Erhebt ein Arbeitnehmer vor Gericht Anspruch auf Vergütung von Überstunden, muss er grundsätzlich jede einzelne belegen können. Kann er das nicht, muss das zuständige Gericht im Einzelfall schätzen, wie ein aktuelles BAG-Urteil zeigt.
Erneut hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage auseinander gesetzt, wie viel ein Arbeitnehmer vortragen muss, wenn er den Arbeitgeber auf Bezahlung von Überstunden verklagt. Der Kläger hatte für die Beklagte elf Monate lang als Busfahrer gearbeitet. Er erhielt ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.800 Euro. Im Arbeitsvertrag war lediglich festgehalten, dass der Kläger „in Vollzeit“ beschäftigt wird. Eine genaue Vereinbarung, wie viele Stunden der Kläger leisten muss, gab es zwischen den Parteien nicht. Der Kläger war vertraglich neben den Busfahrten jedoch dazu verpflichtet, vor und nach den jeweiligen Fahrten Kontrollmaßnahmen und Reinigungsarbeiten beim Fahrzeug durchzuführen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses klagte er gegen seinen Arbeitgeber auf Bezahlung von insgesamt 649,65 Überstunden. Er berechnete seinen Anspruch auf Basis einer 40-Stunden-Woche und verlangte Zahlung in Höhe von 6.644,14 Euro brutto. Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Sie führte aber bereits in der ersten Instanz aus, dass die Arbeitszeit des Klägers „allenfalls 8,5 Stunden pro Tag“ betragen habe.
Das Arbeitsgericht Dortmund (Urteil vom 23.Oktober 2012, Az. 5 Ca 2205/12) wies die Klage ab, da ihm der Vortrag des Klägers zu den geleisteten Überstunden nicht ausreichte. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte der Berufung des Klägers mit Urteil vom 18. April 2014 (Az. 8 Sa 1649/12) jedoch teilweise stattgegeben und die vom Kläger geleisteten Überstunden unter Anwendung von § 287 ZPO geschätzt. Es berief sich dabei auf die Aussage der Beklagten, die Arbeitszeit des Klägers habe „allenfalls 8,5 Stunden pro Tag“ betragen, und sprach dem Kläger für 108 geleistete Überstunden insgesamt einen Zahlungsanspruch in Höhe von 1.103,75 Euro brutto nebst Zinsen zu.
Entscheidung:
Mit Urteil vom 25. März 2015 (Az. 5 AZR 602/13) hat das BAG die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigt. Die Revision des Arbeitgebers hatte beim BAG keinen Erfolg. Das BAG führte hierzu aus, dass das Gericht die Höhe der Überstunden nach § 287 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) nach pflichtgemäßem Ermessen schätzen kann und muss, „wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenem Sachvortrag des Arbeitgebers oder wenn nach dem vom Tatrichter nach § 286 Abs. 1 ZPO als wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden.“ Dies gilt zumindest dann, wenn die zugewiesene Arbeit nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war, der Arbeitnehmer aber nicht jede einzelne Überstunde belegen kann (zum Beispiel weil es an Notizen fehlt, der Arbeitgeber die Arbeitszeit nicht kontrolliert hat oder auch keine Zeugen zur Verfügung stehen). Sofern also ausreichende Anhaltspunkte vorliegen, muss das Gericht die Höhe der Überstunden schätzen.
Fazit:
Die gerichtliche Durchsetzung der Bezahlung von Überstunden ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach wie vor an hohe Anforderungen geknüpft. Der Arbeitnehmer muss grundsätzlich jede einzelne Überstunde nachweisen können. Zudem muss er belegen können, dass die Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet wurden. Diese Entscheidung des BAG könnte nun ein Signal an die Gerichte sein, auch die Möglichkeit der Schätzung von Überstunden öfter in Betracht zu ziehen. Im vorliegenden Fall gab es jedoch die Besonderheit, dass der Arbeitgeber bereits zugegeben hatte, dass der Arbeitnehmer mehr als 8 Stunden pro Tag gearbeitet hat. Insofern lagen in diesem Fall unstrittig ausreichende Tatsachen für geleistete Überstunden vor. Deshalb bleibt abzuwarten, ob dieses Urteil in der gerichtlichen Praxis tatsächlich zu einer Erleichterung der Erfordernisse an den Vortrag des Arbeitnehmers zu Überstunden führt, wenn er deren Bezahlung im Klagewege geltend macht.