Für Schadensersatzforderungen nach dem AGG genügt es nicht, wenn die bloße Möglichkeit einer Diskriminierung besteht. Es braucht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, um den Anspruch zu begründen, wie jetzt das BAG entschied.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einer neuen Entscheidung erneut zu der Frage geäußert, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen einer Benachteiligung einen Schadensersatzanspruch zu erlangen.
Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der seit Dezember 2011 als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB (Grad der Behinderung) von 50 anerkannt ist. Der Betrieb der Beklagten umfasste einen Express-Versand und einen Transport-Service. Der Kläger war seit dem 1. April 2007 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Kurier in der Station E. Er arbeitete in Teilzeit auf Basis einer Wochenarbeitszeit von 27,5 Stunden. Neben dem Kläger waren noch circa 24 weitere Kurierfahrer überwiegend in Teilzeit in der Station E beschäftigt. Nachdem der Kläger regelmäßig Überstunden erbracht hatte, wandte er sich im Juli 2012 an seinen Vorgesetzten und bat um eine Erhöhung seiner regulären Wochenarbeitszeit. Diese Bitte und eine erneute Rückfrage im Mai 2013 wurden von der Beklagten abgelehnt.
Am 10. Juni 2013 bemerkte der Kläger anhand der aktuellen Schichtpläne, dass außer bei ihm bei allen anderen Kollegen die Arbeitszeiten zwischenzeitlich erhöht worden waren. Er wandte sich deshalb an die Schwerbehindertenvertrauensperson, der in einem Gespräch mit dem Vorgesetzten des Klägers erläutert wurde, dass man nicht beabsichtige, die Arbeitszeit des Klägers zu erhöhen, da er im Vergleich zu den anderen Mitarbeitern schlechtere Leistungsbeurteilungen erhalten hätte. Man legte dem Kläger zudem nahe, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, da man aufgrund seiner Tätigkeit und seiner Schwerbehinderung eine Gefahr für seine Gesundheit vermute. Nachdem die Beklagte auch die erneute Bitte um eine Erhöhung der Arbeitszeit mit anwaltlichem Schreiben vom 14. Juli 2014 abgelehnt hatte, erhob der Kläger Klage zum Arbeitsgericht Frankfurt am Main und verlangte, die Beklagte zu einer entsprechenden Vertragsänderung zu verpflichten. In der Berufungsinstanz erweiterte er seine Klage und machte zusätzlich hilfsweise einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in der Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend. Zur Begründung berief er sich darauf, die Beklagte habe ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt.
Das Arbeitsgericht lehnte mit Urteil vom 29. Januar 2014 (Az. 14 Ca 6332/13) einen Anspruch des Klägers auf Vertragsänderung ab. Das Hessische Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 25. September 2016 (Az. 18 Sa 520/14), sprach dem Kläger jedoch einen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung zu. In der Begründung seiner Entscheidung führte das LAG insbesondere aus, der Kläger habe „ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt worden sein kann“.
Entscheidung:
Die daraufhin eingelegte Revision der Beklagten hatte vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg. Die Richter des achten Senats verwiesen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Zur Begründung führte das BAG aus, dass das LAG der Klage nicht mit der Begründung hätte stattgeben dürfen, dass Indizien vorlägen, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen, und die Beklagte diese Vermutung nicht widerlegt habe.
Aus Sicht des BAG hatte die zweite Instanz die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorschnell bejaht, indem es lediglich darauf abgestellt hatte, dass in diesem Fall Indizien vorlägen, die zumindest „die Möglichkeit“ eröffnen, dass eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung des Klägers vorliege. Das BAG führte hierzu aus, dass ein Schadensersatzanspruch erst dann vorliegen könne, wenn Indizien vorliegen, die „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in §1 AGG genannter Grund (zum Beispiel eine Behinderung) die Ursache für eine Benachteiligung war. Die reine „Möglichkeit“ einer Benachteiligung reicht demnach gerade nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu bejahen. Da dem BAG allerdings nicht genügend Informationen vorlagen, um den Rechtsstreit abschließend entscheiden zu können, wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Fazit:
Es genügt in der Praxis nicht, einen Schadensersatzanspruch unter Verweis auf die reine Statistik zu begründen. In dem hier vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer im Vergleich zu allen anderen nichtschwerbehinderten Kollegen von einer allgemeinen Erhöhung der Arbeitszeit ausgeschlossen wird, ist zwar die Möglichkeit einer Diskriminierung eröffnet, dies reicht jedoch für Schadensersatzanspruch nach dem AGG noch nicht aus. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine Diskriminierung begründen. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Es wird daher in der Praxis weiterhin nicht einfach sein, einen Schadensersatzspruch wegen einer Diskriminierung erfolgreich zu begründen.