Auch Zeiten der Rufbereitschaft können als Arbeitszeit gewertet werden

Arbeitsrecht

Die Rufbereitschaft ist unter bestimmten Bedingungen als Arbeitszeit zu werten. Das hat der Europäische Gerichtshof vor kurzem entschieden und ist damit von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen. Die Entscheidungen, ob diese auch zu vergüten ist, steht noch aus.

Der Fall, den der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu entscheiden hatte, spielte in Belgien. Der Kläger war dort seit dem 1. August 1980 in der Stadt Nivelles in einer Nebentätigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann beschäftigt. Die Verordnung der Stadt über die Organisation des Feuerwehrdienstes sah unter anderem vor, dass jedes freiwillige Mitglied der Feuerwehr seinen Wohnsitz beziehungsweise Aufenthaltsort an einem Ort haben muss, von dem aus die Einsatzzentrale der Feuerwehr bei normalem Verkehrsfluss in maximal acht Minuten erreicht werden kann. Dies galt auch in Zeiten der Rufbereitschaft. Der Kläger, der diverse Rufbereitschaftseinsätze übernahm, musste sich während dieser Zeit stets an einem Ort aufhalten, von dem er innerhalb von mindestens acht Minuten zur Einsatzzentrale gelangen konnte. Für die Zeiten dieser Rufbereitschaft hatte der Kläger über die Jahre hinweg keine Vergütung erhalten. Am 16. Dezember 2009 erhob er deshalb Klage gegen die Stadt Nivelles und verlangte Entgelt für die geleistete Rufbereitschaft.

Das Arbeitsgericht von Nivelles (Tribunal du travail des Nivelles) gab dem Kläger mit Urteil vom 22. März 2012 in weiten Teilen Recht und sprach ihm einen Vergütungsanspruch zu. Die Stadt Nivelles legte hiergegen jedoch Berufung zum Arbeitsgerichtshof in Brüssel (Cour du tarvail de Bruxelles) ein und hatte damit teilweise Erfolg. Der Arbeitsgerichtshof in Brüssel setzte das Verfahren im Übrigen jedoch aus und legte dem Europäischen Gerichtshof, den Fall zur Vorabentscheidung vor. Dabei wollte der Arbeitsgerichtshof insbesondere wissen, ob die Zeiten, in denen der Kläger unter den hier gegebenen Vorgaben von zu Hause aus Rufbereitschaft geleistet hatte, als Arbeitszeit im Sinne der europäischen Arbeitszeitrichtline bewertet werden kann.

Die Entscheidung

In seiner Entscheidung vom 21. Februar 2018 (C 518/15 – Ville des Nivelles gegen Matzak) stellte der EuGH nochmals klar, dass die Begriffe der „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ streng voneinander zu trennen und auf Basis der Arbeitszeitrichtlinie auszulegen sind. Ob Zeiten der Rufbereitschaft „Arbeitszeit“ sind, hängt demnach – gemäß der bisherigen Rechtsprechung des EuGH – maßgeblich davon ab, ob sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss (sogenannte Bereitschaftsdienst) oder in der Wahl seines Aufenthalts frei ist (sogenannte Rufbereitschaft). Muss der Arbeitnehmer lediglich seine sofortige Erreichbarkeit sicherstellen, kann jedoch seinen Aufenthaltsort frei wählen, liegt in den inaktiven Zeiten des Arbeitnehmers keine Arbeitszeit vor.

Im hiesigen Fall, so der EuGH, unterlag der Arbeitnehmer jedoch strengen Vorgaben bezüglich der Wahl seines Aufenthaltsorts. Er musste nicht nur ständig erreichbar sein, sondern innerhalb von acht Minuten persönlich an den Einsatzort gelangen. Auch seinen ständigen Wohnsitz musste der Kläger an diesen Vorgaben ausrichten. Der EuGH stellte somit fest, dass der Kläger in der Wahl seines Aufenthaltsorts zwar grundsätzlich frei war, aber sich dennoch nicht ohne Einschränkungen seinen persönlichen und sozialen Interessen widmen konnte. Aufgrund dieser Einschränkungen, entschied der EuGH, dass es sich bei diesen Zeiten um Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtline handelt.

Fazit

Ob für diese Zeiten auch eine Vergütung zu zahlen ist, entschied der EuGH nicht, da er lediglich die Frage beantworten musste, ob es sich hierbei um Arbeitszeit handelt. Die Entscheidung über den Zahlungsanspruch des Klägers obliegt somit noch dem Arbeitsgerichtshof in Brüssel. Wichtig an dieser Entscheidung ist jedoch, dass der EuGH von seiner bisherigen strengen Rechtsprechung, die eine konkrete Unterscheidung zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst nach der Wahl des Aufenthaltsorts vorsah, nunmehr abweicht. Erhält der Arbeitnehmer demnach strenge Vorgaben für die Wahl seines Aufenthaltsorts, ist nunmehr genau zu prüfen, inwieweit der Arbeitnehmer über seinen Aufenthaltsort noch frei entscheiden kann.

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Ann-Sophie Brügel, Foto: Privat

Ann-Sophie Braun

Rechtsanwältin
Dr. Huber Dr. Olsen Kanzlei für Arbeitsrecht
Ann-Sophie Braun ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei für Arbeitsrecht Dr. Huber Dr. Olsen.

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