Spielend zu mehr Agilität

Arbeitsorganisation

Die Art und Weise, wie Zusammenarbeit in Unternehmen organisiert ist, führt immer seltener zu den gewünschten Ergebnissen. Auf der Suche nach Lösungen setzen viele Firmen auf Agilität – die Fähigkeit des Menschen, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen. Dies kommt einem Paradigmenwechsel gleich, da ein ganz anderes Verhalten, andere Prozesse und Strukturen als bisher gefragt sind.

Um Handlungsalternativen zu entwickeln und das System von Zusammenarbeit möglichst partizipativ zu verändern, braucht es gemeinsame Erfahrungen. Diese können durch Spiele geschaffen werden, die einen geschützten Raum bieten. So entsteht psychologische Sicherheit, die wiederum Effekte wie soziale Empathie oder einen anderen Umgang mit Fehlern hervorruft. Außerdem vereinfacht gemeinsames Spielen eine stärkenorientierte Betrachtung von anderen, anstatt sich zu sehr auf Defizite zu konzentrieren. Diese Erfahrungen sind kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, zu lernen beziehungsweise das Erfahrene in die Praxis zu transferieren. Damit das gelingt, ist die Reflexion des Erlebten der wichtigste Part im Nachgang des Spiels. Dabei sollte bereits vor dem Spiel klar sein, was die zentralen Erkenntnisse in der Reflexion sein werden. Welche Fragen müssen also gestellt werden, damit die Teilnehmenden zu diesen Erkenntnissen gelangen oder diese selbst erarbeiten können? Und was heißt das für den jeweiligen individuellen Arbeitskontext?

1. Taschenrechner-Spiel

Ziel: mit spielerischer Leichtigkeit agiles Arbeiten und Prinzipien wie Selbst­organisation oder Werte wie fokussiertes Arbeiten erlernen
Material: Kreppband, Spielkarten durchnummeriert von eins bis 40
Gruppengröße: ab fünf Personen, in zwei oder mehreren Gruppen möglich
Dauer: etwa 30 bis 45 Minuten
Vorbereitung: Ihr braucht eine ausreichend große Spielfläche. Mit dem Kreppband markiert ihr vor Beginn des Spiels auf dem Boden ein rechteckiges Spielfeld. Die Größe des Feldes kann in Abhängigkeit von der Gruppengröße variieren, sollte aber generell in der Größenordnung von drei mal vier Meter liegen. Wichtig ist, dass alle Spielenden auch außerhalb des Felds genügend Bewegungsfreiheit haben. Innerhalb des Felds werden nun auf dem Boden in beliebiger Anordnung 40 durchnummerierte Spielkarten gleichmäßig verteilt.
Durchführung: Eine Person übernimmt die Moderation und erläutert die Spielregeln, beantwortet Fragen, achtet auf die Regel- und Zeiteinhaltung, notiert Schätzungen sowie Ergebnisse und führt im Anschluss die Reflexion durch.
Die Spielregeln:
  • Ihr seid ein Team
  • Berührt die Zahlen in aufsteigender Reihenfolge (1, 2, 3, …)
  • Jede Person muss mindestens eine Zahl pro Spielrunde berühren
  • Es darf immer nur eine Person im Spielfeld sein
  • Zahlen dürfen nicht verschoben werden
  • Wir spielen mehrere Spielrunden (eine neue Spielrunde startet immer bei der Zahl 1)
  • Eine Spielrunde dauert insgesamt zwei Minuten; diese werden wie folgt aufgeteilt:
  • Eine Minute Besprechungszeit und Abgeben einer Schätzung, wie viele Zahlen in der Spielzeit von einer Minute in der jeweiligen Runde nacheinander berührt werden (zum Beispiel 28). Hinweis: Wenn ein Team bei 40 ankommt, macht es wieder bei eins weiter, sozusagen mit der 41, bis die eine Minute abgelaufen ist.
  • Eine Minute Spielzeit
Wichtig ist es, auf die Einhaltung des Zeitlimits hinzuwirken.
Nach der ersten Spielrunde wird von der Moderation das Ergebnis notiert, und es beginnt direkt die zweite Spielrunde. Es empfiehlt sich, mit vier Spielrunden zu planen.
Reflexionsfragen:
  • Was waren eure Erfolgsfaktoren in der Zusammenarbeit?
  • Wie habt ihr Entscheidungen getroffen?
  • Wer hat welche Rolle übernommen? Ist das durchgehend gleich geblieben?
  • Wie seid ihr mit Fehlern umgegangen?
  • Hattet ihr Spaß dabei? Falls ja: Wie ist der Spaß entstanden?
  • Wie ist Ehrgeiz entstanden? (Sich verbessern zu wollen)
  • Wie wäre es gewesen, wenn es eine Zielvorgabe von außen gegeben hätte?
  • Wozu habt ihr die Ergebnisse gemessen?
  • Was wäre wohl passiert, wenn ihr insbesondere zu Beginn kein Zeitlimit gehabt hättet?
  • Wo erkennt ihr Parallelen zur Art und Weise, wie ihr im Arbeits­alltag zusammenarbeitet, und welche Unterschiede gibt es?

Quelle: HR Pioneers, Praxisbuch Agilität, Häuseling et al. 2

2. Name Game

Ziel: den Unterschied zwischen fokussiertem Arbeiten und ständigem „Task switching“ verdeutlichen
Material: Stifte, zwei Metaplankarten und eine Stoppuhr für jede teilnehmende Person (zum Beispiel mit dem Smart­phone)
Gruppengröße: ab fünf bis circa zehn Personen
Dauer: etwa 20 bis 40 Minuten
Vorbereitung: Eine Person simuliert den Dienstleister, alle anderen Mitspielenden sind die Auftraggebenden. Die Auftraggebenden notieren für sich zwei Begriffe auf ihren Meta­plankarten mit je acht bis zehn Buchstaben. Der Dienstleister nimmt sich ein Flipchart oder einen Zettel und einen Stift.

Durchführung:

Erste Runde: Die Moderation erläutert die Glaubenssätze der Organisation:
1. „Kein Kunde, keine Kundin darf warten müssen.“
2. „Wer früh anfängt, ist früh fertig.“
Deshalb ist der Dienstleister verpflichtet, immer nur einen Buchstaben einer Auftraggeberin zu notieren und dann reihum zum nächsten zu wechseln. Fängt die erste Auftraggeberin an, ihren ersten Buchstaben zu nennen, starten alle Auftraggebenden die Stoppuhr für sich. Ist das Wort eines Auftraggebers fertig, stoppt dieser die Zeit individuell. In den kommenden Runden reicht ein kurzes „Weiter“ aus, so lange, bis der Dienstleister alle Aufträge abgearbeitet hat.

Zweite Runde: Die Unternehmensphilosophie wird geändert. Nun wird in der nächsten Runde immer eine Auftraggeberin abschließend bedient, bevor die nächste an der Reihe ist. Die erste in der Reihe nimmt ihr zweites Wort und buchstabiert es. Im Sinne der Vergleichbarkeit weiter Buchstabe für Buchstabe, aber eben alle hintereinander. Erneut starten alle die Stoppuhr, sobald die erste Auftraggeberin mit dem ersten Buchstaben beginnt. Jede stoppt für sich, sobald der eigene Auftrag erfüllt ist.

Reflexionsfragen:
  • Wie habt ihr euch als Dienstleistende in der ersten und zweiten Runde gefühlt?
  • Wie habt ihr euch als Auftraggebende in der ersten und zweiten Runde gefühlt?
  • Was haltet ihr von der Aussage „Wer früher anfängt, ist früher fertig“?
  • Welche Auswirkungen gibt es auf die Qualität?
  • Welche Vorteile seht ihr in einer fokussierten Arbeits­weise?
  • Was wäre, wenn die einzelnen Wörter stellvertretend für die Anzahl der Projekte, Maßnahmen oder Aufgaben stehen, die wir im Arbeitsalltag erledigen? Ähnelt unser individueller Arbeitstag eher der ersten oder der zweiten Runde?

Quelle: HR Pioneers, Praxisbuch Agilität, Häuseling et al. 2019). Das Name  Game in dieser Form ist angelehnt an das gleichnamige Spiel von Henrik Kniberg.

3. Führungsspiel

Ziel: den Unterschied zwischen Führung durch Anweisung und Kontrolle gegenüber Selbstorganisation sichtbar machen (Welche Vorteile kann Selbstorganisation etwa hinsichtlich Geschwindigkeit bringen und welche wichtigen Aufgaben können Führungskräfte stattdessen übernehmen?)
Material: nur ein wenig Platz
Gruppengröße: mindestens 15 Teilnehmende. Nach oben ist kein Limit gesetzt
Dauer: etwa 15 Minuten
Vorbereitung: Schafft euch eine freie Spielfläche und teilt die Gruppe in zwei gleichgroße Gruppen auf. Eine der beiden Gruppen bestimmt eine Spielführerin oder einen Kapitän für die Gruppe.

Durchführung: Beide Gruppen bekommen die gleiche Aufgabe: Sortiert euch alphabetisch (nach Vornamen) und stellt euch in einer Reihe auf. Eine Gruppe macht das selbstorganisiert, die andere Gruppe hat dafür ihre „Führungskraft“, die die Leute in eine Reihe von A bis Z sortiert aufstellen soll, ohne dass die Gruppe miteinander redet. Alle folgen nur den Anweisungen dieser einen Person. Stoppt die benötigte Zeit.

Moderationstipps:
  • Gebt ein Startsignal und achtet darauf, dass insbesondere die selbstorganisierte Gruppe nicht bereits während der Anleitung mit dem Spiel beginnt. Das würde zur mangelnden Vergleichbarkeit führen.
  • Wenn sich die Teilnehmenden alle sehr gut kennen, ist es für die „Führungskraft“ einfacher. In dieser Situation könnt ihr auch willkürlich Namen verteilen, die für das Spiel gelten (für beide Gruppen, um Vergleichbarkeit sicherzustellen).
Reflexionsfragen:
  • Wie war es für euch?
  • Wie hat sich die selbstorganisierte Gruppe gefühlt?
  • Wie hat sich die nicht selbstorganisierte Gruppe gefühlt? Die Führungskraft? Die anderen?
  • Welche Unterschiede habt ihr in den beiden Gruppen wahrgenommen?
  • Welche Parallelen seht ihr zu eurem Arbeitsalltag?
  • Was hat dieses Spiel mit Agilität zu tun?

Quelle: HR Pioneers, Praxisbuch Agilität, Häuseling et al. 2019

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Spielen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jan Sievers, Agile Management Consultant beim Beratungsunternehmen HR Pioneers

Jan Sievers

Jan Sievers ist Agile Management Consultant beim Beratungsunternehmen HR Pioneers. Seit vielen Jahren begleitet er agile Transformation. Der Einsatz von Spielen gehört dabei zu seinem Praxisalltag. In diversen Veröffentlichungen teilt Jan Sievers zudem seine Erfahrungen mit Spielen im beruflichen Kontext.

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