Elternsein ist eine Lebensaufgabe – und hört nicht mit Betreten des Arbeitsplatzes auf. Roman Gaida, Head of Division EMEA beim Elektronikkonzern Mitsubishi Electric, ist Autor des Buches Working Dad sowie Co-Host des gleichnamigen Podcast und setzt sich für eine bessere Vereinbarkeit von Karriere und aktiver Vaterschaft ein. Damit das gelingt, sollten auch Vorgesetzte mit gutem Beispiel vorangehen und über Elternschaft sprechen.
Herr Gaida, als Sie im Jahr 2017 in führender Position bei Mitsubishi Electric anfingen, haben Sie direkt am Anfang vor einer größeren Gruppe an Mitarbeitenden kommuniziert, dass Sie und Ihre Frau Zwillinge erwarten. Warum?
Roman Gaida: Ich habe es gleich offen angesprochen, weil die Geburt unserer Zwillinge einen zentralen Punkt in meinem Leben darstellte und ich auch den Grund anführen wollte, warum ich in der Zukunft vielleicht einmal kurzfristig aus dem Büro wegmuss, um mich um die Kinder zu kümmern.
Welche Reaktionen gab es darauf?
Mir gegenüber gab es keine negativen Rückmeldungen. Ich konnte aber spüren, dass das Thema Vaterschaft viele Teammitglieder beschäftigte. Sobald eine Führungskraft so unnahbar ist, dass niemand weiß, ob diese Person überhaupt Kinder hat oder nicht, ist es für viele Menschen natürlich unklar, wie man mit der Familienrolle von Vorgesetzten umgehen soll. Das Thema wird dann einfach ausgespart. Bei mir war das jedoch recht einfach: Wir haben intern sofort über meine Zwillinge oder auch die Familien der Mitarbeitenden gesprochen. Dank dieser Nahbarkeit kommt man auch leichter ins Gespräch mit den Teammitgliedern. So gibt man der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und den daraus resultierenden Herausforderungen auch einen viel größeren Raum.
Meistens fängt niemand von sich selbst an zu erzählen, dass er beispielsweise die ganze Nacht wegen der Kinder nicht geschlafen habe. Diese Gespräche lassen sich einfacher mit einer Führungskraft führen, die nahbar ist, selbst von eventuellen Schwierigkeiten berichtet und über das eigene Elternsein spricht. In so einer Atmosphäre können sich Eltern viel einfacher öffnen.
Wie können Vorgesetzte ein sozial-sicheres Umfeld in Unternehmen schaffen?
Wichtig ist vor allem, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitenden klarmachen, dass Elternzeit auch für Väter kein Tabuthema ist. Im Gegenteil, sie profitieren selbst davon. Im Gegensatz zu Frauen, die zwangsläufig mit einer Schwangerschaft offener umgehen, da sie ab einem gewissen Punkt für alle erkennbar ist, sprechen werdende Väter oft aus Angst vor Benachteiligung nicht über den erwarteten Nachwuchs. Sie reichen dann den Antrag auf Elternschaft erst auf den letzten Drücker ein. Bei einem offenen Umgang mit dem Thema Elternzeit ist es viel wahrscheinlicher, dass auch Väter frühzeitig Bescheid geben und Führungskräfte somit rechtzeitig die Vertretung planen können.
Es ist also wichtig, dass Vorgesetzte offen über Vaterschaft sprechen?
Unbedingt! Das gelebte Verhalten der Führungskraft spielt eine große Rolle. Wenn ein Chef selbst keine Elternzeit nimmt, dann tun sich auch die anderen Männer im Team damit schwer. Führungskräfte sollten sich zudem klarmachen, dass Elternschaft und Karriereambitionen nichts miteinander zu tun haben. Nur weil jemand die Zeit mit seinen Kindern verbringen möchte, ist er bei der Arbeit nicht weniger engagiert – unabhängig davon, ob er nun zwei oder sechs Monate oder auch ein ganzes Jahr in Elternzeit geht.
Das Vorleben von aktiver Vaterschaft im Unternehmen ist auch deshalb so wichtig, weil es Vorgesetzte gibt, die ihren Mitarbeitenden sagen „Ja, du kannst schon Elternzeit nehmen. Bei mir gab es das aber nicht.“ oder einen Spruch fallen lassen wie „Kannst du schon machen ist, ja gesetzlich vorgeschrieben.“ Dieses Verhalten hilft niemanden. Da hat ein werdender Vater Magenschmerzen und wird sicherlich warten, bis die sieben Wochen zur Antragsfrist gerade so erreicht sind, um den Frust der Vorgesetzten am Arbeitsplatz nicht so lange ertragen zu müssen.
Wie nehmen Sie Ihren Teammitgliedern diese Angst?
Wenn Mitarbeiter auf mich zukommen und sagen, dass sie Vater werden, mache ich ihnen klar, dass die Vaterschaft an ihrer Karriere nichts ändert. Stattdessen versuche ich, die Station Elternzeit in die Karriereplanung und den Entwicklungsplan des Mitarbeiters einzubauen. Genauso handhabe ich es aber auch bei werdenden Müttern.
Welche Vorteile haben Unternehmen, wenn sie eine Vereinbarkeit zwischen Karriere und Elternschaft gewährleisten?
Ich zähle Vereinbarkeit zu einem wichtigen Baustein gesunder Unternehmenskultur. Gerade der heutige Arbeitnehmermarkt zeigt doch, dass sich gut qualifizierte Mitarbeitende aussuchen können, für welches Unternehmen sie arbeiten. So ist es mittlerweile nicht nur nice to have, sondern ein klarer Wettbewerbsvorteil, wenn es darum geht, Menschen für das eigene Unternehmen zu gewinnen.
Wo steht unsere Gesellschaft in der Debatte um die Vereinbarkeit von Karriere und Vaterschaft?
Dafür muss zwischen der Social-Media-Blase und dem wirklichen Leben sowie zwischen urbanen und ländlichen Räumen unterschieden werden. In Großstädten ist es mittlerweile ganz normal, dass man Väter vormittags auf Spielplätzen oder auf dem Weg zum Kindergarten sieht. Im größeren nationalen Kontext überwiegt häufig noch ein traditionelles Familienbild, in dem sich die Mutter eher um die Kinder kümmert und der Vater das Geld verdient. Nichtsdestotrotz gibt es nun viel mehr Frauen, die nach der Geburt versuchen, ihre Karrieremöglichkeiten wieder so auszuschöpfen, wie es bisher eher Männer getan haben. Gleichzeitig wünschen sich viele Männer, neben ihrer Karriere mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Aber viele Unternehmen scheinen dafür noch nicht bereit zu sein.
Woran liegt das?
Aufgrund einer schwer erschütterlichen Traditionalität setzen wir die Elternrolle häufig mit der Mutterrolle gleich. In dieser Hinsicht haben wir als Gesellschaft noch einen weiten Weg zu gehen.
Ist vor diesem Hintergrund der geplante gesetzliche Rahmen für den zweiwöchigen „Vaterschaftsurlaub“ Ihrer Meinung nach ausreichend?
Wie gesagt, Väter sind auch Eltern. Das ist meines Erachtens nicht nur als ein Rückschritt für die Väter allgemein zu betrachten, sondern vor allem auch für die Gleichberechtigung. In diesem Fall scheint Familienministerin Paus der Meinung zu sein, dass der Platz eines Mannes nach der Geburt eines Kindes nicht an der Seite der Partnerin oder des Partners ist, sondern im Büro. Die zweiwöchige Väterfreistellung, es sollte auf keinen Fall Urlaub genannt werden, wäre eine Möglichkeit gewesen, jedem Vater eine enge Bindung zu seinem Kind zu ermöglichen.
Was würden Sie sich darüber hinaus von der Politik wünschen?
Es braucht vor allem bessere Wiedereinstiegsmöglichkeiten und Karrieremöglichkeiten für Frauen. Denn ein geringerer Gender Pay Gap würde dazu führen, dass sich mehr Väter für die Elternzeit entscheiden, da kein finanzielles Motiv diese Entscheidung mehr verhindert. Es fehlen auch bessere Betreuungsangebote. Diese könnten beiden Eltern ermöglichen, sich beruflich zu verwirklichen, die Care-Arbeit besser aufzuteilen oder sich Unterstützung von außen zu holen. Auch das Ehegattensplitting führt häufig zu einer Retraditionalisierung in Familien und gehört somit reformiert. Am Ende ist es jedoch auch unsere Gesellschaft, die zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht. Es braucht nicht nur mehr Frauen in Vorständen, sondern auch Väter, die sich gesellschaftlich akzeptiert mehr um ihre Kinder kümmern können.
In Ihrem Podcast Working Dad war der Bestsellerautor John Strelecky zu Gast. Er geht in seinen Büchern den Fragen nach Selbstverwirklichung und dem Sinn des Lebens nach. Was hat er zum Thema Vaterschaft gesagt?
Ich habe mich in dem Gespräch in meiner Einstellung bestätigt gesehen. John Strelecky sieht das Leben als Museum und stellt sich die Frage: Was möchte ich denn später darin sehen? Kaum ein Mensch wird in seinem persönlichen Museum sehen wollen, wie er wieder zehn Überstunden geschoben hat. Die Autorin Bronnie Ware schreibt in ihrem Buch 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, dass fast alle Männer am Ende ihres Lebens gesagt haben, dass sie zu viel gearbeitet haben. Das ist kein Aufruf, jetzt seinen Job hinzuschmeißen und gar nicht mehr zu arbeiten, sondern bewusster mit der eigenen Zeit umzugehen.
Zum Gesprächspartner:
Roman Gaida ist Head of Division EMEA beim Elektronikkonzern Mitsubishi Electric Europe BV. Er ist Autor des Buches Working Dad und mit Benni Achenbach und Marius Kursawe Co-Host des gleichnamigen Podcasts.
Das Buch Working Dad:
Roman Gaida, Working Dad. Vereinbarkeit von aktiver Vaterrolle und Karriere leben. Campus Verlag, 24 Euro, 230 Seiten. Erschienen im September 2022.