Stärkung der Entgelttransparenz und Entgeltgleichheit

Arbeitsrecht

Geringe Wirkung des Entgelttransparenzgesetzes

Das im Jahr 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) zielt laut Paragraf 1 darauf ab, das Gebot der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen. Im zweiten Evaluationsbericht der Bundesregierung aus dem Juni 2023 zeigten sich gegenüber dem ersten Evaluationsbericht aus dem Jahr 2019 lediglich punktuelle Verbesserungen bezüglich der Wirksamkeit und der Anwendung des Gesetzes. Die Instrumente, zu denen vor allem der individuelle Auskunftsanspruch der Beschäftigten gemäß Paragrafen 10 ff. EntgTranspG gehört, werden lediglich zurückhaltend genutzt. Der bereinigte Gender Pay Gap – die Vergütungsdifferenz zwischen Frauen und Männern bei gleicher oder vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie – lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom 18. Januar 2024 im Jahr 2023 noch immer bei sechs Prozent und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr lediglich geringfügig verringert.

Das Gebot der Entgeltgleichheit ist in jüngerer Zeit einerseits mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16.02.2023 (8 AZR 450/21) stärker in den Fokus gerückt. Mit ihrem Urteil haben die Bundesrichter der Argumentation der Arbeitgeberin, der männliche Kollege dürfe ein höheres Grundentgelt als seine Kollegin erhalten, weil er besser verhandelt habe, eine Absage erteilt. Andererseits wird mit der am 6. Januar 2023 in Kraft getretenen Richtlinie (EU) 2023/970 des Europäischen Parlaments und Rates zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen vom 10. Mai 2023 (EU-Entgelttransparenzrichtlinie – EntgTranspRL) der Blick auf die Entgelttransparenz und die Durchsetzung gleichen Entgelts für Frauen und Männer gerichtet. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis spätestens 7. Juni 2026 in nationales Recht transformieren. Die bis dahin verbleibende Zeit sollte jedoch nicht nur durch den Bundesgesetzgeber genutzt werden. Auch die Arbeitgeber der Privatwirtschaft sowie der öffentlichen Hand sollten sich zeitnah mit den zu erwartenden Änderungen des Entgelttransparenzgesetzes vertraut machen. Insbesondere dort, wo Entgelte bisher ohne objektive, zulässige und nachvollziehbare Unterscheidungskriterien frei verhandelt wurden, besteht erheblicher Überprüfungs- und Handlungsbedarf. Aber auch dort, wo Vergütungsordnungen, zum Beispiel tarifvertragliche oder durch Betriebsvereinbarung geregelte, zur Anwendung kommen, sollten diese unter Berücksichtigung der zu erwartenden nationalen Regelungen in den Blick genommen werden.

Diskriminierungsfreie Gestaltung von Entgeltsystemen

Nach aktueller Rechtslage müssen Entgeltsysteme und -bestandteile gemäß Paragraf 4 Absatz 4 Satz 1 EntgTranspG so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Paragraf 4 Absatz 4 Satz 2 des EntgTranspG nennt beispielhaft Ausgestaltungsmerkmale, die ein Entgeltsystem erfüllen muss, um diskriminierungsfrei zu sein. Hierzu gehören die objektive Berücksichtigung der Art der zu verrichtenden Tätigkeit, gemeinsame Kriterien für weibliche und männliche Beschäftigte, eine diskriminierungsfreie Gewichtung der einzelnen Differenzierungskriterien und eine insgesamte Durchschaubarkeit.

Neutrale Kriterien für eine konkrete Vergütungsdifferenzierung bei gleichen oder gleichwertigen Tätigkeiten können unter Heranziehung des Paragrafen 3 Absatz 3 Satz 2 EntgTranspG insbesondere arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene sein. Den Urteilen des BAG vom 21. Januar 2021 (8 AZR 488/19) und vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) zufolge kann auch das Dienstalter, mit dem die Dauer der Berufserfahrung honoriert werde, in einem begrenzten Umfang ein Kriterium für eine höhere Vergütung darstellen. Erforderlich ist aber, dass die mit dem Dienstalter einhergehende Berufserfahrung den Arbeitnehmer tatsächlich dazu befähigt, seine Arbeit auf dem konkreten Arbeitsplatz besser zu verrichten, wie das BAG-Urteil vom 21. Januar 2021 verdeutlicht (8 AZR 488/19). Auch bei einer unterschiedlichen Ausbildung oder Qualifikation als zulässiges Differenzierungskriterium müssen laut EuGH-Urteil vom 17. Oktober 1989 (C-109/88) diese Kriterien für die dem Arbeitnehmer übertragene spezifische Aufgabe von Bedeutung sein.

Nach der Neuregelung in Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 EntgTranspRL müssen Entgeltstrukturen so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarter Kriterien beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Als Kriterien werden in Artikel 4 Absatz 4 Satz 3 EntgTranspRL beispielhaft Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen genannt; keines der Kriterien darf unmittelbar oder mittelbar mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer in Zusammenhang stehen.

Transparenzinstrumente der EU-Richtlinie

Der Aufwand für Unternehmen im Hinblick auf die Entgelttransparenz wird künftig bereits in der Bewerbungsphase beginnen. Neu ist das Recht, das Artikel 5 EntgTranspRL Stellenbewerbern gibt, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne und eventuell auch über die einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die Stelle anwendet, zu erhalten.

Die Informationen sind dem Bewerber in einer Weise bereitzustellen, die gewährleistet, dass er fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt führen kann, zum Beispiel in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise. Ob der Verweis auf einen konkreten Tarifvertrag oder Entgelttarifvertrag ausreicht, dürfte vom Einzelfall abhängen. Wenn der Verweis mit den weiteren Informationen, die dem Bewerber mitgeteilt werden, zum Informationsstand führt, den Artikel 5 EntgTranspRL bei Stellenbewerbern mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Norm erreichen will, spricht dies für eine ausreichende Information. Muss der Bewerber allerdings selbst umfangreiche Recherchen vornehmen, weil der Tarifvertrag für ihn nicht leicht zugänglich ist, und Erwägungen zur Eingruppierung anstellen, ist es zweifelhaft, ob der bloße Hinweis auf ein tarifliches Regelwerk genügt. Die Informationen müssen angesichts der Zielrichtung, fundierte und transparente Verhandlungen führen zu können, vor Vertragsschluss vorliegen. Die Pflicht, Stellenbewerber zu informieren, gilt für alle Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer.

Im laufenden Arbeitsverhältnis verpflichtet Artikel 6 EntgTranspRL Arbeitgeber, ihren Arbeitnehmern Informationen in leicht zugänglicher Weise darüber zur Verfügung zu stellen, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Auch diese Pflicht, die über den Umfang der geltenden Auskunftsverpflichtung nach Paragraf 11 Absatz 2 Satz 1 EntgTranspG hinausgeht, weil dem Wortlaut nach über alle Kriterien zu informieren ist und nicht nur über die Kriterien und das Verfahren der Entgeltfindung bezüglich des eigenen individuellen Entgelts, gilt grundsätzlich für alle Arbeitgeber, ohne dass es auf die Anzahl der Beschäftigten ankommt. Mitgliedstaaten können allerdings Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Verpflichtung im Zusammenhang mit der Entgeltentwicklung nach Artikel 6 Absatz 1 EntgTranspRL ausnehmen; ob der Bundesgesetzgeber dies tun wird, ist offen.

Neben diesem Informationsrecht gibt Artikel 7 EntgTranspRL den Arbeitnehmern einen Anspruch an die Hand, Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen in schriftlicher Form zu erhalten, die nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche Arbeit wie sie oder gleichwertige Arbeit verrichten, aufgeschlüsselt sein müssen. Auch dieses Auskunftsrecht ist mit Blick auf die Auskünfte zu den durchschnittlichen Entgelthöhen, sowie denen des eigenen als auch des anderen Geschlechts weiter gefasst als die bisherige Auskunftsverpflichtung nach Paragraf 11 EntgTranspG. Weiter sind ungeachtet der Größe der Vergleichsgruppe alle vergleichbaren Arbeitnehmer einzubeziehen. Der Richtlinie nach haben alle Arbeitnehmer diesen Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber, ohne dass es auf die Anzahl der beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer ankommt. Eine Privilegierung für tarifgebundene oder tarifanwendende Arbeitgeber ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Schließlich ist auf die Berichtspflicht gemäß Artikel 9 EntgTranspRL sowie die damit in Zusammenhang stehende Pflicht zur gemeinsamen Entgeltbewertung nach Artikel 10 Absatz 1 EntgTranspRL hinzuweisen. Die gemeinsame Entgeltbewertung müssen Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmervertretern vornehmen, wenn

  1. sich aus der Berichterstattung über das Entgelt ein Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Höhe von mindestens 5 Prozent in einer Gruppe von Arbeitnehmern ergibt.
  2. der Arbeitgeber einen solchen Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe nicht auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt hat.
  3. der Arbeitgeber einen solchen ungerechtfertigten Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe innerhalb von 6 Monaten nach dem Tag der Berichterstattung über das Entgelt nicht korrigiert hat.

Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Instrumente zur Rechtsdurchsetzung

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie sieht neben einer Verschärfung der Auskunfts- und Informationspflichten als Transparenzinstrumente Regelungen vor, die der Rechtsdurchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots zwischen Frauen und Männern dienen. Hierzu gehören insbesondere der in Artikel 16 EntgTranspRL geregelte Anspruch auf Schadensersatz sowie die im Hinblick auf die Durchsetzung nicht nur von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen, sondern auch von Vergütungsdifferenzen infolge einer Geschlechterdiskriminierung gerichtete Regelung zur Verlagerung der Beweislast gemäß Artikel 18 EntgTranspRL. Paragraf 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthält bereits nach aktueller Rechtslage eine Beweislastregelung, nach der der Arbeitgeber darlegen und im Bestreitensfall beweisen muss, dass keine ungerechtfertigte Benachteiligung vorliegt, wenn der benachteiligte Arbeitnehmer Indizien beweist, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Das BAG wendet in seinem oben genannten Urteil vom 21. Januar 2021 den Paragrafen 22 AGG über Paragraf 2 Absatz 2 Satz 1 EntgTranspG bei Entgeltsgleichheitsklagen an.

Zu guter Letzt ist noch auf Artikel 23 Absatz 2 EntgTranspRL hinzuweisen, der als Sanktion bei Verstößen gegen das Gebot der Entgeltgleichheit Geldbußen vorsieht, die auf dem Bruttojahresumsatz oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitgebers beruhen könnten. Derzeit gibt es keine vergleichbare Sanktion im Entgelttransparenzgesetz, sodass diese Sanktionierung eine erhebliche Verschärfung der Rechtslage bei Verstößen darstellt.

Fazit

Arbeitgebern ist dringend zu raten, sich mit der eigenen Vergütungspraxis im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des BAG, aber vor allem auch mit Blick auf die in der Entgelttransparenzrichtlinie enthaltenen Regelungen auseinanderzusetzen. Wenngleich noch nicht im Einzelnen klar ist, wie der deutsche Gesetzgeber diese Richtlinie umsetzen, von welchen Erleichterungen er Gebrauch machen und welche Verschärfungen er möglicherweise regeln wird, lassen sich doch Mindestvorgaben für die Gestaltung von Entgeltsystemen sowie den transparenten Umgang hiermit prognostizieren.

Wie zu vernehmen ist, beabsichtigt das zuständige Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, bereits im zweiten Quartal 2024 einen Referentenentwurf vorzulegen, der in ein Gesetzgebungsverfahren münden soll, das bis Ende der laufenden Legislaturperiode abgeschlossen sein soll. In diesem Fall ist mit einer umfangreichen Überarbeitung oder gar Neufassung des Entgelttransparenzgesetzes im Spätsommer 2025 zu rechnen. Ob es – zumal längere – Übergangsfristen geben wird, ist offen und eher zweifelhaft.

Bei der Entgeltgestaltung ist zu beachten, dass bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere auch bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen, ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht eines vorhandenen Betriebsrats nach Paragraf 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG besteht. Die Mitbestimmung beschränkt sich auf Entlohnungsgrundsätze und umfasst nicht die Vergütungshöhe selbst. Mitzubestimmen hat der Betriebsrat bei den prozentualen Verhältnissen der verschiedenen Entgeltgruppen untereinander; die Vergütungshöhe selbst bestimmt allein der Arbeitgeber. Häufig stimmen sich die Betriebsparteien in der Praxis aber auch über die wechselseitigen Vorstellungen zur Entgelthöhe und deren Entwicklung ab. Besteht ein Betriebsrat, der zu beteiligen ist, sollte dies bei der zeitlichen Planung berücksichtigt werden, insbesondere auch mit Blick auf ein etwaiges Einigungsstellenverfahren, das notwendig wird, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat keine Einigung über die erzwingbaren Regelungsgegenstände erzielen.

Nach alledem empfiehlt es sich nicht, das Thema „Entgeltgleichheit und Entgelttransparenz“ aufzuschieben. Im Gegenteil: Es besteht Handlungsbedarf – jetzt!

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Dr. Sebastian Kroll

Dr. Sebastian Kroll ist Partner bei ADVANT Beiten in München und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht am Standort München. Sein Tätigkeitsbereich umfasst die außergerichtliche sowie die gerichtliche Beratung und Vertretung von Arbeitgebern bei allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

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