Transition am Arbeitsplatz: Was muss HR beachten, Herr Scholz?

Transgeschlechtlichkeit

Herr Scholz, was für Aufgaben hat HR, wenn trans Personen sich in ihre Transition begeben?

Es gibt ‒ neben wünschenswerter persönlicher Unterstützung ‒ eine ganze Menge Administration zu erledigen. HR muss sich gut mit den IT-Systemen auskennen, wenn es darum geht, beispielsweise den Namen anzupassen. Und HR sollte mit der transitionierenden Person gemeinsam genau planen, was wann und mit wem kommuniziert werden sollte.

Kann der Name auch angepasst werden, wenn noch keine rechtskräftige Personenstandsänderung stattgefunden hat?

Gewissermaßen hat man sogar einen Anspruch darauf. Wenn der Wunsch, in einer anderen Geschlechtsrolle zu leben, ernsthaft und nachhaltig ist, muss ich gemäß allgemeinem Persönlichkeitsrecht und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und natürlich auch aus den Pflichten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes heraus auch vor dem Vollzug der amtlichen Namensänderung mit dem neuen Namen angesprochen werden. Das ist auch für medizinische Angleichungsschritte wichtig.

Weshalb?

Um diese umzusetzen, muss ich eine gewisse Alltagserprobung durchlaufen. Ich muss also eine Zeit lang im Zielgeschlecht leben, und zwar nach Möglichkeit in allen Lebensbereichen – und die Arbeitszeit ist in der Regel die längste Wachzeit, die wir am Tag verleben. Wenn mir dann am Arbeitsplatz verweigert wird, in der Geschlechtsrolle aufzutreten, die ich dauerhaft leben möchte, kann das theoretisch auch meinen medizinischen Transitionswunsch unterminieren.

Sie unterteilen eine Transition in Ihrem Buch in drei Ebenen: die soziale Transition, die rechtliche Transition, die medizinische Transition. Läuft die Transition erfahrungsgemäß nach einem Muster ab?

Die meisten beginnen mit der sozialen Veränderung: Sie ändern ihren Namen, mitunter den Kleidungsstil, also das äußere Auftreten allgemein. Dies kann losgelöst von rechtlichen oder medizinischen Schritten geschehen.

Die medizinische Transition ist tatsächlich ein länger dauernder Prozess, der unter anderem auch von vorgeschriebenen Fristen oder Wartelisten abhängig ist. Üblicherweise durchläuft man durchschnittlich sechs Monate eine psychologische Begleittherapie, bevor das erste Mal Hormone verschrieben werden. Und die Hormone machen ihren Job ja auch nicht von jetzt auf gleich.

Die rechtliche Transition allerdings kann ich losgelöst von medizinischen Schritten machen. Es ist seit 2011 nicht mehr vorgeschrieben, sterilisiert zu sein oder sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen zu haben und zwangsgeschieden zu sein, um den Personenstand ändern zu können.

Darf der Arbeitgeber den Namen in Zeugnissen vor der Personenstandsänderung ändern?

Rechtlich spricht überhaupt nichts dagegen, sogar vor einer amtlich vollzogenen Vornamens- und Personenstandsänderung darf ein früher ausgestelltes Arbeitszeugnis angepasst werden. Spätestens aber, wenn ich die amtliche Vornamens- und Personenstandsänderung abgeschlossen habe, habe ich einen Anspruch darauf. Das ist für Bewerbungen wichtig, da sich dort Menschen ja in einer Wettbewerbsposition befinden und keinen Nachteil haben dürfen.

Wie sollte HR auf Namensinkongruenz in Bewerbungen reagieren?

Meiner Wahrnehmung nach steigt das Wissen in den Personalabteilungen über Transidentität aktuell stark und es wäre schön, glauben zu können, dass solche Bewerbungen nicht mehr direkt aussortiert werden. Schließlich können Betroffene meist gar nichts dafür, sondern sind der Willkür ehemaliger Arbeitgeber ausgeliefert.

Einige denken womöglich, das sei Urkundenfälschung.

Es ist definitiv keine Urkundenfälschung. Dies geht zurück auf Paragraf 5 des Transsexuellengesetzes: Es gilt das Offenbarungsverbot. Das bedeutet, dass die alte Identität nicht ohne Weiteres aufgedeckt werden darf. Zudem gilt die sogenannte nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Gilt das auch für eine nichtbinäre Person, die den Namen geändert haben möchte und zudem Neopronomen nutzt, also statt er/ihm/sie/ihr beispielsweise dey/dem verwendet?

Das ist eine interessante Frage und zugleich eine noch ungeklärte. Im Lichte der aktuellen Rechtsprechung, die wir ja auch durch das Urteil rund um die Deutsche Bahn und geschlechtsneutrale Anmeldemasken haben, ist dieser Wunsch natürlich legitim. Wie das in der Praxis umgesetzt werden wird, ist derzeit offen.

Wie steht es um eine Namensänderung im Arbeitsvertrag?

Einen Arbeitsvertrag kann ich unter egal welchem Namen abschließen, solange alle Beteiligten wissen, woran sie sind und mit wem sie einen Vertrag schließen wollen. Das kann man ja zum Beispiel durch Personalausweisnummer, Geburtsdatum und Geburtsort feststellen. Das ist Vertragsfreiheit, die wir ja glücklicherweise haben in Deutschland. Wichtig ist nur, dass HR beispielsweise keinen neuen Arbeitsvertrag ausstellt, sondern gegebenenfalls eine Zweitschrift zum Originalvertrag anfertigt. Sonst kann vielleicht versehentlich eine Befristung aufgehoben werden. Am besten fragen Sie nach, wozu die Person das wünscht. Braucht sie den Vertrag beispielsweise für eine Wohnungsbewerbung oder einen Kreditantrag, könnte der Arbeitgeber auch selbst ein Schriftstück als Arbeitsbescheinigung aufsetzen.

Braucht es laut Arbeitsstättenverordnung eine geschlechtsneutrale Toilette für nichtbinäre Personen, die auch trans- und intergeschlechtlich sein können?

Es gibt keine Toilettengesetze in Deutschland. Es gibt die Arbeitsstättenverordnung, die sagt, dass ab einer gewissen Betriebsgröße, sanitäre Einrichtungen für Männer und Frauen vorhanden sein müssen. In diesem Gesetz wird die dritte Geschlechtsoption divers, die wir vom Personenstandsgesetz kennen, noch nicht berücksichtigt. Wer nun auf welche Toilette geht, steht nirgendwo im Gesetz. Dieser Umstand ist konfliktträchtig. Ich plädiere für pragmatische Lösungen und dass bei Bedarf Kompromisse gefunden werden, die für alle tragbar sind.

Zum Beispiel?

Als Erstes sollten Teams offen miteinander reden und fragen, ob jemand damit ein Problem hat, wenn beispielsweise eine trans Frau die Frauentoilette benutzt. Gegebenenfalls kann eine Toilette ja auch – vorübergehend – umgewidmet werden als eine Toilette für alle. Oder die Herrentoilette wird zur Toilette mit Kabinen und Urinalen, die Damentoilette wird dann eine Toilette mit Kabinen.

Besteht die Möglichkeit auf Lohnfortzahlung bei Fehlzeiten wegen Angleichungsmaßnahmen?

Medizinisch indizierte Angleichungsmaßnahmen sind medizinisch indizierte Maßnahmen. Punkt. Wenn ich eine Diagnose F64.0 habe, sozusagen bescheinigt transident bin, dann wird das wie jede andere Erkrankung behandelt.

Die ICD-11, also die 11. Version der internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, ordnet Geschlechtsinkongruenz – ehemals Transsexualität – nun offiziell nicht mehr als eine psychische Krankheit ein.

Die ICD-11 ist zwar am 1. Januar 2022 verabschiedet, aber noch nicht in deutsches Sozialrecht umgesetzt worden. Vor 2027 rechne ich damit auch nicht. Gleichwohl ist es ja auch so, dass der Begriff „Geschlechtsinkongruenz“ den früheren Terminus „Transsexualismus“ ersetzen wird. Das ist jedoch immer noch ein krankheitswerter Zustand, vergleichbar mit einer Schwangerschaft. Eine Person, die schwanger ist, ist ja auch nicht krank, hat jedoch Anspruch auf medizinische Maßnahmen, die mit der Schwangerschaft zu tun haben.

Bei Sicherheitskontrollen wird nach Männern und Frauen eingeteilt, wer welche Personen untersucht. Wie soll ein Arbeitgeber mit einer transitionierenden Person umgehen, die beispielsweise ein trans Mann ist, aber noch als weiblich wahrgenommen wird?

Ich kenne solch einen Fall von einem Luftsicherheitsassistenten, der rechtlich ein Mann war, aber noch weiblich gelesen wurde, weil das Hormon Testosteron noch nicht lange gewirkt hat. Der Arbeitgeber hat ihn aus der Sicherheitskontrolle am Gate abgezogen und quasi ins Hinterzimmer abgeschoben. Rechtlich hatte der Arbeitgeber recht, menschlich war das für den Mitarbeiter eine Enttäuschung. Er hat gekündigt.

Wie hätte sich der Arbeitgeber anders verhalten können?

Sie hätten sagen können: „Wir wollen dir helfen, wie können wir eine Lösung finden?“

Wie sähe die aus?

Sie hätten ihn zum Beispiel an Randzeiten einsetzen können, in denen weniger Passagiere da sind, und schauen können, wie die Menschen auf ihn reagieren. Zumindest etwas Kreativität und Spielraum kann in solchen Situationen hilfreich sein.

Zur Gesprächsperson

© privat

David Scholz ist Senior Business Development Advisor bei der internationalen Anwaltsgesellschaft Allen & Overy. Zuvor hat der Diplom-Wirtschaftsjurist als Selbstständiger Firmen rund um die Themen Vielfalt, Marketing und Geschäftsentwicklung beraten. Er ist Herausgeber von Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld. Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jeanne Wellnitz (c) Mirella Frangella Photography

Jeanne Wellnitz

Redakteurin
Quadriga
Jeanne Wellnitz ist Senior-Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert. Zuvor war sie von Februar 2015 an für den Human Resources Manager tätig, zuletzt als interimistische leitende Redakteurin. Die gebürtige Berlinerin arbeitet zusätzlich als freie Rezensentin für das Büchermagazin und die Psychologie Heute und ist Autorin des Kompendiums „Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren“ (2020) und der Journalistenwerkstatt „Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im Journalismus“ (2022). Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und beim Magazin KOM volontiert.

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