Gilt ein Urlaubsabgeltungsanspruch für Fremdgeschäftsführer?

Unionsrecht

Nach der deutschen Rechtsprechung war ein Geschäftsführer seit jeher kein Arbeitnehmer. Bereits im Jahr 2010 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings entschieden, dass Geschäftsführer nach unionsrechtlichem Verständnis unter Umständen auch Arbeitnehmer sein können. Für die Frage, ob ein Geschäftsführer ein Arbeitnehmer ist, sei laut dem EuGH unter anderem entscheidend, in welchem Umfang der Geschäftsführer Weisungen unterliegt, welche Aufgaben er erbringt und ob er jederzeit abberufen werden kann. An diesen Kriterien gemessen ist ein Geschäftsführer, der keine Gesellschaftsanteile hält (sogenannter Fremdgeschäftsführer), regelmäßig Arbeitnehmer. Dasselbe gilt, wenn der Geschäftsführer nur Minderheitsgesellschafter ist und keine Sperrminorität innehat.

Diese Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs beeinflusst diejenigen deutschen Gesetze, die den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff anwenden. So wurde beispielsweise für den Arbeitnehmerbegriff im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 26. März 2019 (II ZR 244/17) entschieden, dass Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer einbezogen sind. Gesetze, die nicht der Umsetzung des Unionsrechts dienen, wie beispielsweise die Paragrafen 1 und 23 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), können hingegen das deutsche Arbeitnehmerverständnis anwenden und Geschäftsführer ausklammern. Dies bestätigte das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27. April 2021 (2 AZR 540/20).

Sachverhalt: Offene Urlaubstage einer Geschäftsführerin

Trotz allem war weiterhin vielfach angezweifelt worden, ob auch das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) auf Geschäftsführer Anwendung finden könne. Letzte Zweifel hat das BAG nunmehr mit Urteil vom 25. Juli 2023 (9 AZR 43/22) ausgeräumt. Die Klägerin war als Geschäftsführerin der Beklagten auf Basis eines Dienstvertrags angestellt, aber bei einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe eingesetzt. Die Klägerin war angewiesen worden, feste Arbeitszeiten von 7 Uhr bis 18 Uhr einzuhalten. Vormittags musste sie am Telefon „Kaltakquise“ durchführen, am Nachmittag Kunden besuchen und Kontroll- und Überwachungsaufgaben wahrnehmen. Sie musste wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen.

Der Klägerin standen nach dem Dienstvertrag 33 Urlaubstage im Jahr zu. Im Jahr 2019 nahm sie elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub. Die Klägerin legte ihr Amt mit Erklärung vom 5. September 2019 nieder und kündigte das Vertragsverhältnis zum 30. Juni 2020. Vom 30. August 2019 bis zur Beendigung erbrachte sie keine Leistungen, sondern meldete sich arbeitsunfähig. Sie beanspruchte die Abgeltung ihrer nicht genommenen 38,5 Urlaubstage.

Entscheidung des BAG: Urlaubsabgeltungsanspruch auch für Fremdgeschäftsführer

Das BAG sprach der Klägerin unter Anwendung von Paragraf 7 Absatz 4 BUrlG einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Das BUrlG finde auf die Klägerin Anwendung. Obgleich dieses gemäß Paragraf 2 BUrlG nur auf Arbeitnehmer Anwendung findet, ergebe sich dieses Ergebnis aus einer richtlinienkonformen Auslegung der Norm im Einklang mit Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG und der Rechtsprechung des EuGH. Da das BUrlG eine Anwendung und Umsetzung von Unionsrecht darstelle, sei hier der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich.

Die Klägerin war nach Ansicht des BAG aufgrund der festen Vorgaben zur Arbeitszeit und ihrer arbeitnehmertypischen Aufgaben als Arbeitnehmerin im Sinne des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs anzusehen. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin gewesen sei oder eine Sperrminorität besessen habe. Sie war eine Fremdgeschäftsführerin.

Soweit der Urlaub wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mehr genommen werden könne, sei dieser gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Dem Umstand, dass die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niedergelegt hatte, maß das BAG keine Bedeutung zu.

Auswirkungen und Praxishinweise

Dass das BAG dem Fremdgeschäftsführer einen gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG zusprach, ist eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechungslinie und hat gleichwohl eine hohe Bedeutung für die Praxis. Als Folge des Urteils sind auch die anderen für Arbeitnehmer geltenden Regelungen des BUrlG, zum Beispiel über den Mindesturlaub, auf Fremdgeschäftsführer anzuwenden. Gleichermaßen muss die jüngst von der Rechtsprechung entwickelte Hinweisobliegenheit auf den Verfall der Urlaubsansprüche beachtet werden. Die vertraglichen Regelungen in Dienstverträgen sind entsprechend anzupassen, weil etwa Regelungen dergestalt, dass alle nicht genommenen Urlaubsansprüche am Ende des Urlaubsjahres stets verfallen, nicht mehr wirksam sind.

Eine sukzessive Erstreckung der Rechtsprechung in den nächsten Jahren auf weitere Gesetze und Normen, die den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff benutzen (zum Beispiel das NachwG) ist zu erwarten. Nicht übertragbar ist die Rechtsprechung hingegen auf Gesellschafter-Geschäftsführer, die eine Mehrheitsbeteiligung oder zumindest Sperrminorität innehaben.

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Klara Pototzky

Klara Pototzky ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Zu ihrer Tätigkeit zählt die arbeitsrechtliche Beratung bei komplexen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen, Umstrukturierungen und Carve-Outs.

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