Das Personenstandsgesetz wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2019 angepasst – und damit im § 22 Absatz 3 die Geschlechterbezeichnung „divers“ eingeführt. Personen, die sich weder dem männlichem noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, soll ermöglicht werden, sich im Geburtenregister entsprechend eintragen zu lassen. Vorangegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. Oktober 2017. Diese bezieht sich unter anderem auf Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, nach dem niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Das Bundesverfassungsgesetz sah es mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen, die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, kein positiver Geschlechtseintrag möglich ist, der nicht „weiblich“ oder „männlich“ lautet. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, seine verfassungsgemäße Regelung herbeizuführen.
Ausgehend davon, dass sich keine spezifischen Auswirkungen auf eine einzelne Branche ergeben, sind dennoch Anpassungen im Rahmen der Abfrage von Daten sowie in der allgemeinen Korrespondenz erforderlich. Beispielsweise ist in der Versicherungsbranche bei einer Geschlechtsabfrage bei der Auswahlmöglichkeit die Alternative „divers“ zu ergänzen und im Rahmen der allgemeinen Korrespondenz die Anrede geschlechtsneutral zu formulieren (gemäß Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. [GDV] mit Rundschreiben RS-3702045 vom 31. Januar 2019).
Gerichtsentscheidungen
Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied mit Urteil vom 14. Dezember 2021 (24 U 19/21), dass eine Person mit nicht-binärer Geschlechtsidentität beim Online-Shopping benachteiligt wird, wenn diese bei der Anrede nur zwischen „Frau“ und „Herr“ auswählen kann. Darüber hinaus wertet das Oberlandesgericht dies als eine Verletzung der Person in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ein Anspruch auf Schadensersatz wurde seitens des Gerichts abgelehnt. Darüber hinaus besteht kein Anspruch auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen gegen das Unternehmen, das die Website betreibt – vorausgesetzt, die Gefahr einer Wiederholung wird durch die Umsetzung weiterer Maßnahmen, insbesondere die Erweiterung des Anredefelds um eine geschlechtsneutrale Angabe, beseitigt.
Eine wegweisende Entscheidung ist der Beschluss vom 14. April 2022 des Oberlandesgerichts. Die Berufung der Deutschen Bahn wurde zurückgewiesen und somit das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. August 2021 (2-30 O 154/20) rechtskräftig. Ein nicht-binärer Kunde wurde beim Ticketkauf dazu gezwungen, sich für eine geschlechtsbezogene Anredeform zu entscheiden. Das Landgericht verpflichtete die Deutsche Bahn auf Unterlassung. Bei Zuwiderhandlung droht eine Strafzahlung bis zu 250.000 Euro, und zwar bei jedem Ticketkauf.
Eine Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist gemäß Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. März 2018 nicht gegeben, wenn in Vordrucken und Formularen die Verwendung des „generischen Maskulinums“ erfolgt.
Handlungsbedarf für Unternehmen
Ausgehend davon, dass die Urteile auch branchenübergreifend Auswirkungen haben, besteht für die Unternehmen Handlungsbedarf. Der Status quo bezüglich der geschlechtsneutralen Anreden von Kunden, Bewerbenden und Mitarbeitenden ist zu erheben, gegebenenfalls Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Aspekte, die Unternehmen berücksichtigen sollten.
Diversität ist in der gesellschaftlichen Entwicklung ein großes Thema. Personen sollen, unabhängig beispielsweise wegen ihres Geschlechts, ihrer ethnischen und sozialen Herkunft sowie ihrer sexuellen Orientierung, gleichbehandelt werden. Auch viele Unternehmen folgen schon diesem Trend. Sie fördern das Thema Vielfalt in und außerhalb ihrer Firma, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern und dem Fach- und Führungskräftemangel entgegenzuwirken. Ihr Ziel ist es, nicht nur als kundenorientiertes, sondern auch als ein modernes und offenes Unternehmen wahrgenommen zu werden, das Diversität fördert.
Gelingt es Unternehmen nicht, ihre Zielgruppen geschlechtsneutral anzusprechen, kann es sich nachteilig auf ihre Reputation auswirken. Denn wenn sich (potenzielle) Kunden, Bewerbende und Mitarbeitende nicht respektvoll behandelt und wertgeschätzt fühlen, strafen sie Arbeitgeber mit schlechten Bewertungen auf entsprechenden Plattformen im Internet ab. Firmen, die davon betroffen sind, benötigen viel Zeit und Geld, um ihren guten Ruf wiederherzustellen und das Vertrauen ihrer Zielgruppen zurückzugewinnen.
Daher ist es ratsam, nicht nur die derzeit bestehenden Gesetze und Rechtsprechungen zu berücksichtigen. Firmen sollten zudem Trends beobachten, den Handlungsbedarf eruieren, Ziele festlegen sowie entsprechende Maßnahmen ableiten und umsetzen.
Ziele festlegen
Reicht es aus, die Neuverfassung des Personenstandsgesetzes sowie die Rechtsprechungen umzusetzen, oder gilt es, darüber hinaus noch weitere Ziele zu bestimmen? Zu überlegen ist außerdem, wer die Zielgruppen sind und wie das Unternehmen intern sowie extern wahrgenommen werden möchte. Aus den Zielen und der jeweiligen Zielgruppe leiten sich die erforderlichen Maßnahmen ab.
Status quo bestimmen
Zunächst muss das Unternehmen seinen Status quo in puncto geschlechterbezogener Ansprache bestimmen. Das bedeutet, ob, und gegebenenfalls in welchen Systemen, Dokumenten sowie Unterlagen, eine geschlechterbezogene Ansprache der Zielgruppe erfolgt. Typischerweise werden dazu die Unternehmens-Homepage und Angebots-, Verwaltungs- sowie Drucksysteme geprüft; ebenso Vordrucke, Formulare, Briefe und E-Mails – insbesondere im Rahmen des Recruitingprozesses. Auch die Kommunikationskanäle und -wege sind zu untersuchen. Hierzu gehören etwa die Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram und Twitter.
Maßnahmen ableiten
Nach der Analyse des Ist-Zustandes sind Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen: zum Beispiel der Verzicht auf die Geschlechtsabfrage in den Systemen oder die Anpassung der Systeme durch die Erweiterung der Auswahlmöglichkeit bei der Geschlechtsabfrage um „divers“ – sowie die Anpassung von Formularen, Vordrucken, Textbausteinen und Texten.
Darüber hinaus sind die Mitarbeitenden über das Thema und dessen Bedeutung für das Unternehmen zu informieren, um sie für die geschlechtsneutrale Ansprache zu sensibilisieren – und zwar unabhängig vom Kommunikationskanal. Außerdem können Arbeitgeber ihre Beschäftigten beim Umgang mit dem Thema unterstützen, indem sie digitales Informationsmaterial, etwa einen Kommunikationsleitfaden, zur Verfügung stellen.
Fazit
Weitere Rechtsprechungen zum Personenstandsgesetz oder zum Thema Diversität sind zu erwarten. Entsprechend sollten Unternehmen nicht nur dies im Blick haben, sondern das Marktverhalten, die Trends und die Erwartungen der beobachten. So können sie rechtzeitig Maßnahmen ableiten und umsetzen – und sind dadurch Mitbewerbenden immer einen Schritt voraus. Dies erhöht ihre Bekanntheit, stärkt ihr Image und trägt somit zum Erreichen der Unternehmensziele bei.