„HR ist in einer wichtigen Querschnitts­funktion“

Nachhaltigkeit

Frau Professorin Festing, Frau Ballnat, Sie forschen beide zur zukunftsfähigen Ausgestaltung der HR-Funktion. Welche Facetten umfasst der Begriff Sustainable HRM?
Marion Festing: Zu den finanziellen Zielen eines Unternehmens, die bisher sehr stark im Vordergrund standen, und den sozialen Zielen, für die bisher vor allem HR zuständig war, kommen nun als weitere Anforderung die Umweltaspekte hinzu. Wir sprechen daher von einem Dreiklang. Unternehmen müssen im Bereich der Nachhaltigkeit austarieren, das heißt finanzielle Ziele, umweltbezogene Ziele und soziale Ziele in Einklang bringen.

Welche Auswirkungen hat dies für den HR-Bereich?
Festing: Nachhaltiges HR muss im Zusammenhang mit nichtfinanziellen Kennzahlen gesehen werden. Die Gesetzeslage hat sich durch die 2014 beschlossene EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung, die im April 2017 im deutschen Recht als CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz verankert wurde, verändert und sieht eine Pflicht zum Non-Financial Reporting, kurz NFR, vor. Dies rückt Nachhaltigkeit und nichtfinanzielle Kennzahlen stark in den Vordergrund, auch in HR-Handlungsfeldern wie beispielsweise Employer Branding oder Recruiting. Nachhaltigkeit wird beispielsweise zu einem immer wichtigeren Faktor, um Talente für das Unternehmen zu gewinnen. Weitere Ansatzpunkte reichen von Reise­richtlinien bis hin zu den Arbeitsbedingungen und dem Ausbalancieren von Homeoffice und Präsenzzeiten. Auch die Lehre verändert sich. Nicht nur an unserer Hochschule, der ESCP Business School, ist Sustainability mittlerweile ein wichtiges Element in den relevanten Studiengängen für künftige HR-Verantwortliche.

Sustainable HRM ist ein Begriff, der in der öffentlichen Debatte noch wenig vorkommt. Wie nehmen Unternehmen das Thema an?
Festing: Der Zwang für die NFR geht ja noch relativ wenige Unternehmen an, weil das Gesetz erst für kapitalmarkt­orientierte Unternehmen ab einer Größe ab 500 Mitarbeitenden gilt. Dennoch sehen wir, dass viele Unternehmen bereits freiwillig ein solches Reporting einführen und veröffentlichen. Denn unternehmerische Nachhaltigkeit und Transparenz werden zunehmend nachgefragt. Eine weitere gesetzliche Initiative, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, verstärkt diese Initiativen noch: Es verpflichtet Unternehmen, ihre komplette Lieferkette auf die Einhaltung von Menschenrechten zu überprüfen. Hinzu kommt der Druck vonseiten der Gesellschaft, vor allem der jungen Generation.
Alexandra Ballnat: Wir haben im Rahmen unserer Forschungsarbeit Interviews mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen geführt. Diese haben gezeigt, dass es zwar Unterschiede gibt, wie Nachhaltigkeit ganz praktisch gelebt wird, die meisten Verantwortlichen haben aber bestätigt, dass sie sich bereits stark mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. HR ist eine wichtige Querschnittsfunktion und nahe an den Diskussionen in der Geschäftsführung, bei den Führungskräften, aber auch an den Erwartungen der Mitarbeitenden und Bewerberinnen und Bewerber. So kommt HR noch mehr in die Mittlerfunktion zwischen Mitarbeiterinteressen und Unternehmensinteressen. Mit dem Thema Nachhaltigkeit wird dies noch mal auf eine andere Ebene gehoben.

Wie soll Nachhaltigkeit im Unternehmen verankert werden?
Ballnat: Meistens gibt es ein entsprechendes strategisches Leitbild, das von der Unternehmensführung ausgeht und dann auf die Divisionen ausgerollt wird. In diesem Zuge werden dann auch die Interessen der Mitarbeitenden eingebunden und repräsentiert. In kleineren Unternehmen passiert es öfters, dass Initiativen und Verbesserungsvorschläge direkt von den Mitarbeitenden kommen. Aber auch hier wurde vorher der Boden von der Geschäftsführung entsprechend bereitet.
Festing: Auch wenn die Initiative von HR kommt, muss sie von der Unternehmensleitung getragen werden. Eine Top-down-Verordnung ist aber eher schwierig.

Warum lohnt sich die Investition in Nachhaltigkeit und wie wird der Output gemessen?
Ballnat: Letzteres wird hinsichtlich der Kennzahlendefinition und deren jeweiliger Messgrundlage stark diskutiert, da es oft qualitativ zu messende Veränderungen sind. Ein Ansatz sind regelmäßige Befragungen der Mitarbeitenden: Wie geht es euch? Und wie geht es euch mit den Maßnahmen oder den Praktiken, die wir im Bereich Nachhaltigkeit umsetzen?
Festing: Zudem helfen die typischen HR-Kennzahlen. Zum Beispiel: Wie schnell kann ich Stellen besetzen? Wie entwickelt sich die Zahl meiner Bewerberinnen und Bewerber, vielleicht auch im Vergleich zur Konkurrenz? Also, es gibt schon Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsmaßnahmen mit qualitativen und quantitativen Messgrößen zu unterlegen.
Und zur Frage: Lohnt es sich? Ja, und das nicht nur, weil Unternehmen rechtlich keine andere Wahl mehr haben. Die meisten unserer Studierenden zeigen uns täglich, dass sie in keinem Unternehmen mehr arbeiten möchten, das nicht nachhaltig ist.

Es gibt auch Unternehmen, die mit ihren Produkten nicht so populär sind. Ich denke da an die Rüstungs- oder Mineralölindustrie. Haben diese es nicht sehr viel schwerer, sich entsprechend zu positionieren?
Festing: Tatsächlich bestimmt das Produkt sehr stark die Arbeitgebermarke. Beim Produktimage kann man hier nicht viel machen, umso wichtiger ist die Linie von HR: Wie gehen Mitarbeitende mit Umweltanforderungen um? Welche Reiserichtlinien gibt es? Wie sehr achtet man auf Diversity? Werden neue Arbeitsformen ermöglicht? Gibt es spezielle Unterstützung für Familien? Ich denke, dass auch diese Unternehmen Möglichkeiten haben, sich mithilfe von HR besser am Arbeitsmarkt zu platzieren. Und das ist ja das, worauf wir in unserer Forschung schauen.

Was genau haben Sie in Ihren Forschungen dazu herausgefunden, welche Ansätze und Methoden auf dem Weg zur Nachhaltigkeit von HR angewandt werden?
Ballnat: Es geht ja im Prinzip darum, die drei Säulen – die ökologische, finanzielle und soziale Seite von Nachhaltigkeit– in Einklang zu bringen. Dabei geht es, wie eben schon erwähnt, auch um die Arbeitsbedingungen. Da gibt es einiges, was Unternehmen auf den Weg bringen. Von flexiblen Arbeitsformen über Yoga-Kurse bis hin zum Betriebskindergarten oder Reiserichtlinien.

Haben das nicht schon viele Unternehmen gemacht, bevor all diese Maßnahmen unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ subsumiert wurden?
Ballnat: Neu ist, dass diese Maßnahmen jetzt auch im nichtfinanziellen Bericht auftauchen und so besser deren Entwicklung, zum Beispiel Fortschritte, dokumentiert werden.
Festing: Das Austarieren der drei Nachhaltigkeitsziele kann zum Beispiel in Form einer Win-win-Situation gelingen: Man definiert auf der einen Seite ein soziales Ziel, beispielsweise flexible Arbeitsformen, was auf der anderen, der finanziellen Seite Ausgaben und zeitliche Investitionen in Dienstreisen verringert. Dies wiederum kommt auch der Umwelt zugute.

Wie kann man die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen überzeugen, dass es notwendig ist, in Nachhaltigkeit zu investieren?
Festing: Das hat sehr viel mit Kultur zu tun. Und da sollte man die Mitarbeitenden nicht unterschätzen. Nachhaltigkeitskultur darf keine leere Worthülle sein, sondern muss mit Leben gefüllt werden. Dann stehen auch die meisten Mitarbeitenden dahinter und können sich mit einer anderen Art des Arbeitens viel mehr identifizieren. Mitarbeitende wollen sich auch selbst über ihren persönlichen Beitrag Gedanken machen und Projekte anstoßen. Da entstehen ganz viele Initiativen bis hin zum gemeinsamen sozialen Engagement. Es ist wichtig, die Mitarbeitenden in diesen Prozess einzubinden.

Wie wirkt sich Sustainable HRM beispielsweise auf die Talentförderung, die Zusammenarbeit und den Umgang mit dem Personalbestand aus?
Festing: Die langfristige Denkweise rückt wieder in den Vordergrund. Die Überlegungen, wie Unternehmen langfristig Skills aufbauen und lebenslanges Lernen fördern können, sind wichtiger denn je. Da passiert im Moment sehr viel, auch im Zusammenschluss von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gewerkschaften. Es geht darum, Zusammenarbeit grundsätzlich nachhaltiger zu gestalten.

Wie kann man noch kritische Unternehmen vom Nachhaltigkeitsprinzip überzeugen?

Festing: Ich glaube nicht, dass es Unternehmen gibt, die diesbezüglich unbelehrbar sind. Es ist eine Frage, wie man herangeht und wie man sie vom Sinn und Zweck der Maßnahmen überzeugt. Zum Beispiel mit dem Argument, dass ein Unternehmen, das nicht nachhaltig ist, in Zeiten eines War for Talent wohl größere Schwierigkeiten haben wird, Mitarbeitende zu finden.

Liegt der Ursprung der Nachhaltigkeitsdebatte auch im Fachkräftemangel?
Festing: Wir haben nicht nur das Thema Fachkräftemangel. Wir haben auch andere starke gesellschaftliche Entwicklungen, die sich mit dem Klimawandel und mit dem nachhaltigen Einsatz von Ressourcen beschäftigen, und zwar weltweit. Warum sollte ein Unternehmen, und vor allem HR, nicht versuchen, dazu beizutragen?
Ballnat: Ich denke auch, dass Unternehmen sich dieser riesigen gesellschaftlichen Debatte nicht entziehen können. Im Endeffekt geht es hier auch um die Existenzfrage. Aber es ist auch eine riesige Chance. Ich sehe so viele Initiativen und Vernetzungen, die gerade in Unternehmen, aber auch zwischen Unternehmen zustande kommen. Und ich sehe dabei eine tolle Möglichkeit für HR-Professionals, die Fühler auszustrecken und auch mit anderen Unternehmen Kontakt aufzunehmen. Was es bringt? HR kann die gesellschaftliche Debatte beeinflussen, bekommt Aufmerksamkeit, Branding und – im besten Falle – die besten Leute.

Über die Gesprächspartnerinnen:

© ESCP

Marion Festing ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Professorin für Personalmanagement und interkulturelle Führung an der internationalen Wirtschaftshochschule ESCP Business School in Berlin. Sie leitet zudem das Talent Management Institute (TMI) und das Excellence Center of Intercultural Management, Diversity & Inclusion (CIMDI). Festings Forschungsgebiete sind unter anderem internationales und strategisches Personalmanagement.

© ESCP

Alexandra Ballnat promoviert am Lehrstuhl für Personalmanagement und interkulturelle Führung an der ESCP Business School in Berlin. Sie schloss 2018 im Rahmen eines Stipendiums ihr Masterstudium in Human Resource Management / Personalpolitik an der Universität Hamburg ab und arbeitete als Unternehmensberaterin bei Pricewater­houseCoopers. Ihre Forschungsgebiete sind Sustainable HRM und nichtfinanzielle Berichterstattung.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Investition. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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