Seit dem 1. August 2015 gibt es den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Ausgehend von damals 8,50 Euro pro Stunde wurde er durch Mindestlohnanpassungsverordnungen über mehrere Stufen auf 9,82 Euro pro Stunde im Januar 2022 erhöht. Im Juli ist der Mindestlohn kurzfristig auf 10,45 Euro pro Stunde gestiegen, bevor er am 1. Oktober gemäß § 1 Mindestlohngesetz nochmals auf dann 12,00 Euro pro Stunde angehoben wird. Die Vergütungshöhe entspricht dabei ungefähr 60 Prozent des Medianlohns in Deutschland und soll den Arbeitnehmenden einen Mindestschutz bei der Vergütung garantieren. Für Unternehmen zieht die Mindestlohnsteigerung von insgesamt 2,18 Euro pro Stunde in den vergangenen 10 Monaten eine erhöhte wirtschaftliche Belastung nach sich.
Vor diesem Hintergrund stellen Arbeitgeber wieder vermehrt die Frage, welche Lohnarten und Vergütungsbestandteile eigentlich den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllen und welche zusätzlich gezahlt werden müssen.
Das Mindestlohngesetz selbst liefert keine Antwort darauf. Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn besteht dabei nicht nur für Vollarbeit, sondern zum Beispiel auch für Zeiten des Bereitschaftsdienstes.
Was sagt die Rechtsprechung?
Das Thema der Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohnanspruch war vor allem bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns virulent und daher seit dem Jahr 2015 schon mehrfach Gegenstand in gerichtlichen Verfahren bis zum Bundesarbeitsgericht. Die Rechtsprechung hat aus diesem Grund in der Zwischenzeit belastbare, rechtliche Voraussetzungen herausgearbeitet, die für eine Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt sein müssen. Das Bundesarbeitsgericht hat in diversen Entscheidungen (Urteile vom 25. Mai 2016, vom 17. Januar 2018 und vom 27. April 2021) die Voraussetzungen konkretisiert. Die Entgeltzahlung muss im Rahmen des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses erfolgen. Außerdem darf die Entgeltzahlung nicht auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen und vom Arbeitgeber nicht unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin erbracht werden.
Die allgemein formulierten Voraussetzungen führen bei einzelnen Lohnarten und Vergütungsbestandteilen zu folgenden Ergebnissen:
Zulagen und Zuschläge
Gewährt der Arbeitgeber Arbeitnehmenden Zulagen oder Zuschläge, werden damit üblicherweise besondere Umstände der Arbeitserbringung ausgeglichen. Der Ausgangspunkt der Zulage oder des Zuschlags kann sehr unterschiedlich sein. In Betracht kommen: Maskenzulage, Schmutzzulage, Erschwerniszulage, Samstagszuschlag, Sonntagszuschlag, Feiertagszuschlag, Nachtzuschlag, Schichtzuschlag, Überstundenzuschläge und viele mehr.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es für den gesetzlichen Mindestlohnanspruch unerheblich, wie die zeitliche Lage der Arbeit ausgestaltet ist oder welche Umstände oder Erfolge mit der Arbeitsleistung verbunden sind. Der Mindestlohn muss je Zeitstunde gezahlt werden und es kommt bei den folgenden Zulagen und Zuschlägen eine Anrechnung in Betracht.
- Durch die Rechtsprechung wurde die Anrechenbarkeit auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch für Sonn- und Feiertagszuschläge, Schichtzulagen, Nähprämien, Treueprämien, Vertretungsprämien, Anwesenheitsprämien, Gesundheitsprämien sowie „Immerda-“, „Leergut-“ und „Ordnungs- sowie Sauberkeitsprämien“ bestätigt.
- Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Mai 2016 sind hingegen Nachtarbeitszuschläge nicht auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar. Diese Sichtweise begründet das Bundesarbeitsgericht damit, dass Nachtarbeitszuschläge gemäß § 6 des Arbeitszeitgesetzes gesetzlich geschuldet sind und sich daraus eine besondere gesetzliche Zweckbestimmung ergebe. Zur Abgrenzung kann aber nicht allein an die Begrifflichkeit „Nachtzuschlag“ angeknüpft werden. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in seiner Entscheidung vom 29. November 2017 in zutreffender Weise differenziert und eine Anrechenbarkeit angenommen, wenn die Zahlung der Nachtzuschläge nicht auf § 6 Arbeitszeitgesetz beruht, sondern aufgrund einer betrieblichen Übung erfolgte.
Akkordlöhne
Auch Akkordlöhne sind grundsätzlich auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar. Arbeiten Beschäftigte im Akkordsystem, so ist es möglich, dass der Grundlohn zusammen mit den Zeit- und Geldfaktoren zu einem über dem gesetzlichen Mindestlohn liegenden Stundenentgelt führt.
Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Auch einmalige Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld können grundsätzlich auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Für eine Anrechenbarkeit ist insbesondere wichtig, dass der Arbeitgeber die Sonderzahlung nicht unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmenden erbringt. Das Bundesarbeitsgericht problematisiert diese Voraussetzung vor allem bei Urlaubsgeldzahlungen und vertritt diesbezüglich eine differenzierte Sichtweise. Diese hat zur Folge, dass das Gericht unter dem Schlagwort „Urlaubsgeld“ einerseits Konstellationen bewerten musste, bei denen die Urlaubsgeldzahlung eine tatsächliche Sonderzahlung für erbrachte Arbeitsleistung darstellt. Das Urlaubsgeld konnte in dieser Konstellation auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Mai 2016). Anderseits hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit „Urlaubsgeld“ entschieden, dass das Urlaubsgeld keine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung darstellt, wenn es an den Urlaubsanspruch anknüpft, der Urlaubsgeldanspruch und der Urlaubsanspruch von denselben Voraussetzungen abhängen sowie das Urlaubsgeld je Urlaubstag gezahlt wird. Sind die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt, kann das Urlaubsgeld nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden (vgl. dazu Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September 2017).
Darüber hinaus ist bei Sonderzahlungen in der Regel § 2 des Mindestlohngesetzes zu thematisieren. Diese Vorschrift sieht vor, dass der Mindestlohn spätestens am Ende des auf die Arbeitsleistung folgenden Monats bezahlt werden muss. Einmalige Sonderzahlungen können daher nur in dem Monat, in dem die Sonderzahlung tatsächlich ausgezahlt wird, auf den Mindestlohn angerechnet werden. Eine Sonderzahlung kann aber auch anteilig monatlich auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden, wenn die Auszahlung der Sonderzahlung nicht einmalig, sondern ratierlich monatlich erfolgt.
Sachbezüge
Neben der Zahlung der Vergütung in Geld können gemäß § 107 der Gewerbeordnung auch Sachbezüge vereinbart werden, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmenden oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Ob Sachbezüge auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können, wird nicht einheitlich beantwortet. Zum Teil wird ihre Anrechenbarkeit generell verneint und zur Begründung darauf abgestellt, dass der gesetzliche Mindestlohn nach § 1 des Mindestlohngesetzes als Zahlung eines Geldbetrags zu leisten sei. Im Urteil vom 25. Mai 2016 hatte das Bundesarbeitsgericht in einem obiter dictum, also ohne, dass es in dem Urteil darauf entscheidend ankam, Sympathien dafür geäußert, dass der gesetzliche Mindestlohn nur durch eine Entgeltzahlung erfüllt werden kann. Diese Rechtsauffassung lässt sich aber auch mit guten Argumenten kritisieren. § 1 des Mindestlohngesetzes verlangt nach seinem Wortlaut gerade nicht, dass der Mindestlohn als Geldbetrag geleistet wird. Daher erkennt die Gegenansicht die Anrechenbarkeit einer nach § 107 Gewerbeordnung ordnungsgemäß vereinbarten Sachleistung dagegen an und macht für ihre Sichtweise geltend, dass § 107 der Gewerbeordnung Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts gerade ausdrücklich zulässt.
Fazit
Die Rechtsprechung hat in einer Vielzahl von Entscheidungen konkretisiert, welche Lohnarten und Vergütungsbestandteile auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können und welche nicht. Zwar sieht es so aus, dass es sich um unüberschaubare Anzahl von Einzelfall-Betrachtungen handelt. Als Leitlinie kann aber festgehalten werden, dass die Abgrenzung stets anhand des Zwecks erfolgt, der mit der Leistung verfolgt wird.