Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Leben ist ein gern postuliertes Thema im Employer Branding. Doch geht die Trennung von beidem an den Wünschen vieler Mitarbeiter vorbei – Zeit, Balance durch Blending zu ersetzen.
Wenige HR-Themen sind in der öffentlichen und fachlichen Debatte umstrittener als die Work-Life-Balance. Sie steht im Mittelpunkt zahlloser Unternehmensinitiativen, die Mitarbeiter vor beruflich bedingtem Stress schützen und damit zu einer positiven sowie produktiven Arbeitsatmosphäre beitragen sollen. Das Abschalten von E-Mail-Servern für mobile Endgeräte zu bestimmten Zeiten ist ein Beispiel für diese Bestrebungen. Genau betrachtet impliziert der Begriff Balance einen Gegensatz des (privaten) Lebens auf der einen und der Arbeit auf der anderen Seite, die sich zum Wohle der Mitarbeiter – bildlich gesprochen – die Waage halten sollten.
Die Kritiker merken hingegen an, dass sich die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensentwürfe vieler Menschen nicht auf eine allgemein gültige Balance reduzieren lassen. Zudem verkenne die angenommene Dichotomie des Privaten auf der einen und der Arbeit auf der anderen Seite die Mehrdimensionalität des Konstrukts Arbeit. Neben der simplen Ausführung von Geschäftsprozessen sei die Arbeit eine Plattform des sozialen Austauschs und zugleich Katalysator der Selbstverwirklichung und Identitätsstiftung – und strahlt damit stark in den Bereich hinein, der vielfach als privat abgegrenzt wird.
In der Realität hat die Stechuhr-Mentalität, nach der Arbeit lediglich ein Ort war, den man zwischen 8 und 18 Uhr aufsuchte, vielerorts längst ausgedient. Stattdessen ist die Arbeit etwas, das man tut – und zwar zeitlich und räumlich ungebunden. Die Arbeit wird zunehmend internationaler, flexibler und komplexer. Vor allem in den letzten Jahren ist diese Entwicklung aufgrund neuer Technologien wie Cloud-Lösungen für Online-Zusammenarbeit rasch fortgeschritten.
Mitarbeiter als Entwicklungsmotor
Die primären Treiber für diese Entwicklung sind vielfach die Mitarbeiter selbst. Die Menschen werden zunehmend mobiler und suchen nach Möglichkeiten, diese Mobilität auch in ihr berufliches Schaffen hineinzutragen und es nach ihren Wünschen zu gestalten. Oftmals leben und arbeiten Familienangehörige und Partner in anderen Städten. Möglicherweise möchte ein Mitarbeiter auch spontan einen Home Office Tag einlegen, weil die Großmutter um 15 Uhr vom Arzt abgeholt werden muss. Anders als noch vor 30 Jahren gleichen kein Lebensentwurf, keine Arbeitswoche und kein Monat mehr dem anderen.
Mit dem steigenden Komplexitätsgrad dieser Beziehungsgeflechte wird eine zentral organisierte Eindämmung der Arbeit auf bestimmte Orte und Zeitfenster zum Bärendienst für all jene, deren Stress hierdurch eigentlich reduziert werden soll. Denn zugleich werden private Aktivitäten auf Bereiche reduziert, die außerhalb der definierten Produktivzeiten und -orte liegen. Stress ensteht letztendlich nicht durch eine absolute Arbeitsbelastung, sondern durch die subjektiv empfundene Ohnmacht, diese eigenständig und entlang privater Prioritäten zu organisieren.
Reduziert auf Zeitfenster und Orte wird der Gestaltungsspielraum von Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit am besten mit Pendelei und zwischenmenschlichen Beziehungen in Einklang zu bringen, fremdbestimmt. Damit kann selbst der kleinste Bericht zum großen Stressfaktor werden, wenn er freitags bis 18 Uhr im Büro fertiggestellt sein muss – und nicht auf der Zugfahrt zu den Lieben per Laptop oder Tablet erledigt werden kann, da möglicherweise die Server zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschaltet werden.
Oktroyierte Work-Life-Balance Initiativen mit Ort- und Zeitvorgaben stehen daher im Widerspruch zum Wunsch der Mitarbeiter, ihre Arbeit individuell zu organisieren. Dabei ist die Sehnsucht nach eigenverantwortlicher Arbeitsorganisation keineswegs ein Phänomen in technologienahen Großkonzernen. Laut einer YouGov Studie von 2013 lehnt die große Mehrheit von 73 Prozent der Mitarbeiter in kleinen und mittelständischen Betrieben der Bundesrepublik Regeln, die flexibles und mobiles Arbeiten in ein Korsett aus Zeitfenstern zwängen, nachdrücklich ab.
Selbstbestimmung wird untergraben
Auf diese Weise werde die Grundidee flexiblen und mobilen Arbeitens untergraben, da Mitarbeiter nicht die Zeit und den Ort des für sie produktivsten Schaffens frei wählen und in Einklang mit Prioritäten aus dem privaten Bereich bringen können. Zur Organisation flexibler und mobiler Arbeitsweisen wünschen sich die Befragten daher nur eine minimale Einflussnahme durch den Arbeitgeber, wie etwa unverbindliche Vorschläge zu Arbeitszeiten (46 Prozent) und die Vereinbarung langfristiger Ziele (35 Prozent). Lediglich 16 Prozent sprechen sich für das klassische „Nine-to-Five“-Arbeitsmodell in der kontrollierten Umgebung eines Büros aus.
Im Sinne einer progressiven Mitarbeiterführung und als Fundament eines erfolgreichen Employer Brandings sollten Unternehmen kritisch prüfen, ob es von den eigenen Mitarbeitern erwünscht ist, die Arbeit und das Private „aufzuwiegen“, um eine allgemein gültige Balance herzustellen. Vielmehr sollten sie Möglichkeiten eruieren, existierende „Barrikaden“ zu beseitigen und Mitarbeitern die technischen Möglichkeiten an die Hand zu geben, den für sie bestmöglichen Ablaufplan für ihre Wochen und Monate zu schaffen – aus Work-Life-Balance wird damit Work-Life-Blending.
Das Angebot flexibler Arbeitsmodelle sowie die Bereitstellung moderner Collaboration-Technologien ist im Wettbewerb um hochqualifiziertes Personal für Unternehmen ein entscheidender Vorteil, denn die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist für die kommenden Generationen hochqualifizierter Fachkräfte ein zentrales Kriterium bei der Arbeitgeberwahl. Und wer könnte diese Vereinbarkeit besser kennen, als sie selbst?