Das verraten Mikroexpressionen über unsere Gefühle

Interview

Frau Matschnig, Sie beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren mit unseren Emotionen und wie wir mit diesen auf unsere Mitmenschen wirken. Welches Spektrum umfassen Emotionen?

Monika Matschnig: Es gibt sieben Grundemotionen, die jeder Mensch in sich trägt: Freude, Trauer, Wut, Angst, Abscheu, Überraschung und Verachtung. Die sind auf der ganzen Welt gleich, egal woher wir kommen und wie wir sozialisiert wurden. Wir müssen allerdings zwischen Emotionen und Gefühlen unterscheiden: Emotionen beschreiben den Ausdruck von Gefühlen wie Freude oder Scham. Zu den Emotionen gehören auch körperliche Reaktionen und Denkprozesse. Das erleichtert die Kommunikation, da wir anhand der nonverbalen Reaktionen sehen, was im Gegenüber vorgeht. Scham erkennt man mitunter am Erröten der Wangen, Blick und Mundwinkel senken sich.

Worauf kommt es denn an, wenn Menschen ihr Gegenüber lesen möchten?

Der erste Schritt ist, erst einmal den sogenannten Grundzustand eines Menschen zu erkennen, also sozusagen die Werkseinstellung. Jeder Mensch zeigt bestimmte Verhaltensweisen. Die einen kratzen sich bei Nervosität ständig im Gesicht, die anderen kneten ihre Hände. Da gibt es erst einmal nichts hineinzuinterpretieren, das ist einfach so. Wer gestresst ist, hat häufig einen sehr konzentrierten Gesichtsausdruck und die Zornesfalte ist sichtbar. Wenn zum Beispiel Personalverantwortliche das nicht als das übliche Verhalten erkennen, könnten sie im weiteren Gespräch fälschlicherweise Wut hineininterpretieren. Spannend wird es also, wenn man erkennen will, ob etwas grundlegend so ist oder ob es eine Reaktion ist, aus der man etwas ablesen kann.

Und wie merke ich das?

Nehmen wir mal eine klassische Bewerbungssituation. Die meisten Menschen sind nervös, deshalb müssen Personalverantwortliche erst einmal eine entspannte Atmosphäre schaffen: ein bis zwei Minuten Smalltalk führen, einen Kaffee anbieten, das Büro zeigen. Dann flacht die Stresskurve bei den meisten Bewerbenden ab und sie zeigen ihr übliches Verhalten. Unser Referenzwert ist also das Verhalten der Person, wenn sie nicht gestresst ist. Dann muss ich daraus Abweichungen erkennen.

Warum ist es so wichtig, den Ruhezustand herzustellen?

Aber wir wollen ja herausfinden, wie der Bewerber im Gespräch reagiert. Ob er zufrieden ist mit unserem Angebot, dem Gehalt, der zu besetzenden Rolle. Und da kommt es auf Feinheiten an, denn die wenigsten Menschen sagen geradeheraus, was sie denken. Im Ruhezustand lässt sich sehr gut beobachten, wie sich jemand verhält, wie sich Arme und Oberkörper bewegen, wie er oder sie spricht, wenn es um nicht emotionale Themen wie das Wetter oder die Anreise geht. Lassen Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen. Nehmen wir an, ich will herausfinden, ob eine Bewerberin noch weitere Bewerbungen bei anderen Firmen laufen hat. Worauf achte ich am besten? Am besten auf alle Bewegungen und Reaktionen. Sagen wir mal, die Bewerberin lehnt sich plötzlich ein Stückchen zurück, presst die Lippen aufeinander, blickt nach unten, kratzt sich im Gesicht, blickt Ihnen mit einem falschen Lächeln ins Gesicht und sagt: Nein, ich habe keine weiteren Bewerbungen laufen. Da merkt man recht schnell, dass das nicht stimmt. Das Wichtige daran ist aber, dass die Bewerberin viele verschiedene Signale gesendet hat, die zwar für sich allein genommen keine Aussage gehabt hätten, aber in der Gesamtheit verraten, dass sie geschwindelt hat. Das nennt man Cluster. Studien zeigen, dass man drei bis fünf Signale braucht, um eine Reaktion richtig deuten zu können.

Manche Reaktionen zeichnen sich nur so kurz ab, dass sie das ungeübte Auge gar nicht wahrnehmen kann.

Genau, das sind die sogenannten Mikroexpressionen. Sie dauern nur Bruchteile einer Sekunde und lassen sich nicht steuern. Auf jede Grundemotion folgen eigene Mikroexpressionen. Wenn wir überrascht sind, weiten sich unsere Augen. Wer sich ekelt, zieht kurz die Lippe hoch. Das passiert so schnell, dass wir gar nichts dagegen tun können. Unserem Gegenüber gibt es aber einen Hinweis darauf, was wir gerade fühlen – wenn der- oder diejenige es wahrnehmen kann.

Wie können Personalverantwortliche ihre Wahrnehmung für Mikroexpressionen schulen?

Üben, üben, üben – und zwar wochenlang. Doch ob sich das lohnt, steht auf einem anderen Blatt. Der bekannte Emotionsforscher Paul Ekman hat in den USA das Personal an Flughäfen einige Tage darin geschult, Mikroexpressionen bei den Fluggästen wahrzunehmen. So sollten sie Kriminelle oder Terroristen zuverlässiger herausfiltern. Doch gebracht hat das nichts, die Studienteilnehmenden haben gar keine Veränderung im Gesicht erkannt. Dabei hätten sie Mikroexpressionen der Angst erkennen können: etwa die hochgezogene innere Augenbraue, die kurz nach unten zeigenden Lippen.

Hinzu kommt, dass selbst bei intensivem Training zu viel gleichzeitig passiert: Personalverantwortliche müssen sich im Gespräch auf die Antworten des Gegenübers konzentrieren, die Person wahrnehmen und deren Reaktionen einordnen. Sich dann auch noch auf Mikroexpressionen zu konzentrieren, ist nahezu unmöglich.

Was ist die Alternative? Gar nicht erst versuchen, auf Mikroexpressionen zu achten?

Die Alternative ist ein intensives Gespräch mit dem Bewerber oder der Bewerberin – und unser Bauchgefühl. Unbewusst nehmen wir alle Mikroexpressionen wahr, und wenn der Bauch sagt: Hm, hier stimmt etwas nicht, dann lohnt sich eine Nachfrage. Es hilft auch, auf vegetative Reaktionen des Gegenübers zu achten. Das sind Reaktionen, die vom Nervensystem ausgelöst werden und die man nicht kontrollieren kann. Wenn die Personalleiterin einen Bewerber auf eine Lücke im Lebenslauf anspricht und der rot wird, zeigt das, dass hier Gesprächsbedarf besteht.

Diese vegetative Reaktion ist also die ehrlichste Antwort, die wir von unserem Gegenüber bekommen können. Was sind denn Klassiker, die besonders verräterisch sind?

Der Lidschlag sagt viel über uns aus. Beobachten Sie den Grundzustand: Wie schnell oder langsam ist er? Verändert sich plötzlich etwas in der Frequenz, stimmt etwas nicht. Auch die Pupillen lügen nicht. Wenn ein Mensch zu schwindeln beginnt, werden sie rasant größer. Und das ist unabhängig von den Lichtverhältnissen. Aber Achtung: Es kann auch ein Zeichen von Interesse sein. Angenommen, der Personalchef erzählt einer Bewerberin von den Benefits, die das Unternehmen bietet: Homeoffice, Workation, ein eigenes Fitnesscenter und einmal im Monat gibt es kostenlose Massagen.

Wenn sich die Pupillen der Bewerberin vergrößern, signalisiert sie damit Interesse – das sprichwörtliche „Große-Augen-Machen“. Da kann sie mit ihren Worten noch so viel Desinteresse suggerieren, ihre Pupillen verraten ihre wahre Emotion. Haben Bewerber plötzlich einen Kloß im Hals, wenn sie über ihre vergangenen beruflichen Erfolge sprechen, könnte das ein Indizfür eine Lüge sein. Das hat eine anatomische Ursache: Wenn der Mensch lügt, wird Adrenalin produziert – und das führt dazu, dass der Mund trocken wird. Und dieser trockene Mund führt dazu, dass man schwerer schluckt. Bei Männern kann man das anhand des Adamsapfels hervorragend erkennen.

Woran lässt sich, etwa im Feedback-Gespräch, erkennen, dass meinem Gegenüber etwas nicht gefällt?

Wenn die Lippen nicht mehr locker aufeinanderliegen, sondern sich verspannen. Das ist wie bei Kindern: Wenn sie mehr wollen, machen sie den Mund auf. Wenn es genug ist, bleibt der Mund zu. Verräterisch ist auch die Zungenspitze: Wenn man sich über die Lippen leckt, findet man etwas gut. Wenn aber nur die Zungenspitze kurz nach vorne schnellt, schiebt man etwas weg – man ist mit einer Sache nicht einverstanden. Oder noch ein Beispiel: Wenn ich jemanden frage, ob er oder sie bereit ist, auch am Wochenende zu arbeiten, und er oder sie zieht die Schultern hoch, signalisiert das eine Schutzhaltung. Die Person will ihren verwundbarsten Bereich, den Hals, schützen. Wenn Menschen dagegen interessiert sind und das Angebot gut finden, nicken sie.

So ganz ausgeliefert sind wir unserem Körper allerdings nicht. Jeder, der schon einmal mit gestrafften Schultern einer Führungskraft gegenübergetreten ist, hat gemerkt, dass man sich dadurch gleich viel selbstsicherer fühlt.

Das stimmt, und daran kann man arbeiten. Stellen Sie sich so hin, als wären Sie eine hundert Jahre alte Eiche. Sitzen Sie so gerade, als hätten Sie eine Krone auf dem Kopf. Halten Sie Blickkontakt, lachen Sie nicht permanent. Das Problem dabei ist, dass wir unsere Körpersprache und Körperhaltung für ungefähr eine halbe Stunde gut kontrollieren können. Danach fallen wir mehr oder weniger in uns zusammen. Das Wichtigste aber ist, dass unser Verhalten kongruent ist. Wer im Büro immer Scherze macht und als Pausenclown verschrien ist, kann im Gehaltsgespräch noch so hart wirken wollen: Ein großer Gehaltssprung wird kaum drin sein, weil ein solches Verhalten auffällig ist und das Gegenüber merkt, dass etwas nicht stimmt.

Über die Gesprächspartnerin:

Monika Matschnig ist Diplom-Psychologin und Expertin für Körpersprache und Wirkung. Mit ihrem Unternehmen „Wirkung. Immer. Überall.“ berät sie Unternehmen zum Thema Wirkkompetenz, hält Vorträge und bietet Coachings und Seminare an.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anna Friedrich, Foto: Privat

Anna Friedrich

Redakteurin
Wortwert
Anna Friedrich arbeitet seit 2017 bei wortwert in Köln. Sie schreibt regelmäßig für den HRM.

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