„Jobsharing macht uns zu besseren Führungskräften“

Führen im Tandem

Frau Vettin-Wansart, Frau McBroom, Sie leiten gemeinsam die 13-köpfige Business Management Unit von Volkswagen Consulting und sind damit verantwortlich für Marketing, Recruiting, Personalentwicklung und Controlling. Das heißt: Sie gibt es nur im Doppelpack. Ist das ein Fluch oder ein Segen?
Astrid Vettin-Wansart: Definitiv ein Segen – für uns und auch für die Mitarbeitenden.

Warum?
Astrid Vettin-Wansart: Mich persönlich motiviert es total, gemeinsam mit Nadine zu führen. Wir haben eine starke Verbindung, das spürt auch das Team. Nadine und ich leben vor, wie Aufgabenteilung funktioniert, wie wir uns strukturieren und gemeinsam Lösungen finden. Das färbt auch auf die Beschäftigten ab – im Teamwork ist unsere Abteilung unschlagbar.
Nadine McBroom: Ich kann auch nur sagen: Definitiv ein Segen. Wir können gemeinsam deutlich mehr Themen vorantreiben und haben gleichzeitig mehr Raum für das jeweilige Privatleben.

Die Doppelspitze besteht seit dem Jahr 2018. Wie kam es dazu?
Astrid Vettin-Wansart: Ich hatte schon Erfahrung aus meiner vorigen Stelle. Bevor ich zu Volkswagen Consulting kam, habe ich gemeinsam mit einer Kollegin ein Team in der Konzernproduktstrategie von Volkswagen geleitet. Nach zwei Jahren wollten wir uns beide weiterentwickeln, aber immer unter der Voraussetzung „Uns gibt’s nur zu zweit“. Richard Petrovic, der Leiter von Volkswagen Consulting, fand uns und unsere Idee toll und hat uns die Abteilungsleitung der Business Unit angeboten. Als meine damalige Kollegin vor zwei Jahren ausschied, kam Nadine an meine Seite.

Hatten Sie ein Mitspracherecht bei ihrer Auswahl?
Astrid Vettin-Wansart: Na klar, ohne einen sehr guten persönlichen Draht funktioniert Jobsharing nicht. Wir haben uns tatsächlich erst vor zwei Jahren kennengelernt und hatten durch den Beginn der Pandemie auch nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, uns persönlich zu treffen. Trotzdem haben wir nach einem ersten längeren Gespräch schnell gemerkt, dass wir ein sehr gutes Team werden können.

Jobsharing im VW-Konzern ist schon eine Weile erprobt.
Nadine McBroom: Mittlerweile gibt es 16 solcher Führungstandems über die gesamte Volkswagen AG verteilt. Unser Arbeitgeber hat zum Glück früh erkannt, dass sich auch Führungskräfte mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben wünschen, und investiert in dieses Modell. Die Arbeitswelt und die Bedürfnisse der Menschen müssen kompatibel sein. Das macht einen attraktiven Arbeitgeber aus.

Aber es hat auch seinen Preis. Sie könnten ja auch einfach alleine in Teilzeit auf einer Stelle arbeiten, oder? Dann hätte Ihr Arbeitgeber keine Mehrkosten.
Nadine McBroom: In der Theorie sicherlich. Für mich wäre eine Managementfunktion mit 80 Prozent auf Dauer keine Lösung. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Das ist in der Praxis kaum umsetzbar. Gerade Führungspositionen lassen sich nicht so einfach zeitlich reduzieren. So eine Stelle zu begrenzen, endet fast immer in Mehrarbeit für alle Beteiligten. Jobsharing ist auf jeden Fall deutlich praktikabler als eine einfach besetzte Teilzeitstelle. Jetzt muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mal früher gehe oder ich nicht alles schaffe.
Astrid Vettin-Wansart: Es geht aber nicht nur um Machbarkeit, sondern auch um Qualität. Wir sind davon überzeugt, dass Jobsharing uns zu besseren Führungskräften macht.

Inwiefern?
Astrid Vettin-Wansart: Führen im Team ist etwas anderes als im Alleingang. Uns beide zeichnet ein kooperativer, aber auch klarer Führungsstil auf Augenhöhe mit unserem Team aus. In einzelnen Situationen vertreten wir diesen durchaus unterschiedlich – mal ist Nadine konsequenter, mal bin ich es. Durch eine enge und regelmäßige Abstimmung versuchen wir, solche Situationen aber zu vermeiden. Das hilft uns auch sehr für unsere persönliche Weiterentwicklung.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Astrid Vettin-Wansart: Wir beziehen immer unser beider Perspektiven in Entscheidungen ein und ergänzen uns auf diese Weise. Nadine ist zum Beispiel weitaus erfahrener in der Beratung und im Vertrieb. Mein Hintergrund liegt eher in der Produktstrategie. Unsere Entscheidungen beinhalten die Denkweise von zwei Führungskräften statt nur einer. Daraus entstehen Ergebnisse, die präziser, fertiger und wertvoller sind. Auch unser Chef freut sich, wenn er von uns bereits doppelt durchdachte Vorlagen geliefert bekommt.

Wie teilen Sie Ihre Arbeitszeit ein?
Astrid Vettin-Wansart: Wir arbeiten beide an fünf Tagen in der Woche. Da wir beide Kinder haben, ist es für uns besonders wichtig, am späten Nachmittag und frühen Abend flexibel zu sein. Die Kinder kommen aus der Betreuung, es gibt Abendessen und die Familie sitzt zusammen. Das will keine von uns missen. Deshalb teilen wir uns die Zeit zwischen 16:00 und 19:00 Uhr so gut wie möglich auf und wechseln uns ab. Wichtig ist, dass immer eine von uns für das Team erreichbar ist und Termine übernehmen kann.
Nadine McBroom: Jeden Montag teilen wir die kommenden Termine und Themen auf. In der Praxis verschieben sich Termine aber häufig und wir müssen flexibel reagieren. Wir wissen genau, was die andere auf dem Tisch hat und können uns Aufgaben jederzeit hin und her spielen. Das fängt schon damit an, dass wir Zugriff auf den Kalender der jeweils anderen haben. Und: Unsere Schreib­tische stehen direkt gegenüber. Wenn wir gemeinsam im Büro sind und uns persönlich austauschen, bleiben wir automatisch auf dem neuesten Stand.

In den vergangenen zwei Jahren haben Sie aber vor allem im Homeoffice gearbeitet. Dann lernen Sie sich ja jetzt erst so richtig kennen, oder?
Astrid Vettin-Wansart: Seit Mai kommen wir wieder häufiger ins Büro, da bereitet uns der persönliche Kontakt umso mehr Freude. Wir versuchen immer gemeinsam vor Ort zu sein. Wenn Nadine beispielsweise telefoniert, höre ich mit einem Ohr zu und bekomme automatisch mit, was bei ihr anliegt.
Nadine McBroom: Obwohl wir uns anfangs nur online kennengelernt haben, lief es direkt reibungslos zwischen uns. Wir haben schnell festgestellt, dass wir zusammen noch bessere Ergebnisse erzielen. Astrid hat zum Beispiel oft Aspekte vor Augen gehabt, an die ich gar nicht gedacht hätte. Ich arbeite ruhig und strukturiert, …
Astrid Vettin-Wansart: … und du bremst mich auch mal aus, wenn meine Gedanken abschweifen. Das schätze ich sehr. Durch so etwas wächst das Vertrauen in die gegenseitigen Fähigkeiten und langfristig auch ineinander – auch remote.

Wie kommt die Doppelspitze bei Ihrem Team an?
Astrid Vettin-Wansart: Für die Mitarbeitenden war das am Anfang auch etwas ganz Neues, aber alle waren offen dafür. Mittlerweile haben wir feste Routinen etabliert. Nadine und ich kommen beispielsweise ein- bis zweimal pro Woche in der Teamrunde mit allen zusammen. Dazu gibt es regelmäßige Gespräche mit einzelnen Mitgliedern oder kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen. Die teilen wir uns auf, wechseln uns aber regelmäßig ab. Wenn eine von uns zum Beispiel zwei Wochen lang mit dem Controlling-Team gearbeitet hat, tauschen wir, damit wir beide immer gleichermaßen nah am Team und den Themen bleiben.

Welche Themen und Aufgaben bearbeiten Sie?
Nadine McBroom: Unser Team bearbeitet sowohl operatives Tagesgeschäft als auch konzeptionelle Projekte, in denen wir neue Ideen entwickeln. Das Tagesgeschäft betreuen wir beide und sind gleichermaßen Ansprechpartnerinnen für unser Team. Konzeptionelle Projekte teilen wir untereinander auf, da wir hier inhaltlich tiefer einsteigen müssen. Hier geben wir uns aber regelmäßig Feedback.

Nach welchen Kriterien teilen Sie die konzeptionellen Aufgaben?
Nadine McBroom: Nach Verfügbarkeit, aber auch nach persönlichen Präferenzen und Erfahrungen. Meine Ursprünge liegen in der Manage­mentberatung, seit dem Jahr 2011 bin ich bei VW Consulting. Dort habe ich im Vertrieb und Marketing angefangen. Da liegt es nahe, dass ich mich etwa der neuen Social-Media-Strategie widme.
Astrid Vettin-Wansart: Ich kenne mich besser mit Personalentwicklung und Recruiting aus, deshalb arbeite ich derzeit an der Anpassung der Auswahlverfahren für die Volkswagen Consulting. Bei der VWC haben wir dafür spezifische Verfahren, die wir gemeinsam mit unserem Team und den verschiedenen Konzernstellen überarbeitet haben. Nadine ist natürlich als Sparringspartnerin immer mit beteiligt.

Wo stößt die Zusammenarbeit an ihre Grenzen?
Nadine McBroom: Die Grundregel lautet: Wenn eine von uns etwas entscheidet, gilt die Entscheidung für beide. Wir nehmen nichts zurück. Das Team kann sich darauf verlassen, dass das, was eine von uns entscheidet, auch gilt. Wir haben mittlerweile ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt, wie die andere entscheiden würde, und sprechen uns immer lieber einmal mehr ab als einmal zu wenig. So konnten wir bisher immer eine gemeinsam getragene Lösung finden.
Astrid Vettin-Wansart: Wir brauchen aber hin und wieder auch Zeit für uns allein. Es gibt Situationen, in denen wir so besser vorankommen. Wir dürfen auf keinen Fall Konkurrenz zwischen uns entstehen lassen, sondern müssen uns aufeinander verlassen können. Natürlich erwarten wir voneinander, dass die jeweils andere ihren Job so gut macht, wie sie kann. Aber wir achten auch darauf, dass wir uns nicht gegenseitig unter Druck setzen – gerade wenn die eine einmal länger arbeitet als die andere.

Sie haben sicherlich auch mal schlechte Tage, an denen die To-do-Liste nicht abnehmen will und die Familie allein zu Abend isst. Wie gehen Sie damit um?
Nadine McBroom: Das kommt vor. Am Ende geht es aber um die Balance, darum, dass wir empathisch miteinander umgehen und Rücksicht aufeinander nehmen. Ich weiß zum Beispiel genau, wann Astrids Kinder aus der Schule kommen – dann rufe ich in dem Zeitraum eben nicht an. Wir teilen die Arbeitszeit klar ein, manches muss dann eben warten. Wir mussten beide aber erst lernen, Nein zu sagen. Inzwischen kommunizieren wir ganz offen miteinander und sagen klar, wenn es gerade nicht passt.
Astrid Vettin-Wansart: Und wenn es einmal zu viel wird, erinnern wir uns an unser Ziel: Wir wollen Vorbilder sein und unserem Team zeigen, wie Jobsharing zum Erfolg führen kann.

Nadine McBroom, Führungskraft bei Volkswagen Consulting
© Volkswagen Consulting

Nadine McBroom
Die Mathematikerin leitet seit 2020 gemeinsam mit Astrid Vettin-Wan­sart das Business Management von Volkswagen Consulting (VWC). VWC ist eine Managementberatung, die zur Volkswagen AG (VW) gehört, berät den Konzern und entwickelt den Managementnachwuchs. Vor ihrem Wechsel zu VWC war die 41-Jährige neun Jahre lang als Managerin im Vertrieb und Marketing der Marke Volkswagen tätig.

Astrid Vettin-Wansart, Führungskraft bei Volkswagen Consulting
© Volkswagen Consulting

Astrid Vettin-Wansart
Die Wirtschaftsingenieurin arbeitet seit 2011 bei VW und ist seit mehr als drei Jahren Leiterin Business­ Management bei VWC, seit 2020 hat sie diese Position im Jobtandem mit Nadine McBroom inne. Im Consulting sind sie zuständig für Marketing, Controlling, Personalentwicklung und Wissensmanagement. Zuvor war die 41-Jährige als Produktman­agerin im VW-Konzern und bei Sennheiser Electronic tätig.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Grenzen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anna Friedrich, Foto: Privat

Anna Friedrich

Redakteurin
Wortwert
Anna Friedrich arbeitet seit 2017 bei wortwert in Köln. Sie schreibt regelmäßig für den HRM.

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