Abgelehnter Vaterschaftsurlaub: Vater klagt auf Schadensersatz

Familienstartzeit

Deutschland hat bereits mehrfach EU-Richtlinien verspätet umgesetzt und entsprechende Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission in Kauf genommen. Auch die vollständige Umsetzung der EU-Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (2019/1158) in nationales Recht steht noch aus. Zwar hat die Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung einer Familienstartzeit 2021 geschrieben, der von der Bundesregierung für 2024 angekündigte zweiwöchige Vaterschaftsurlaub lässt jedoch auf sich warten. Die Beratungen zum aktuellen Gesetzentwurf zu einer zweiwöchigen „Familienstartzeit“ nach der Geburt, die ähnlich wie der „EU-Vaterschaftsurlaub“ ausgestaltet ist, kommen wegen Finanzierungsfragen nicht voran.

Nun hat ein Vater, dessen Kind im Sommer 2023 geboren wurde, am 21. Februar 2024 vor dem Landgericht Berlin Klage auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtumsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie eingereicht. Der Kläger hatte im Sommer 2023 anlässlich der Geburt seines Kindes bei seinem Arbeitgeber unter Bezugnahme auf die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie zwei Wochen Vaterschaftsurlaub beantragt. Sein Antrag wurde mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage abgelehnt. So musste der Arbeitnehmer Erholungsurlaub nehmen, um nach der Geburt seines zweiten Kindes bei seiner Frau, dem Baby und dem Erstgeborenen sein zu können. Alternativ hätte der Vater volle zwei Monate Elternzeit ausschöpfen müssen, um die Voraussetzungen zum Erhalt von Elterngeld zu erfüllen.

Verstoß gegen EU-Recht

Richtig ist, dass die Nichtumsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie einen Verstoß gegen EU-Recht darstellt. Die Vereinbarkeitsrichtlinie sieht in Artikel 4 Absatz 1 einen Vaterschaftsurlaub von zehn Arbeitstagen nach der Geburt eines Kindes für Väter und gleichgestellte zweite Elternteile vor. Nach Artikel 8 der Richtlinie ist die Zeit des Vaterschaftsurlaubs so zu vergüten, wie es im Falle einer Krankschreibung der Fall wäre. Da in Deutschland bei einer Krankschreibung der volle Lohn gezahlt wird, ist auch während des Vaterschaftsurlaubs der volle Lohn zu zahlen.

Wenig Erfolgsaussichten für die Klage

Nach Ansicht des Klägers hat sich der Bund schadensersatzpflichtig gemacht, weil er die seit 2022 umzusetzende EU-Richtlinie nicht umgesetzt hat. Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass der Kläger mit seiner Klage Erfolg haben wird, da es an einer entsprechenden direkten gesetzlichen Grundlage fehlt. Vorliegend wäre zunächst ein Umsetzungsakt erforderlich, um einen direkten Anspruch geltend zu machen. EU-Richtlinien gehören zum sogenannten sekundären Gemeinschaftsrecht und sind für die EU-Mitgliedsstaaten, an die sie sich richten, verbindlich. Eine unmittelbare Anwendbarkeit kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es an der ordnungsgemäßen Umsetzbarkeit des EU-Mitgliedsstaates fehlt und die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Richtlinie keinem Vorbehalt oder einer Bedingung unterliegt und der begünstigte Personenkreis und die Rechte, die gewährt werden sollen, klar erkennbar sind. Eine bloße Bestimmbarkeit reicht insoweit nicht aus. Fraglich ist, ob dies im vorliegenden Fall in Betracht kommt oder ob eine vertikale Direktwirkung zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinien dazu führt, dass sich der Kläger aufgrund der fehlenden Umsetzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf Bestimmungen der Richtlinie berufen kann und das Landgericht Berlin die Richtlinienbestimmung als geltendes Recht zu beachten hat. Da die Richtlinie mit dem Vaterschaftsurlaub jedoch kein subjektiv-öffentliches Recht gewährt, also keinen Anspruch des Bürgers gegen den Staat regelt, sondern einen Anspruch des Vaters gegenüber seinem Arbeitgeber, kommt Letzteres vorliegend nicht in Betracht.

Nationaler Gestaltungsfreiraum für Umsetzung

Auch ist die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bezüglich des Vaterschaftsurlaubs nicht zwingend, da sie nicht vorbehaltlos und bedingunglslos anwendbar ist und einer weiteren Ausgestaltung der Mitgliedstaaten bedarf. Die Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten für die streitige Konstellation einen Ermessensspielraum bei der Umsetzung ein, indem sie beispielsweise in Artikel 4 Ziffer (1) Absatz 2 ausführt, dass die Mitgliedstaaten bestimmen können, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes, ausschließlich danach oder auch in flexibler Form genommen werden kann. Andere Mitgliedsstaaten haben die Richtlinie in unterschiedlicher Form umgesetzt. In Finnland erhalten frisch gebackene Väter nach der Geburt neun Wochen bezahlten Sonderurlaub, in Spanien vier und in Portugal sind drei Wochen Vaterschaftsurlaub vorgesehen. Einen Überblick über jeweiliges Länderrecht auch zu Sonderurlaub kann diese Seite von Multilaw bieten, die derzeit gerade aktualisiert wird.

Die damit rechtlich verbleibende Verpflichtung deutscher Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts kann vorliegend ebenfalls nicht dazu führen, dass dem Kläger als Vater ein direkter Schadensersatzanspruch zusteht.

Die frischgebackenen Väter in Deutschland müssen sich noch bis zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gedulden und hoffen, dass über die strittigen Finanzierungsfragen zügig Einigung erzielt wird. In der Zwischenzeit sind sie darauf angewiesen, dass Arbeitgeber die Richtlinie vorzeitig umsetzen, indem sie Vaterschaftsurlaub freiwillig anbieten, um als attraktiver Arbeitgeber die gleichberechtigte Aufteilung von Fürsorgearbeit und Erwerbsarbeit zu stärken.

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Claudine Gemeiner, Foto: Privat

Claudine Gemeiner

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht
Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Claudine Gemeiner ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in München.

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