohne Krankenversicherung zu packen oder ein Online-Mentoring durchzuführen, das funktioniert auch sehr gut bei den Mitarbeitenden zu Hause.“
Kompetenzbasiert und langfristig denken
Damit Corporate Volunteering nicht nur in grüngewaschene Employer-Branding-Maßnahmen abrutschen, setzen viele Unternehmen auf langfristige Kooperationen. „Es gehe nicht darum, einen großen extra Arbeitsaufwand aufseiten der gemeinnützigen Organisation zu schaffen, sondern dort zu unterstützen, wo Hilfe benötigt wird und im Idealfall langfristig und damit nachhaltig zusammenzuarbeiten.“ Nina Warnecke setzt daher auf die langjährige Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Partnern, wie der Berliner Kältehilfe oder Volunteer Vision, um den Organisationen selbst auch einmal eine Bühne zu bieten, miteinander Ideen auszutauschen und vor allem bedarfsorientiert zu helfen. Im Corporate Volunteering spielt dafür auch kompetenzbasiertes Ehrenamt eine immer größere Rolle. Eine dritte Säule neben individuellen Engagement und Teamvolunteering. Bei Randstad Deutschland können sich Mitarbeitende beispielsweise bei dem Projekt Du bist ein Talent engagieren. Dort begleiten sie Jugendliche von Haupt- oder Realschulen in den letzten drei Schuljahren von der Berufsfindung bis zur Bewerbung. Mitarbeitende des Personaldienstleisters können so also ihre speziellen Kompetenzen zum Einsatz bringen.
Seit letztem Jahr gibt es auch bei Henkel die Möglichkeit, die konkreten Kompetenzen der Beschäftigten gezielt einzusetzen. Über das Konzept Volunteers @ Heart stellt der Konzern jedes Jahr fünf Mitarbeitende für je einen Monat frei, um NGOs mit ihrer Expertise zu unterstützen. Henkel fragt dafür bei seinen Partnerorganisationen nach, welche Fähigkeiten sie zu dem Zeitpunkt am dringendsten benötigen. Erst dann startet der Aufruf im Unternehmen nach Freiwilligen, die diese Kompetenzen mitbringen. „Das kompetenzbasierte Volunteering haben wir als weitere Säule neben dem Team- und Einzelvolunteering ins Leben gerufen, um durch den gezielten Einsatz von Fachwissen die Wirkung des Engagements nochmal zu verstärken. Gleichzeitig erleben wir auch die damit verbundene positive Weiterentwicklung bei unseren Mitarbeitenden.“
Corporate Volunteering funktioniert am besten, wenn es für die Mitarbeitenden „greifbar und fühlbar ist“, fasst Köster-Brons zusammen. Selbst wenn sich durch das gesellschaftliche Engagement des Unternehmens positive Faktoren ergeben, wie für das Employer Branding, sollte dies nie ausschlaggebend für das Ehrenamt sein. Im Recruiting spiele Nachhaltigkeit und sinnhaftes Arbeiten zwar mittlerweile eine zunehmend größere Rolle, doch sei es eher als eine Art Hygienefaktor zu betrachten. „Corporate Volunteering ist als wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Gesamtstrategie zu verstehen. Nur dann ist es ein großes Ganzes, das wirklich gelebt wird.“
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.