Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales richteten im November 2023 im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie die erste Nationale Weiterbildungskonferenz in Berlin aus. Ein – wie sie es sagen – „Aufbruch in die Weiterbildungsrepublik“. Damit haben die Themen Weiterbildung und lebenslanges Lernen es ganz offiziell in den politischen Diskurs geschafft. Und wir dürfen gespannt sein, wie diese Strategie in den kommenden Jahren Einzug in den Berufsalltag finden wird. Denn heute gehen in der Praxis Wunsch und Wirklichkeit beim Thema Weiterbildung teils stark auseinander – eine Gemengelage aus vielen ganz verschiedenen Weiterbildungshemmnissen.
Innovationen sind entscheidende Triebfedern für Wirtschaftswachstum und sind für Unternehmen überlebenswichtig – doch laut einer aktuellen Studie der IW Consult im Auftrag der Bertelsmann Stiftung sinkt der Anteil innovativer Unternehmen rapide. Nur noch jedes fünfte Unternehmen in Deutschland könne als besonders innovativ bezeichnet werden. Neben hohen Innovationskosten bremst laut aktuellem KfW-Innovationsbericht vor allem der Mangel an Fachkräften Innovation aus. Da es immer schwieriger wird, neue Mitarbeitende für ein Unternehmen zu gewinnen, liegt ein möglicher Lösungsweg vergleichbar nah: bestehende Mitarbeitende gezielt aus- und weiterbilden. Doch damit dies gelingt, müssen Weiterbildungshindernisse von Personalverantwortlichen erkannt und gemeinsam mit den Mitarbeitenden überwunden werden.
Angebote werden häufig nicht genutzt
Für 45 Prozent der befragten Angestellten spielen laut einer aktuellen Stepstone-Studie Weiterbildungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle für den Job. Entsprechend wenig überraschend ist die Folge, wenn diese Erwartung vom Unternehmen nicht erfüllt wird: Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven zählen zu den häufigsten Kündigungsgründen. Was in dieser Lage jedoch sehr verwundert, ist, dass gleichzeitig ein Großteil der Weiterbildungsbudgets in Unternehmen unausgeschöpft bleibt. Dies gilt auch für Bildungsurlaub, den nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nur ein bis zwei Prozent der Beschäftigten nutzen, obwohl 77 Prozent grundsätzlich an Fortbildungen interessiert sind.
Weiterbildungshindernisse erkennen
Personalverantwortliche sollten Antworten darauf finden, warum Angebote rund um das Thema Weiterbildung –trotz offensichtlichem Bedarf der Unternehmen und Mitarbeitenden – häufig nicht in Anspruch genommen werden. Drei weitverbreitete Hindernisse sind fehlende Ressourcen, Unklarheit in Sachen Verantwortlichkeiten und Überforderung: Bereits beim Thema zeitliche – oder auch mentale – Ressourcen können sich für Mitarbeitende Schwierigkeiten auftun. Denn Weiterbildungsmaßnahmen zusätzlich zu einem vollen Joballtag unterzubringen, kann schwierig sein und eine nicht zu unterschätzende Zusatzbelastung darstellen. Eine häufige Folge: Die eigene Weiterbildung wird immer wieder aufgeschoben. Auch wenn es um die Verantwortung geht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Im Sinne einer erfolgreichen Karriere können beispielsweise Mitarbeitende selbst hinter ihrer Weiterbildung her sein – das Budget wird dann sicher sinnvoll genutzt. Andere wiederum verhalten sich womöglich etwas passiver und sehen vielmehr das Unternehmen in der Pflicht, ihnen Entwicklungschancen durch Weiterbildung aufzuzeigen.
Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Überforderung durch die vielen Angebote. Aus der Personalabteilung oder von der Teamleitung heißt es „Hier ist dein Budget, dann mach mal“ – und dann passiert oft nichts. Oder zumindest nicht das Richtige. Nicht weil der Wille fehlt, sondern weil das Angebot so unübersichtlich ist und es gefühlt endlose Möglichkeiten gibt.
Individualisierung als Schlüssel zum Erfolg
Viertagewoche, Remote Work, Sabbatical, Workation – die Flexibilisierung des Arbeitsalltags hat die meisten Unternehmen und Branchen erreicht. Die Arbeit passt sich dem Leben an. Sollte nicht das Gleiche für die Weiterbildung gelten? Denn die Zeiten, in denen man aus dem „Standard Weiterbildungsköfferchen“ Angebote zieht und hofft, damit Talente im Unternehmen halten zu können, sind definitiv vorbei! Es muss ein Umdenken stattfinden, damit Weiterbildung endlich sein volles Potenzial entfalten kann – für beide Seiten.
Die Frage nach dem Warum ist tief in uns verankert, sie ist eine urmenschliche Frage. Nicht ohne Grund haben Kleinkinder eine Warum-Phase. Und nicht ohne Grund suchen wir auch als Erwachsene noch immer nach dem Sinn, im Job und im Privaten, in Büchern und Beziehungen. Und genau diese Frage gilt es auch den Beschäftigten zu beantworten: Warum ist das Thema Weiterbildung so bedeutsam für das Individuum? Und warum so wichtig für das Unternehmen – und gar die deutsche Wirtschaft? Um hier auch noch mal auf das Thema Verantwortung zu kommen: Aus meiner Sicht sollten Unternehmen gerade bei jenen, die in den Beruf einsteigen, viel mehr in die Verantwortung gehen, wenn es um das Thema Weiterbildung geht. Arbeitnehmende, die gerade in einen neuen Job starten und von ihrem Arbeitgebenden von Anfang an aktiv auf eine Karrierereise vorbereitet und entsprechend gefördert werden, werden zum einen nicht nur ein höheres Engagement an den Tag legen, sondern verstehen direkt, worum es eigentlich geht: nämlich kontinuierliches Lernen!
Die Last der unbegrenzten Möglichkeiten – ein Phänomen, das man aus verschiedenen Lebensbereichen kennt. Ob beim Onlineshopping, bei der Serienauswahl am Abend, bei der Urlaubsplanung oder im Job: Je mehr Möglichkeiten man hat, desto schwieriger kann es fallen, sich festzulegen. Warum das so ist, erklärten die Psychologen Sheena Iyengar von der Columbia University und Mark Lepper von der Stanford University im Jahr 2020 in ihrer Studie When choice is demotivating: Can one desire too much of a good thing?
Iyengar und Lepper fanden heraus, dass übermäßige Auswahl nicht nur zu einer „Wahllähmung“ und Überforderung führen kann, sondern auch, dass sie
die Zufriedenheit der Menschen mit ihren Entscheidungen verringern kann, selbst wenn sie gute Entscheidungen getroffen haben. Beim Thema Weiterbildung stehen wir vor der gleichen Herausforderung. Es gibt nicht nur Dutzende verschiedene Angebote mit mindestens genauso vielen verschiedenen Konzepten, sondern auch Hunderte Themenbereiche, mit denen man sich befassen könnte. Kostenlos oder kostenpflichtig, remote oder vor Ort, neben dem Job oder in Vollzeit. Werden Mitarbeitende in dieser Gemengelage alleingelassen, droht genau das einzutreffen, was auch Iyengar und Lepper in ihrer Studie beschreiben: Überforderung und Unzufriedenheit.
Entsprechend gefordert sind Personalverantwortliche, im Zuge von Entwicklungsgesprächen neben Guidance auch Verbindlichkeiten zu schaffen, Perspektiven aufzuzeigen und – vor allem – individuell auf die jeweiligen, sich stetig verändernden Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen. Hier sind einige Überlegungen, die bei der Entscheidung helfen können:
- Welche Fähigkeiten fehlen im Team oder im gesamten Unternehmen und welche sind für zukünftige Projekte oder Ziele erforderlich?
- Wo liegen die Interessen und Entwicklungswünsche der Mitarbeitenden? Ist beim Quereinstieg eine horizontale, vertikale oder sogar diagonale Entwicklung gewünscht?
- Welche Ziele sollen durch die Weiterbildung erreicht werden? Geht es um Fachwissen, Soft Skills oder beides?
- Wie viel Zeit und Geld ist für die Weiterbildung verfügbar?
- Welches Format ist geeignet: online oder in Präsenz, selbstgesteuert im eigenen Tempo oder geführt mit mehr Struktur und Anleitung? Flexible Ansätze wie Micro Learning oder intensive Weiterbildungs-Bootcamps in Vollzeit?
- Welche Anbieter für Weiterbildungsmaßnahmen nehmen wir in unser Portfolio auf?
- Woran und wie wird der Erfolg gemessen?
Letztlich kann eine Weiterbildungsstrategie nur funktionieren, wenn sie unternehmensweit und systematisch konzipiert ist und dabei die Unternehmensziele ebenso wie die sehr individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt. Denn wir dürfen nicht vergessen: Weiterbildung ist der Schlüssel zur Fachkräftesicherung und zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und damit für die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit von Deutschlands Wirtschaft.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Lernreise Transformation: Kompetenzen sind die neue Währung
- Teilzeitführung: Weniger Stunden, mehr Lei(s)tung
- Fachkräftemangel: Einige Hebel und viele Haken
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Miteinander. Das Heft können Sie hier bestellen.