Mit 50 Jahren kein „Digital Native“, sondern ein „Digital Immigrant“

Diskriminierung

Der Begriff Digital Native ist generationenbezogen und bezeichnet laut eines aktuellen Urteils Personen, die mit der digitalen Welt von Beginn an aufgewachsen sind. Dazu gehören Personen, die 1972 geboren sind, nicht mehr. So hat das Arbeitsgericht Heilbronn in seinem Urteil vom 18. Januar 2024 (Az.: 8 Ca 191/23) entschieden.

Der Fall

Konkret befasste sich das Gericht mit einer Stellenanzeige eines international agierenden Handelsunternehmens im Bereich Sportartikel für eine Position als „Manager Corporate Communication (m/w/d) Unternehmensstrategie“. In dieser Stellenanzeige hieß es: „Darüber hinaus verstehst Du Dich als Organisationstalent, das Projekte souverän führt – auch im Change. Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause.“ Der 51-jährige Bewerber erhielt eine Absage und klagte im Anschluss auf Schadensersatz in Höhe von 37.500 Euro wegen Diskriminierung aufgrund seines Alters. Aus der Formulierung der Arbeitgeberin sei deutlich geworden, dass sie eine Person suche, die „einer Generation entstamme, die von Kindesbeinen an die digitale Sprache von Computer, Videospielen und Internet verwende“. Damit habe die Arbeitgeberin direkt auf das Merkmal des Alters abgestellt, weil damit Geburtsjahrgänge vor 1980 nicht mehr gemeint sein könnten. Für die Arbeitgeberin sei danach nicht ausreichend, dass ein Bewerber technisch versiert sei und mit digitalen Medien souverän umgehen könne.

Das Arbeitsgericht Heilbronn hat dem Kläger Recht gegeben und im Ergebnis eine Entschädigung in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern (7.500 Euro) zugesprochen, weil die Beklagte nicht darlegen und beweisen konnte, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Durch die Ablehnung seiner Bewerbung sei der Kläger unmittelbar im Sinne des Paragraf 3 Absatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) benachteiligt worden. Die von der Beklagten vorgetragene Überqualifikation des Klägers (Wirtschaftsjurist mit jahrelanger Erfahrung in Führungspositionen für eine Sachbearbeiterstelle) sowie der fehlende Sportbezug und, dass der Kläger seine Bewerbung nicht ernst gemeint haben könne, haben dem Gericht nicht ausgereicht. Die Beklagte führte außerdem an, dass sie mit der Formulierung lediglich eine Person gesucht habe, „die sehr firm in der digitalen Welt und in der digitalen Sprache sei[…], ohne dass eine konkrete Altersgrenze gezogen werde“, sie habe lediglich die Eigenschaften verlangt, die die Person mitbringen muss. Laut Gericht hätte die Beklagte dann jedoch auch auf den konkreten Begriff des „Digital Native“ verzichten müssen.

Der Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG setzt einen Verstoß gegen das (in Paragraf 7 Absatz 1 AGG geregelte) Benachteiligungsverbot voraus. Dieses untersagt eine Benachteiligung wegen eines der in Paragraf 1 AGG genannten Gründe, zu denen auch das Alter zählt. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines solchen Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in vergleichbarer Situation.

Generationsbezogene Konnotation von Digital Natives

Paragraf 11 AGG verbietet in diesem Zusammenhang das Ausschreiben eines Arbeitsplatzes unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle unter Verstoß gegen dieses Verbot aus, kann dies die Vermutung begründen, der Bewerber sei im Auswahl- bzw. Besetzungsverfahren wegen eines Grundes im Sinne des Paragraf 1 AGG benachteiligt worden. Die hier seitens der Arbeitgeberin gewählte Formulierung in der Stellenanzeige ist laut Gericht ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters, da im allgemeinen Sprachgebrauch unter einem Digital Native eine Person zu verstehen sei, die mit digitalen Technologien aufgewachsen und in ihrer Benutzung geübt ist. Der Arbeitgeberin, die hier die Darlegungs- und Beweislast dafür trug, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wurde, ist es nicht gelungen, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergäbe, dass ausschließlich andere als die in Paragraf 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben. Nicht ausreichend sei demnach, dass es zusätzlich nicht diskriminierende Gründe gibt, die die Ablehnung des Bewerbers ebenfalls hätten rechtfertigen können.

Das Gericht betonte die generationenbezogene Konnotation des Begriffs Digital Native und, dass damit Personen gemeint seien, die die digitale Welt bereits „in die Wiege gelegt bekommen“ haben. Der Begriff umfasse jedoch gerade nicht die sogenannten Digital Immigrants, die eventuell die gleichen Kenntnisse mit sich bringen, sich diese jedoch (nachträglich) angeeignet hätten und aus einer anderen Generation stammten. Die Arbeitgeberin hätte die Umschreibung als Digital Native schlicht weglassen können, wenn es ihr lediglich auf die Kenntnisse, nicht aber auf die konkrete Generation angekommen wäre.

Praxishinweis

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs, der Kläger habe seine Bewerbung nicht ernst gemeint, sondern es ausschließlich auf eine Entschädigung abgesehen, hat vor den Gerichten nur selten Erfolg. Die Rechtsprechung ist diesbezüglich sehr streng. Daher sollten Arbeitgeber von Beginn der Stellenausschreibung darauf achten, keine Angriffsfläche für Entschädigungsansprüche wegen etwaiger Diskriminierungen zu bieten. Das bedeutet konkret, dass die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten dargestellt werden, ohne jegliche Bezüge zu generationenbezogenen Begriffen herzustellen. Zudem ist zu raten, das Bewerbungsverfahren objektiv durchzuführen und dies auch genau zu dokumentieren.

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Katrin Gratzfeld

Dr. Katrin Gratzfeld ist Rechtsanwältin im Bereich Employment, Pension & Mobility am Düsseldorfer Standort von Taylor Wessing. Sie berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts mit Fokus auf der vertraglichen und tatsächlichen Gestaltung des Einsatzes flexibler Personalreserven sowie Projekten zur Sicherstellung der HR-Compliance.

Antonia Meyer

Dr. Antonia Meyer, Rechtsanwältin bei Taylor Wessing in der Praxisgruppe Employment, Pension & Mobility, berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

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