Teilzeitführung: Weniger Stunden, mehr Lei(s)tung

Shared Leadership

Zweifellos entwickelt sich Teilzeitführung zunehmend als zentrales Schlüsselthema, sowohl in Unternehmen als auch in der Fachliteratur und politischen Diskussion. Die Anzahl der teilzeitbeschäftigten Führungskräfte, gemessen an allen Führungskräften, hat sich zwischen 2013 und 2022 von fünf auf circa 14 Prozent erhöht. Dabei hat sich im Führungskräftebereich in jüngster Zeit eine wachsende Vielfalt von Teilzeitmodellen etabliert. Besonders populär sind vollzeitnahe Modelle mit einem Arbeitszeitvolumen von mehr als 75 Prozent. Aber auch Topsharing-Konzepte sind im Kommen, in denen die Führungskräfte in der Regel eine deutlich stärkere Reduktion ihrer Arbeitszeit vornehmen. Darüber hinaus finden sich mittlerweile viele weitere innovative Formen von Teilzeit im Führungskräftebereich, wie beispielsweise Sabbaticals oder andere verblockte Auszeiten, die Viertagewoche oder zusätzliche Urlaubstage.

Diversity-Instrument

Ein Grund für ihre wachsende Popularität ist insbesondere auch der Beitrag, den funktionierende Teilzeitführungsmodelle zum Diversity Management leisten. Die zusätzliche Flexibilität ermöglicht Führungskräften in unterschiedlichen Lebensphasen und mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, ihre berufliche Entwicklung voranzutreiben, ohne dabei Kompromisse im persönlichen Bereich eingehen zu müssen. Das prominenteste Beispiel sind Mütter, die immer noch einen größeren Anteil der Care-Arbeit übernehmen und daher häufiger ihre Arbeitszeit reduzieren. Aber auch junge Väter, ältere Arbeitnehmende, Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder zu pflegenden Angehörigen, Nachwuchskräfte mit Weiterbildungsambitionen, Ehrenämtler und viele mehr profitieren von Teilzeitangeboten. Die Einführung maßgeschneiderter Arbeitszeitmodelle für Führungskräfte entspricht nicht nur den sich wandelnden Präferenzen und Bedürfnissen, sondern birgt auch erhebliche Vorteile für Unternehmen. Dennoch müssen bestimmte Aspekte berücksichtigt werden, wenn Teilzeitführung als gleichwertiges Arbeitszeitmodell im Vergleich zur Vollzeitarbeit implementiert werden soll.

Vollzeitnah in Führung

Das aktuell in der Praxis gängigste Teilzeitmodell für Führungskräfte ist die vollzeitnahe Teilzeit. Hierbei beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Führungskraft in der Regel über 75 Prozent der betriebsüblichen Arbeitszeit. Aus Sicht der Unternehmen hat dieses Modell den großen Vorteil, dass ein Ausfall der Führungskraft aufgrund der marginalen zeitlichen Reduktion kaum wahrgenommen würde und organisatorisch vergleichsweise unkompliziert zu implementieren ist. Aber auch die teilzeitbeschäftigten Führungskräfte profitieren von der Möglichkeit, ein weitgehend unverändertes Arbeitsumfeld halten zu können. Allerdings besteht genau in dieser vermeintlich einfachen Umsetzbarkeit das Risiko, dass zwar die Arbeitszeit der Führungskraft reduziert wird, Arbeitsaufgaben und Kommunikationswege jedoch nicht an die verkürzten Arbeitswochen angepasst werden. Somit kann es zu einer Arbeitszeitverdichtung für die Teilzeitkraft oder zu einer oft nicht kompensierten Verlagerung von Aufgaben ins Team kommen. Zudem ist kritisch festzustellen, dass Teilzeitführungskräfte aus Zeitgründen oftmals auf Netzwerkmöglichkeiten verzichten oder an Weiterbildungszeit sparen, was in der Konsequenz zu einer schleichenden Abqualifizierung und zu geringeren Karriereaussichten führen kann.

Verantwortung auf zwei Personen ­verteilen

Das Topsharing-Modell kann diesem Risiko der Arbeitszeitverdichtung entgegenwirken, indem ein Arbeitsplatz, inklusive sämtlicher Fach- und Führungsaufgaben, auf zwei oder mehr Personen aufgeteilt wird. Kunden wie Mitarbeitende profitieren von einer verlässlichen Vertretungslösung und Erreichbarkeit während Abwesenheiten, und bei steigender Arbeitsbelastung sind flexiblere Kapazitätsanpassungen möglich. Der enge Austausch zwischen beiden Führungskräften fördert den Wissenstransfer und steigert Qualität und Kreativität, vor allem wenn sich das Topsharing-Tandem gegenseitig mit verschiedenen Fähigkeiten ergänzt. Da Topsharing durch die Vertretungsoption eine deutlichere Reduktion der Wochenarbeitsstunden ermöglicht, erweitert es zudem die Zielgruppe der potenziellen Führungskräfte erheblich.

Dennoch bringt das Topsharing-Modell aufgrund vermehrter Schnittstellen und gegenseitigen Abhängigkeiten der Führungskräfte auch einige Herausforderungen mit sich. Eine gute Abstimmung zwischen den Tandempartnern ist entscheidend, sowohl für die Arbeitsorganisation als auch für die Inhalte. In bestimmten Situationen kann es zu Konflikten, Machtstreitigkeiten oder sogar Asymmetrien zwischen den Führungskräften kommen, welche sich wiederum negativ auf das Team auswirken können. Neben menschlichen Herausforderungen könnten organisatorische Schwierigkeiten auftreten, etwa doppelte Kosten für Ausrüstung und Schulung. Nicht alle IT-Systeme ermöglichen die gleichberechtigte Zuordnung von zwei Personen zu einer Rolle und es bleibt die Frage zum Umgang mit Prokurarechten in Spitzenpositionen.

Eine andere Variante des Topsharings sind sogenannte Vertretermodelle, bei der sich Führungskräfte mit unterschiedlichem Senioritätsgrad eine Stelle teilen. Hierbei wird die Arbeitszeit einer erfahrenen, oftmals älteren Führungskraft reduziert, woraufhin eine (hoch-)qualifizierte aber weniger erfahrene Stellvertretung die Abwesenheit kompensiert. Dieses Modell ist nicht nur ein innovatives ­Instrument zur Personalentwicklung junger Führungskräfte, sondern dient auch als nachhaltige Lösung für den Übergang erfahrener Führungskräfte in den Ruhestand.

Teilzeitfreundliche Unternehmens­strukturen

Unabhängig von dem letztendlich gewählten Teilzeitführungsmodell ist es für eine erfolgreiche Implementierung unerlässlich, Teilzeitführungsmodelle nicht nur auf Einzelfallbasis zu ermöglichen. Die gesamte Organisationskultur und die Arbeitsumgebung müssen so angepasst werden, dass Strukturen und Prozesse durchgängig teilzeitfreundlich gestaltet sind.

In der Anfangsphase der Einführung von Teilzeitführung ist es ratsam, dass Unternehmen zunächst Wissen aufbauen. Dies kann durch die Durchführung von Workshops mit Teilzeitführungskräften, Teams, Vorgesetzten und der Belegschaft erreicht werden. Auf diese Weise wird ein Einblick in wichtige firmenspezifische Besonderheiten aus verschiedenen Perspektiven gewonnen. Dabei besteht das Hauptziel darin, kulturelle und organisatorische Anpassungen zu identifizieren, um die spezifischen Bedürfnisse von Teilzeitmitarbeitenden angemessen zu berücksichtigen und unbeabsichtigte Diskriminierung zu verhindern. Diese Anpassungen können organisatorische Prozesse und Instrumente betreffen, wie die Anberaumung von Meetings außerhalb der Kernarbeitszeiten. Ein anderes Beispiel sind für Vollzeitkräfte entwickelte Führungskräftetrainings und -bewertungen, die möglicherweise nicht die besonderen Bedürfnisse der Teilzeitführungskräfte ausreichend berücksichtigen. Zudem können auch hemmende Normen und Werte wie eine stark ausgeprägte Präsenzkultur thematisiert werden, die eine entsprechende Kulturarbeit verlangen.

Für eine erfolgreiche Umsetzung sind klare Teilzeitführungs-Zieldefinitionen unerlässlich. Die Festlegung einer Teilzeitführungsquote für alle Hierarchieebenen, mit einem speziellen Fokus auf den Ausbau bei männlichen Führungskräften, kann ein wirkungsvolles Instrument zur Akzeptanzstärkung sein. Stellenausschreibungen sollten klare Hinweise auf eine mögliche flexible Arbeitszeitgestaltung enthalten, etwa zum Mindestarbeitszeitvolumen „in Teilzeit machbar“ oder sogar des expliziten Angebots: „als Top-Sharing denkbar“. Ebenso kann die gezielte Ermöglichung kreativer und innovativer Arbeitszeitmodelle auf allen Ebenen dazu beitragen, die Integration von Teilzeitführung effektiv voranzutreiben.

Um eine nachhaltige Verankerung und Akzeptanz von Teilzeitführung sicherzustellen, ist es empfehlenswert, diese in verschiedene strategische Initiativen innerhalb des Unternehmens zu integrieren. Wie zum Beispiel die Einbindung in mögliche Digitalisierungsprojekte, die flexible Arbeitsmodelle unterstützen. Dadurch entsteht nicht nur die Option für ortsunabhängiges Arbeiten, sondern auch die Chance, Kommunikationsherausforderungen der Teilzeitarbeit durch zusätzliche asynchrone und digitale Möglichkeiten auszugleichen. Die Überarbeitung von Führungsleitbildern, Teilnahme an Zertifizierungen und Audits als familienfreundliche Unternehmen oder Projekte zu Dienstvereinbarungen, Arbeitszeit oder Stellenausschreibungen sind weitere Anknüpfungspunkte, um Teilzeitführung in der Unternehmenskultur zu verankern. Zudem könnte die Festschreibung von Prokura-Regeln in den Governance-Leitlinien dazu beitragen, klare Strukturen und Verantwortlichkeiten zu schaffen. Die Verankerung in bestehende Nachhaltigkeits- oder Diversity-Teams bietet die Möglichkeit, Teilzeitführung als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie zu positionieren und sicherzustellen, dass sie nicht nur als isoliertes HR-Thema betrachtet wird. Es ist empfehlenswert, das Bewusstsein für das Thema zu fördern, etwa durch die Vorstellung von erfolgreichen Rollenvorbildern, die Diskussion in Führungsgremien und die Einbeziehung von (externer) Expertise und Netzwerken.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Treue. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anja Karlshaus

Anja Karlshaus ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaft und Personalmanagement an der CBS International Business School und Präsidentin der Hochschule. Sie ist Mitherausgeberin der Bücher Teilzeitführung und Agiles Human Resources.

Yasmin Mayer

Yasmin Mayer ist Consultant für Workforce und ­Organization bei Capgemini Invent.

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