Das Herz schlägt Kuckuck

Porträt

Leuchtende Linien laufen wie ein neuronales Netzwerk über das matte Dunkelblau. Sie rahmen ein violettes Ziffernblatt. Zwischen Ahornblättern thronen drei Vögel. Sie warten. Jede Stunde springt das grüne Türchen auf: „Kuckuck, Kuckuck“, ertönt es und ein weißlackierter Kuckuck erscheint. Das passiert völlig unerwartet, denn diese Malerei sieht aus wie ein Wandbild. Dahinter stecken jedoch viele Zahnräder, ein Pendel, zwei Pfeifen mit Blasebälgen; also ein komplettes mechanisches Werk. Das 90 Zentimeter hohe Kunstwerk ist nämlich eine Kuckucksuhr.

Kuckucksuhren sind doch sonst opulent mit Schnitzereien versehen, dunkelbraun, schwer, ja irgendwie altbacken, oder? Nicht so bei Rombach und Haas (Romba), der familiengeführten Manufaktur aus Schonach im tiefsten Süden der Republik, dem Schwarzwald. Das Mittelgebirge ist die Wiege der Kuckucksuhrenindustrie, hier wurden vor rund 300 Jahren die aufwendigen Uhren von Bauernfamilien gebaut, um über den Winter zu kommen. Es gab eine Zeit, da tummelten sich Hunderte Uhrenhersteller im Schwarzwald, heute sind es ungefähr zehn. Bei Romba tüfteln drei Uhrmacher an den Werkbänken, die schon vor mehr als hundert Jahren zur Gründung im Einsatz waren. Vier Teilzeitkräfte sorgen für den Verkauf und die richtige Verpackung des edlen Guts. Die Uhren kosten bei Romba zwischen 300 Euro und 6.000 Euro.

Zwischen Tradition und Moderne

Vor drei Jahren übergaben Ingolf und Conny Haas nach 25 Jahren des Wirkens das Familienunternehmen in die Hände ihrer Tochter, der Designerin Selina Kreyer. Aus ihrer Hand stammt auch die preisgekrönte Kuckucksuhr als Wandbild. Bereits als Kind lag sie ihren Eltern in den Ohren: „Kommt schon, müssen die Uhren immer so dunkel sein? Da muss Farbe ran!“ Die Eltern hörten auf sie, aber auch auf ihre eigene Intuition und Schaffenskraft. Sie alle drei sind Künstlerinnen und Künstler. Sie alle drei wollen eine Brücke bauen zwischen modernem Zeitgeist und tradierter Qualität. Denn eines ist laut Selina Kreyer gewiss: Über Generationen hinweg schlagen die Herzen der Familie für den Kuckuck.

Doch wer möchte sich im Jahr 2024 eigentlich noch eine Kuckucksuhr ins Wohnzimmer hängen? Laut Statistischem Bundesamt sind das nicht so viele: In Deutschland wurden im Jahr 2020 rund 20.100 Kuckucksuhren im Wert von 4,1 Millionen Euro produziert. Ein Jahr zuvor waren es noch doppelt so viele. Zu dieser Zeit gab es auch noch kein Corona. „Plötzlich standen die Telefone still“, erinnert sich Selina Kreyer an den ersten Lockdown. Sonst kamen sie mit den Bestellungen nicht hinterher, waren auf Messen, hatte viele Projektanfragen und natürlich auch einige Touristen im Laden. Und dann: Stillstand.
Mitten in dieser Zeit übernahm die damals 31-Jährige das Familienunternehmen und ihre Eltern gingen in Rente. Sie wurde Inhaberin, ihr Mann Geschäftsführer. Andreas Kreyer hat Kundenkontakt, überblickt Rechnungen und den Materialeinkauf. Selina Kreyer widmet sich dem Design, dem Instagram-Kanal und der Website – um die Belange des Teams kümmern sich beide. Damals, während der Lockdowns, sorgten sie sich, meldeten 50 Prozent Kurzarbeit an und kauften dennoch weiterhin ein, damit das Lager voll blieb. Die lokalen Lieferanten dankten es ihnen. Da waren der Schreiner, der die Kästen liefert, die Firma, die die Uhrwerke erstellt, der Vogelmacher, der den Kuckuck schnitzt, der Pfeifenbauer für den Kuckucksruf, ein Schnitzer für die Figürchen traditioneller Uhren.

Sie alle weiterhin zu beauftragen, war riskant, aber es zahlte sich aus. Denn es kam der Zeitpunkt, da begannen die Menschen, es sich zu Hause schön zu machen. Das Weihnachtsgeschäft lief hervorragend. „Unser Glück war es auch, dass wir über Shops online verkaufen konnten, nicht mehr nur im Laden“, sagt Selina Kreyer. Die Umsätze blieben stabil. Die Coronahilfe zahlten sie schließlich zurück.

© Privat

Andreas und Selina Kreyer vor der preisgekrönten Wandbild-Kuckucksuhr. Er schaut auf das mechanische Uhrwerk dahinter, denn Romba-Uhren ticken ausschließlich mit tradierter Technik. Das Bild hat die Unternehmertochter bereits als Designstudentin entworfen.

Es wurden schließlich auch zwei weitere Uhrmacher eingestellt, eine Stelle war vakant, die andere neu. Die Suche sei gar nicht so leicht gewesen, erzählt Selina Kreyer. Die Leute strebten eher eine lukrative Karriere in der Armbanduhrenbranche an oder gingen in die benachbarte Schweiz. Dagegen sieht Schonach als 4.000-Seelen-Ort alt aus. „Doch das Schöne ist: Die Uhrmacher, die wir schließlich eingestellt haben, wollen genau das, was unsere Manufaktur bietet“, sagt die studierte Designerin. „Sie haben Bock auf Tradition.“ Sie wollen schrauben, werkeln, kreativ sein, sie wollen etwas erschaffen. Deswegen gilt bei Romba auch das Credo: ein Uhrmacher, eine Uhr. Das heißt, jeder baut die Uhr von Beginn bis Ende. So haben sie mit einer fertigen Uhr ein persönliches Erfolgserlebnis. Es ist keine Fließbandarbeit, kein 200-Euro-Produkt mit Quarzuhrenwerk. Solche kommen vermehrt als Plagiate made in China in die Welt. Deswegen hat der Uhrenverband VdS auch ein Siegel entwickelt, mit dem die hiesigen Produkte gelabelt werden können: Made in Black Forest, Germany.

„Unsere Uhren muss man einmal die Woche aufziehen“, sagt Selina Kreyer und lächelt. „Wir setzen auf Altbewährtes.“ Es gibt in der kleinen Manufaktur auch keinen virtuellen Austausch, sagt sie. Hier werde wirklich miteinander geredet. Andreas Kreyer ist jeden Tag vor Ort und immer für seine Leute ansprechbar. Selina Kreyer arbeitet eher im Homeoffice oder in ihrem Atelier – sie gehe also gezielt zu den Werkbänken, um mit den Uhrmachern ins Gespräch zu kommen. „Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass das auch Arbeit ist“, sagt sie. Dass also diese Gespräche essenziell für den Unternehmenserfolg sind, dass sie sich dafür Zeit nehmen muss.

Heute bekommt sie das alles unter einem Hut: Designs, Mitarbeiterpflege, Geschäftsführung, Ehe, Kind. Doch vor einem Jahr ist das alles über sie zusammengebrochen. „Ich hatte kein Gefühl mehr für meine Bedürfnisse, alles war Arbeit“, sagt sie rückblickend. Sie erlitt einen Burn-out. „Mir ist wichtig, damit offen umzugehen. Ich hatte damals neben den Aufgabenbergen in allen Bereichen meines Lebens genug davon, von den Fragen getrieben zu sein: Was wollen die Leute? Was verkauft sich gut?“ Verarbeitet hat sie diese schwarze Phase durch ihre Schaffenskraft, sie wollte einfach nur malen. Die Werke aus dieser Zeit stellt sie aktuell aus.

Die Kunst half ihr aus der Krise, so wie sie bereits zwanzig Jahre zuvor ihre Eltern zu traumhaften Umsätzen führte. Sie beide sorgten im Jahr 2005 für Aufsehen. Conny und Ingolf Haas wollten etwas anders machen – und befreiten die Uhr von allem Schnickschnack. Übrig blieb eine Raute aus gemasertem Massivholz, ohne Ziffernblatt; nur die Zeiger und die Kuckuckstür heben sich durch eine andere Farbe vom Grundton ab. „Die Leute blieben im Laden immer bei diesem Modell stehen“, erinnert sich Selina Kreyer. Sie mochten das Design, es war die erste und einzige neuartige Kuckucksuhr, sie fiel auf. Also nahmen die Eltern sie mit auf eine Messe. Ein Aufschrei folgte – man könne doch nicht auf diese Weise mit der Tradition brechen! Nein, so eine Uhr würde niemand kaufen.

Kleine Stückzahlen in der Krise

„Heute sind zwei Drittel aller Verkäufe moderne Uhren“, sagt Selina Kreyer. Und ihre Eltern konnten sich damals vor Aufträgen nicht retten. „Sie standen schlagartig im Erfolg“, erinnert sich die 34-Jährige. Sie bekamen Anfragen vom englischen Königshaus, vom Ministerpräsidenten, vom Ex-DFB-Trainer Jogi Löw. Über einhundert Mal seien sie im Fernsehen gewesen, sagt Ingolf Haas immer wieder in Interviews über den Rummel um die kleinen Uhrenkunstwerke. Die Regionalpresse berichtet, der Stern, das ZDF, zuletzt war National Geografic da. Bis zu 5.000 Uhren wurden zu jener Zeit im Jahr verkauft.

Diese Zahl habe sich halbiert, sagt Selina Kreyer. Doch das liege nicht an mangelndem Interesse, sondern daran, dass sie seit der Übernahme einiges anders machen: Der Verkaufsraum wurde renoviert und neu gestaltet, das bindet Geld und Zeit, billige Standard-Uhren mit Ein-Tag-Werk und Kampfpreisen wurden aus dem Sortiment genommen. Es wird also weniger, dafür hochwertiger verkauft. Und wer in den Laden kommt, kann sich Uhren mit den eigenen Lieblingsfarben anfertigen lassen, Unikate ergattern, die online nicht verkauft werden. Aber natürlich seien da auch die Preisexplosionen beim Material und der Umstand, dass die Menschen gerade auch ihr Geld zusammenhalten, weiß die Inhaberin. Das Jahr 2023 war also das erste Jahr seit 15 Jahren, in dem die Umsätze zurückgingen. „Ich habe mir angewöhnt, die Dinge positiv zu sehen“, sagt Selina Kreyer dazu. Das habe sich bewährt.
Ihre Mutter etwa ist die letzte Person aus der Gegend, die in dieser Qualität Schilderuhren bemalen kann. Selina und Andreas Kreyer haben dann auf Facebook einen kleinen Wettbewerb ausgerufen und aus der Fan-Community strömten Bilder ein. Die Gewinnerinnen bemalen nun Auftragsarbeiten auf freier Basis für die Manufaktur. Manchmal greift aber auch noch Selina Kreyers Mutter zu Pinsel und Acrylfarbe. Und der Vater gibt Tipps, wenn nötig. „Aber grundsätzlich lassen sie uns echt einfach machen“, sagt Selina Kreyer. Darüber freue sie sich.

Auch Selina und Andreas Kreyer wollten sich vor zwei Jahren eine Kuckucksuhr in ihre neue Wohnung hängen, Altholzbalken säumen ihren Wohnbereich. Sie wollten also etwas, das dazu passt. Und so entwarfen sie kurzerhand gemeinsam ein neues Design, eine Antikholz-Balken-Uhr aus über 200 Jahre altem Holz, das eine schwarze Front mit goldenen Zeigern säumt. Dahinter werkelt ein mechanisches Acht-Tage-Werk. „Man kann schon sagen, an unseren Uhren folgt alles alten Gepflogenheiten“, sagt Selina Kreyer. „Außer das Design.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jeanne Wellnitz (c) Mirella Frangella Photography

Jeanne Wellnitz

Redakteurin
Quadriga
Jeanne Wellnitz ist Senior-Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert. Zuvor war sie von Februar 2015 an für den Human Resources Manager tätig, zuletzt als interimistische leitende Redakteurin. Die gebürtige Berlinerin arbeitet zusätzlich als freie Rezensentin für das Büchermagazin und die Psychologie Heute und ist Autorin des Kompendiums „Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren“ (2020) und der Journalistenwerkstatt „Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im Journalismus“ (2022). Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und beim Magazin KOM volontiert.

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