People Analytics, Mobile, Cloud Computing: Das Personalmanagement der Zukunft wird digitaler. IBM-Personalchef Norbert Janzen über die Möglichkeiten von Digital HR, das neue Performance Management und Social Collaboration im eigenen Unternehmen.
Die HR-Funktion ist von der Digitalen Transformation doppelt betroffen. Sie muss sich selbst digitalisieren und gleichzeitig ihren Beitrag leisten, damit die Veränderungen im gesamten Unternehmen erfolgreich verlaufen. Bei IBM sind sie da schon ziemlich weit. Verantwortlich für den Personalbereich des IT- und Beratungsunternehmens ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit 2015 Norbert Janzen.
Herr Janzen, kann man sagen, dass Technologie früher vor allem mit dem Ziel eingesetzt wurde, Prozesse effizienter zu machen, wohingegen sie heute viel stärker Treiber von tiefgreifendem Wandel ist?
Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Ich würde aber unterscheiden zwischen Automatisierung und Digitalisierung. Was wir in der Vergangenheit vor allem gesehen haben, war eine Automatisierung von Prozessen. Die Veränderung, die wir heute erleben, sehe ich unter dem Punkt Digitalisierung. Dabei geht es beispielsweise um eine Veränderung von Arbeitsabläufen sowie das Nutzbarmachen von Inhalten durch die Digitalisierung von Daten, die vorher nicht da waren beziehungsweise nicht ausgewertet werden konnten. Die Automatisierung hat Strukturen und Abläufe verändert, für die Digitalisierung gilt das Gleiche. Es werden neue Abteilungen und Jobbilder entstehen. Die Aufgaben ändern sich. Und es werden nicht nur alte Prozesse einfach digitalisiert, sondern es entstehen völlig neue Bereiche – auch für HR.
Wenn man sich die technologischen Trends anschaut wie Cloud Computing, Mobile, Internet der Dinge, Cognitive Computing und andere: Welche dieser Entwicklungen hat Ihrer Meinung nach den stärksten Einfluss auf die Unternehmen?
Das eine ist die Basis für das andere. Die Cloud ist zum Beispiel nichts anderes als das zur Verfügung stellen von Rechenleistung auf eine Art und Weise, die sich am Nutzer und nicht an der Hardware orientiert. So können alle Prozesse in einer Firma über die Cloud entsprechend skaliert werden. Cognitive Computing könnte man von den Trends, die Sie genannt haben, derzeit aber durchaus hervorheben.
Zumindest in der HR-Community spielt es noch nicht so eine große Rolle wie Social Media oder Cloud Computing.
Für HR stimmt das. Wir sehen jedoch in der Industrie, dass Big Data sowie die Nutzung von unstrukturierten Daten mittlerweile eine große Rolle spielen. In der Produktion sind Maschinen inzwischen mit Sensoren ausgestattet, die es Mitarbeitern möglich machen, Ersatzteile anzufordern, ohne dass sie eine Überprüfung vornehmen müssen. Die Maschinen ermitteln selbst, wann welches Teil kaputt gehen und eine Bestellung nötig wird. Cognitive Computing ist sicher das Thema, was in Zukunft in allen Bereichen Einfluss nehmen wird. In der Bankenindustrie liefert es die Entscheidungsgrundlage für ein Investment. Und in der Medizin bietet es Daten für Diagnosen. Es gab auch schon den Fall, dass die erfolgreiche medikamentöse Einstellung einer Patientin auf Basis einer Empfehlung unseres kognitiven Systems Watson getroffen wurde. Watson hat hierfür Daten zu zahlreichen ähnlichen Patientenfällen verglichen. Cognitive Computing ist in jeder Industrie anders ausgerichtet.
Der Unterschied zwischen Big Data und Cognitive Computing
Was genau ist der Unterschied zwischen Big Data und Cognitive Computing?
Big Data ist das Erfassen von Daten beispielsweise durch Sensoren an einer Maschine, im Auto oder aufgrund von Suchanfragen bei Google. Cognitive Computing meint die Analyse dieser Daten. Das System liefert Auswertungen, die vorher nicht sichtbar gewesen sind. Es kann Ihnen also nicht nur sagen, wie viele Mitarbeiter es mit dem Kriterium A gibt. Sondern das System zeigt Ihnen ebenfalls, was in der Workforce auffällig ist. Zum Beispiel, dass alle Mitarbeiter, die die Firma in den vergangenen vier Jahren verlassen haben, die Kriterien X und Y erfüllen. Die Algorithmen liefern Ihnen eine Entscheidungsgrundlage, die Sie nutzen können – oder auch nicht.
Und People Analytics ist der Bereich, der sich auf die Mitarbeiter bezieht?
Genau. Damit analysiert man die Mitarbeiterdaten, die zur Verfügung stehen und ermittelt Erkenntnisse beispielsweise zu Themen wie Mitarbeiterbindung oder Talent Management.
Können Sie ein Beispiel geben wie Sie bei IBM People Analytics einsetzen?
Wir haben unter anderem unsere Skills erfasst und sind mit Hilfe der vorhandenen Daten besser in der Lage, die richtigen Spezialisten an die richtigen Orte zu bringen. Als Projektleiter bekommt man einen schnellen Überblick darüber, welcher Mitarbeiter mit den benötigten Skills für ein Projekt gerade zur Verfügung steht. Auf solche Daten kann man auch über eine App zugreifen. Das System kann ebenfalls helfen zu erkennen, welche Mitarbeiter eventuell vorhaben könnten das Unternehmen zu verlassen – sogar bevor diese es selbst wissen –, um so rechtzeitig geeignete Retention-Maßnahmen einzuleiten. Dabei lernt das System mit jeder Analyse, die vorgenommen wird, sodass die Ergebnisse mit der Zeit immer besser werden.
Das System weiß, dass ich das Unternehmen verlassen will, bevor ich es selbst weiß?
Das System errechnet zumindest Wahrscheinlichkeiten. Es spielen historische Daten eine Rolle, die sich zum Beispiel aus vergangenen Firmenabgängen ermitteln lassen, außerdem unternehmensinterne Daten wie Überstunden oder Boni-Zahlungen sowie Marktdaten. Watson weiß unter anderem, welche Skills im Markt gerade besonders gesucht werden. Das System verarbeitet all diese Informationen und errechnet aus den Erkenntnissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt.
Was ist die größte Herausforderung bei People Analytics? Die Datenpflege?
Nein. Das war das Problem der früheren Datenbanken. Der Vorteil der kognitiven Systeme liegt darin, alle Daten nutzbar zu machen. Neue Systeme wie Watson sind in der Lage unstrukturierte Daten zu verwenden und eigenständig die Gemeinsamkeiten herauszufinden. So können Unternehmen viel weitergehende Erkenntnisse gewinnen als es bisher für sie mit ihren strukturierten Daten möglich gewesen ist, die in der Regel in wesentlich geringerem Umfang zur Verfügung stehen.
Können Sie verstehen, wenn manche sagen, dass es unheimlich klingt, wenn ein Unternehmen das Verhalten von Mitarbeitern vorhersagen kann, auch wenn es nur aufgrund von Wahrscheinlichkeiten ist?
Es gibt keinen Grund zur Furcht. Die Erkenntnisse werden aus Daten gewonnen, die verfügbar sind und sie werden in einem gesicherten Bereich genutzt. Wenn wir zum Beispiel Daten für einen Kunden auswerten, dann werden diese nur für diese Firma verwendet. Und wenn wir HR-Daten erheben, dann werden sie nur mit dedizierten Zugriffen in der HR-Abteilung genutzt. HR kann mit Hilfe von People Analytics einen wirklichen Wertbeitrag leisten. Wir berichten nichts, was ohnehin schon bekannt ist. Wir bringen Neuigkeiten ins Unternehmen rein. Und auf Basis der Erkenntnisse können wir zusammen mit den Business Units die notwendigen Entscheidungen treffen.
Würden Sie sagen, das Cognitive Computing das Gesicht von HR grundlegend verändert?
Ich denke schon. HR muss sich fragen, was der Wertbeitrag ist, den es liefern will. Dieser kann sich nicht mehr wie früher über die Automatisierung generieren. Und es ist auch nicht der Self Service für die Mitarbeiter, der zukünftig noch stärker über kognitive Helfer erfolgt. Für einen Wertbeitrag durch das Personalmanagement müssen die neuen technologischen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Die HR-Arbeit wird mit Hilfe der Digitalisierung hochwertiger werden und es wird neue Jobprofile wie den Digital Analyst im HR-Bereich geben, der die Fachbereiche begleitet und unterstützt.
Mehr und mehr Unternehmen haben wie IBM ein Social Intranet. Auf Ihrer Plattform gibt es Skill-Profile der Mitarbeiter, die sich dynamisch ergeben. Wie funktioniert das?
Sie meinen die Profile, die auch Bestandteil unserer Connections-Plattform sind. Sie haben Recht, die werden dynamisch erstellt durch das Tagging des Mitarbeiters – auf dem eigenen Profil, aber noch mehr durch seine Kollegen und die Führungskräfte. Das heißt, dem Mitarbeiter werden Skills zugesprochen und das wird mit Hilfe von Verschlagwortung zum Ausdruck gebracht. Zusätzlich fließen Assessment-Ergebnisse in die Profile mit ein. Wir haben eine spezielle Methode, das Expertise-Assessment, mit der wir uns bemühen, die Kompetenzen der Mitarbeiter auf dem aktuellen Stand zu halten. Auf diese Skills greift unsere Expertise-App zu, die man für schnelle Informationen nutzen kann. Und ganz dynamisch wird es dann, wenn die App in die Suche einbezieht, was der Mitarbeiter beispielsweise in einem Forum, einem Blog oder Wiki gepostet hat. Dieses Wissen steht den anderen in Echtzeit mobil in der App zur Verfügung.
Ziele werden vierteljährlich überprüft
Mitarbeiter bei IBM können durch die Erstellung von Content ihr Profil stärken und damit auch ihre Reputation. Erhöht das nicht auch den Druck, immer wieder etwas veröffentlichen zu müssen?
Nein, das denke ich nicht. Jeder hat die Freiheit zu posten und zu kommentieren, wie er oder sie es mag und für richtig hält. Und jeder Mitarbeiter kann die Informationen nutzen – auf vernünftige Weise. Auch das gehört zur Freiheit und nur so kann Vertrauen in das System entstehen. Wir messen nicht, wie viel jemand gepostet hat oder wie die Qualität des Contents ist. Aber natürlich lebt unsere Plattform davon, dass Mitarbeiter sich einbringen. Man bekommt direktes Feedback zu den Inhalten, die man postet. Und das kann von jedem Mitarbeiter kommen, auch von der Studentin, die gerade angefangen hat. Die Social-Media-Technologien bringen eine Kulturveränderung mit sich. Wir mussten alle dazulernen.
Wäre es nicht ein wenig übermütig, wenn ein Mitarbeiter dem CEO ein Dislike gibt?
Überhaupt nicht. Wir nutzen auch die Kritik von Mitarbeitern, um zu einigen Themen in die Diskussion zu gehen. Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr mit Hilfe eines „Jams“ unser Performance Management in verschiedenen Online-Gruppen offen diskutiert. Ausgangspunkt waren viele Kommentare zu dem Thema. Und man kann sagen, dass die Mitarbeiter einen Wechsel des Systems forciert haben. Durch den „Jam“ konnten wir identifizieren, was ihnen wichtig ist. Auf dieser Basis wurden schließlich ein neuer Prozess und ein neues Tool zur Leistungsbewertung erarbeitet. Der Vorteil eines solchen demokratischen Verfahrens ist, dass es eine viel stärkere Akzeptanz erzeugt als wenn es von der Geschäftsführung ohne Beteiligung einfach vorgegeben wird.
Das klingt spannend. Können Sie sagen, was die größten Veränderungen in Bezug auf Ihr Performance-Management-System sind?
Unsere Zielvereinbarungen waren früher wenig flexibel. Sie wurden einmal aufgesetzt und galten dann für ein Jahr. Heute können Ziele auch nach einem Quartal erfüllt sein. Es gibt jetzt einen sogenannten Checkpoint. Dabei werden die Ziele vierteljährlich noch einmal durchgegangen, um zu schauen, ob man noch auf Kurs ist und ob man gegebenenfalls Anpassungen vornehmen muss. Wir haben uns auch davon verabschiedet, Mitarbeiter in Form einer einzigen Note zu bewerten. Sondern die Beurteilungen finden anhand von fünf Dimensionen statt, sodass die Beurteilung differenzierter ist. So könnte ein Beurteilungs-Feedback beispielsweise lauten, dass das Ziel aus Business-Sicht erfüllt ist und die Teamarbeit stimmt, aber der Mitarbeiter wenig innovativ gewesen ist. Aufgrund der Beurteilungsdimensionen und mit Hilfe der Aufzeichnungen, die Manager und Mitarbeiter kontinuierlich in unserem Feedback-Tool machen, können Entwicklungspotenziale des Mitarbeiters leichter ausgemacht werden und die Kommunikationsgrundlage ist eine bessere.
In vielen Bereichen herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein „War for Talents“, gerade wenn es um spezielle IT-Fachkräfte geht. Auf welche Strategie setzt IBM vor allem?
Wir setzen zum Beispiel auf unser globales Netzwerk, was eine gute Ausbildung ermöglicht. Außerdem arbeiten wir eng mit der Universität Karlsruhe zusammen, wo wir uns unter anderem an der Ausbildung von Doktoranden oder der Durchführung von Projekten beteiligen. Und sicherlich hilft uns beim Recruiting die starke Marke von IBM, die insbesondere in der technischen Community ihre Wirkung zeigt.
IBM stellt im großen Stil ein. Andererseits ist der Konzern immer wieder auch in den Schlagzeilen mit dem Thema Stellenabbau. Müssen Personalkörper mehr denn je atmen können?
Flexibel zu sein, ist wichtiger denn je. Die IT-Branche ist stärker als andere von Transformationen betroffen. Und auch IBM ist schon immer ein Unternehmen, das sich kontinuierlich transformiert. Wir haben früher Schreibmaschinen und später Drucker und PCs verkauft. Schauen Sie, wo wir heute stehen: Wir sind vor allem Dienstleister, bieten Lösungen rund um Geschäftsfelder wie Cognitive, Mobile, Analytics, Security, Social oder Cloud an. Wir haben Erwartungen des Kunden zu erfüllen und müssen dafür die richtigen Technologien und Skills zur Verfügung haben. Deshalb ist eine atmende Workforce in Transformationsphasen etwas ganz Normales. Das heißt aber ebenfalls ganz klar, dass wir auch in Zukunft intensiv in diesen Wachstumsbereichen einstellen und ausbilden wollen.