New Work, New Normal, New What?

Future of Work

Wir reden nun seit Jahren über New Work und die Veränderung der Arbeitswelt – und während HR-Verantwortliche und das Management noch sichtlich außer Atem an ihren New-Normal-Regularien und Corona-Guidelines tüfteln, gibt es zeitgleich einen Seitenhieb durch den akuten Arbeitskräftemangel. Ist unsere Gegenwart wirklich schon eine Neue Normalität? Mitnichten. Ich möchte das an drei Beispielen aus der New-Work-Debatte illustrieren, Ihnen zeigen, wo wir uns tatsächlich befinden, wenn wir von Remote-Arbeit, selbstführenden Teams und Sinnstiftung sprechen.

Remote-Arbeit

Die Menschen, die mit ihrem Wissen arbeiten, können seit Beginn der Pandemie recht flexibel von überall aus arbeiten: Sie brauchen nur sich, eine Internetverbindung und ihren Laptop. Den Begriff „Homeoffice“ vermeide ich an dieser Stelle bewusst, da er zwar für die Arbeit in den eigenen vier Wänden steht, mittlerweile jedoch juristische Dimensionen in sich trägt. Einige Unternehmen, gerade im Mittelstand, haben überhaupt keine offizielle Homeoffice-Vereinbarung mit ihren Belegschaften, sondern meist einfache Ergänzungen in den Arbeitsverträgen, die eine individuell abgestimmte Remote-Arbeit dulden. Diese halbherzigen Regelungen sagen schon viel aus über die Bullshit-Faktorenvon New Work. Ursprünglich zielt New Work auf einen kulturellen, wertebezogenen Wandel in der Arbeitswelt ab. Wir doktern jedoch an der Oberfläche herum. In vielen Unternehmen scheint man noch unsicher oder zumindest vorsichtig zu sein, ob die Mitarbeitenden überhaupt in der Lage sind, die Produktivitätserwartungen nun auch zu Hause zu erfüllen. Und die Antwort könnte vermutlich lauten: Einige Mitarbeitende machen das sehr gut, blühen sogar richtig auf durch die neugewonnene Freiheit, dem dahinterstehenden Vertrauen und der damit einhergehenden Selbstverantwortung. Andere wiederum können den Anforderungen kaum gerecht werden. An vielen Stellen wissen Organisationen nicht, welchen Einfluss die ganzen Veränderungen von Remote-Work und Entgrenzungseffekte des Arbeitens auf die eigene Organisation und die Menschen darin hat. Und wie sich die wahre Produktivität entwickelt, ist oft unklar.

„Aber wir messen doch alles“, mögen Sie jetzt vielleicht einwenden wollen. Die Zahlen stimmen doch, was den Output angeht und was die Stimmung in der Belegschaft betrifft. Ja, das stimmt, wir haben an vielen Stellen erst einmal Messwerte, die uns zunächst positiv stimmen könnten. Aber was ist mit der Unternehmenskultur, der Identifikation, der Verbundenheit und der allgemeinen, cross-funktionalen Zusammenarbeit in der Organisation? Wie viele echte, ganzheitliche Einsichten haben Sie in Ihrer Organisation tatsächlich? In Wahrheit tappen wir im Dunkeln, wenn es darum geht, die Unternehmenskultureinschätzen zu können. Jetzt kommt ein weiterer Faktor hinzu: Wie genau arbeiten eigentlich die Führungskräfte? Sind Sie der Meinung, dass Ihre Führungskräfte ihrem Auftrag gerecht werden und damit nicht überfordert sind? Wenn Sie nun mit „Ja“ antworten, werden Sie aktuell den Wandel gut hinbekommen. Aber wenn Sie „Nein“ (oder „Vielleicht“) gedacht haben beim Lesen, dann fühlen Sie eventuell etwas, was leider häufig zutrifft: Führungskräfte sind überfordert. Sie müssen das tägliche Management bewältigen, die Produktivität und Erfolge sicherstellen und zugleich den Wandeln begleiten und regelrecht anführen. Sind die Führungskräfte darauf ausreichend vorbereitet worden in Ihrer Organisation?

Selbstführende Teams

In Zeiten des zunehmenden Arbeitskräftemangels scheint es offenkundig, dass die Gewinnung (und Bindung) von Top-Talenten nur funktioniert, wenn die begehrten Fachleute in eine Umgebung kommen, in der sie nicht von archaischen Führungssystemen unterdrückt werden. Deswegen brauchen wir zunehmend selbstführende Teams oder gar Organisationen, richtig? Sorry, Bullshit-Alarm! Das Narrativ, dass klassische Führungssysteme ausgesorgt hätten, ist falsch. Menschen funktionieren nicht in Formen von Schwarmintelligenz. Als nutzenorientierte Wesen möchten sie meist ihre eigene Situation optimieren und nicht unbedingt primär die der anderen. Zumindest nicht im beruflichen Kontext. Kritische Beobachter aus der Arbeitspsychologie behaupten sogar, dass ausgemachte narzisstische Persönlichkeiten in selbstführenden Strukturen so richtig aufblühen.

Das Thema selbstführende Teams und Organisationssysteme wird aus meiner Sicht in puncto allgemeiner Anwendbarkeit überschätzt und bezüglich des Aspektes der Set-up-Investition und Etablierung funktionierender Regelwerke und Guidelines kolossal unterschätzt. Ich halte viel von Verantwortungsübergabe und Hierarchiereduktion in Organisationen. Aber die nicht selten dilettantische und inkonsequente Umsetzung wird auf längerer Sicht eher dazu führen, dass Unternehmen grundsätzlich davon Abstand nehmen. Positive Verantwortungsübernahmen und notwendige Freiheiten werden dann schlimmstenfalls wieder zurückgedreht, nur weil die Verantwortlichen aus den HR-Abteilungenund im Top-Management ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht haben.

Wir haben doch bereits in vielen Unternehmen seit vielen Jahren sehr gute Erfahrungen mit interdisziplinären Projektteams gesammelt. Das ist für viele von uns nichts Neues. Oft laufen hierarchische Systeme und selbstgesteuerte, vielleicht sogar agile Teams, parallel in einer Art dualem Betriebssystem erfolgreich nebeneinander. In manchen Organisationen ist das nur nicht in dieser Form bewusst oder gar bezeichnet worden.

Fassen wir noch mal zusammen: Existiert ein klares Bild der Zielorganisation (Wo wir hinwollen, was wir erreichen wollen), dann lässt sich daraus idealerweise auch ein Kulturleitbild (oder eine Zielkultur: Wie wir sein müssen und wie wir arbeiten wollen) und das dahinter gestaltende Führungssystem aufsetzen (Wie wir führen wollen).

Sinnstiftung

So alt wie die New-Work-Debatte ist – immerhin bereits über 40 Jahre – so alt ist auch der dahinterstehende Streit um Sinnstiftung innerhalb klassischer Erwerbsarbeit. Der viel beschworene Purpose ist mittlerweile dermaßen aufgeladen mit Erwartungen, dass wir damit am Ende eigentlich nur auf die Nase fallen können. In der menschlichen Psyche führt nämlich alles, was an Erwartungen nicht erfüllt wird, zur Enttäuschung – außer Sie haben sich als Zen-Mönch bereits über das eigene Ego transzendiert. Aus meiner Sicht hat die Bedeutung um den Purpose einen neuen, geradezu dramatischen Impuls erhalten: nämlich durch den in Wirtschaftskreisen viel beachteten Neujahrsbrief des Blackrock-CEOs Larry Fink im Jahre 2019. Der Chef der größten Investmentfirma der Welt vermeldete in großspurigen Worten, dass seine Firma nicht mehr in Organisationen investieren werde, die weder dem Markt noch ihren eigenen Leuten einen ordentlichen Purpose liefern. Seitdem kursieren so viele Bullshit-Purpose-Botschaften in der Wirtschaftswelt, dass einem schwindelig wird.

Natürlich ist Sinnstiftung in der Arbeitswelt grundsätzlich richtig, aber doch nicht „von oben“ verordnet. Menschen haben entweder ein eigenes (bewusstes) Selbstverständnis, warum sie zur Arbeit gehen oder auch nicht. Für viele beginnt es damit, dass sie dort Geld verdienen wollen und ihre Kompetenzen einbringen wollen. Andere wollen zudem eine gute Zeit und Spaß haben. Wenn wir in die USA und andere Arbeitsmärkte der Welt schauen, dann sehen wir den Big Quit (oder auch die Big Resignation). Menschen, oft in schlecht bezahlten Jobs mit schlechtenArbeitsumgebungen, kündigen. Das hat erst mal nichts mit Purpose zu tun. Viele Menschen arbeiten – immer noch! –, um Geld zu verdienen und um einfach einen Job zu machen, in dem sie sich einbringen können und der ihnen irgendwie Spaß macht. Stimmen die Grundlagen wie Bezahlung und Arbeitsbedingungen, so sollten die Unternehmenskultur, die Führungsarbeit und vor allem auch die Kommunikation ehrlich und menschenorientiert ausgerichtet sein. Wenn all das erfüllt ist, können wir noch mal grundsätzlich über „Sinn und Unsinn“ von Arbeit debattieren.

Fazit

Jede Organisation muss sich mit ihren individuellen Herausforderungen im Markt und vor allem dem eigenen Reifegrad innerhalb der New-Work-Debatte auseinandersetzen. Es besteht eine Gefahr, sich zu verzetteln in dieser überbordenden Getriebenheit à la „Wir müssen doch was tun, um attraktiv zu sein als Unternehmen!“. Springen Sie nicht auf einen Zug auf, dessen Ziel unbekannt ist. Begeben Sie sich bitte nicht in einen New-Work-Wettlauf und verabschieden zunächst gut klingende Maßnahmen, die schlimmstenfalls gar nicht zu Ihrer Organisation passen! Trotzen Sie irgendwelchen Bullshit-Trends, die Sie nicht einordnen und dessen Folgen Sie noch nicht abschätzen können. Denken Sie an Warren Buffetts Leitspruch: „Ich kaufe nichts, was ich nicht verstehe!“ und konzentrieren Sie sich lieber auf Führung, Kultur und die richtige Kommunikation – immer abgeleitet aus Vision, Strategie und Zielsystemen Ihrer Organisation. Klassiker also, die immer noch Game Changer sind, wenn sie richtig genutzt werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Carlos Frischmuth

Managing Director
Hays
Carlos Frischmuth ist bei der internationalen Personalberatung Hays als Managing Director tätig. Neben seiner operativen Rolle ist Frischmuth auch als Leiter der Hauptstadtrepräsentanz für die politische Kommunikation also auch die Fremdpersonal-Compliance bei Hays zuständig. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes für selbständige Wissensarbeit e.V., welcher sich beim Einsatz von Selbständigen für mehr Rechtssicherheit für Auftraggeber und Auftragnehmer einsetzt. Als Autor veröffentlichte er das erfolgreiche FAZ-Buch „New Work Bullshit: was wirklich zählt in der Arbeitswelt“.

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