Diese Urteile waren 2023 für HR relevant

Urteile

Abberufung eines Datenschutzbeauftragten

Das Bundesdatenschutzgesetz sieht vor, dass ein Datenschutzbeauftragter nur abberufen werden kann, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Der Europäische Gerichtshof hat am 9. Februar 2023 in einem Vorabentscheidungsverfahren (C-453/21) entschieden, dass diese Voraussetzung für die Abberufung mit europäischem Recht in Einklang steht. Ein wichtiger Grund, der zur Abberufung berechtigt, kann das Vorliegen eines Interessenkonflikts sein. Nach Ansicht der Luxemburger Richter besteht ein Interessenkonflikt, wenn einem Datenschutzbeauftragten auch andere Aufgaben oder Pflichten übertragen wurden, die ihn dazu veranlassen, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten festzulegen.

Annahmeverzug bei fristloser Kündigung

Wenn ein Arbeitgeber eine außerordentliche und fristlose Kündigung ausspricht, weil ihm seiner Meinung nach die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, und der Arbeitgeber gleichzeitig dem gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses zur Vermeidung eines Annahmeverzugslohnanspruchs die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses anbietet, ist dieses Vorgehen des Arbeitgebers widersprüchlich. Das hat das Bundesarbeitsgericht am 29. März 2023 (5 AZR 255/22) entschieden. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.

Ansprüche auf Überstundenvergütung

In Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen oder auch in gerichtlichen Vergleichen wird regelmäßig eine Vereinbarung getroffen, nach der der oder die Beschäftigte unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung sowie unter Anrechnung auf etwaig noch offene Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt wird. In einem Urteil vom 24. März 2023 (1 Sa 1217/22) hat das Landesarbeitsgericht Hamm dargestellt, dass mit einer solchen Regelung grundsätzlich erreicht werden soll, dass etwaige offene Urlaubsansprüche sowie sonstige Ansprüche auf Freizeitausgleich, mögen sie aus Arbeitszeitkonten oder erbrachten Überstunden folgen, in den Zeitraum der erfolgten Freistellung hineinfallen und verrechnet werden. Der Begriff „Freizeitausgleichsanspruch“ sei weit zu verstehen und erfasse auch Überstundenabgeltungsansprüche.

Auftritt von Unternehmen in sozialen Medien

Seit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2016 ist in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung klar, dass ein Arbeitgeber beim Betrieb einer Facebook-Seite ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu berücksichtigen hat, sofern er es den Facebook-Usern ermöglicht, eigene Postings in dem sozialen Medium zu erstellen. Nach dem Bundesarbeitsgericht handelt es sich um eine technische Einrichtung gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz, die zur Überwachung der Beschäftigten bestimmt ist.

Eine wörtlich identische Regelung ist auch im Bundespersonalvertretungsgesetz bei der Mitbestimmung durch Personalräte zu finden. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2023 (5 P 16.21) lässt darauf schließen, dass dieses Gericht nicht den identischen Standpunkt wie das Bundesarbeitsgericht vertritt.

Betriebsratsvorsitzender darf kein Datenschutzbeauftragter sein
Die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten kann widerrufen werden, sofern für den Widerruf ein wichtiger Grund besteht. Anerkannt ist, dass unter anderem das Vorliegen eines Interessenkonflikts in der Person des Datenschutzbeauftragten ein wichtiger Grund sein kann. Das BAG hat mit Urteil vom 6. Juni 2023 (9 AZR 383/19) entschieden, dass typischerweise ein Interessenkonflikt besteht, wenn der Datenschutzauftrag und der Betriebsratsvorsitz durch dieselbe Person ausgeführt werden. Ein auf diesen Grund gestützter Widerruf der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten ist in der Regel berechtigt.

Fristlose Kündigung wegen kurzer Kaffeepause

Spielt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin vor, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, kann das erhebliche Auswirkungen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses haben. Das gilt selbst dann, wenn es sich um einen einmaligen Verstoß handelt, der nur einen kurzen Zeitraum betrifft. Diese Erfahrung musste eine Arbeitnehmerin machen, die für eine mindestens zehnminütige Kaffeepause ihren Arbeitsplatz verließ und sich dafür nicht ausstempelte. Das Landesarbeitsgericht Hamm erkannte im Urteil vom 27. Januar 2023 (13 Sa 1007/22), dass die darauf gestützte außerordentliche Kündigung wirksam ist. Eine vorherige Abmahnung war in diesem Fall entbehrlich, da die Arbeitnehmerin das unterlassene Ausstempeln auf Nachfrage des Arbeitgebers leugnete und so nachhaltig versuchte, das Fehlverhalten zu vertuschen.

Kein Verwertungsverbot von Videoaufnahmen

Kann ein Arbeitgeber die Aufnahmen aus einer offenen Videoüberwachung in einem Kündigungsschutzprozess als Beweismittel verwerten und die aus der Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse zum Gegenstand seines Prozessvortrags machen, wenn der Arbeitgeber mit der Auswertung der Videoüberwachung gegen Datenschutzrecht und die Vorgaben aus einer Betriebsvereinbarung verstößt? Das Bundesarbeitsgericht hat im Juni 2023 die Verwertung in einem solchen Fall für zulässig erklärt, jedenfalls sofern die Informationen über eine offene Videoüberwachung gewonnen wurden und vorsätzliches pflichtwidriges Verhalten in Rede steht.

Kündigung nach Beleidigungen in Chatgruppe

Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Das dachte zumindest ein Arbeitnehmer bei der Kommunikation in einer privaten Chatgruppe, mit der sich das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 24. August 2023 (2 AZR 17/23) beschäftigen musste. Der Arbeitnehmer äußerte sich in der privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen. Der Arbeitnehmer, der gegen die außerordentliche Kündigung klagte, hatte in erster und in zweiter Instanz Erfolg, da die Kommunikation zwischen den Teilnehmern der Chatgruppe vertraulich sei und sich der Arbeitnehmer daher auf eine verfassungsrechtlich geschützte Position berufen könne, die dem Ehrschutz der betroffenen Personen überwiege.

Das Bundesarbeitsgericht hat das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die Angelegenheit zurückverwiesen. Entgegen der Vorinstanz hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass sich der Arbeitnehmer für die Kommunikation in der privaten Chatgruppe nicht ohne Weiteres auf eine Vertraulichkeitserwartung berufen kann. Eine solche ist – so das Bundesarbeitsgericht weiter – nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige Gegenstand der Nachrichten – wie im vorliegenden Fall –, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer erwarten darf, dass die Kommunikation von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben werde.

Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen

Im EU-Vertrag und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird auf Ebene des Europarechts die Gleichstellung von Frauen und Männern – insbesondere der Grundsatz der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit – verfolgt. Mit seinem Urteil vom 16. Februar 2023 (8 AZR450/21) hat das Bundesarbeitsgericht einen Arbeitgeber dazu verurteilt, einer ehemaligen Arbeitnehmerin gleichheitswidrig vorenthaltene Vergütung und eine Entschädigung wegen geschlechtsbedingter Benachteiligung zu zahlen.

Schadensersatz bei unterbliebener ­Zielvereinbarung

Tantieme, Gewinnbeteiligung, Bonus – es gibt viele Formen variabler Vergütungsbestandteile. Diese Vergütungskomponenten dienen alle demselben Zweck: Sie sollen den Arbeitnehmern ein eigenes Interesse an der Erreichung der Unternehmensziele geben. Üblicherweise werden die variablen Vergütungsbestandteile im Arbeitsvertrag rahmenmäßig beschrieben und die konkreten Ziele jährlich festgelegt – entweder in einer Zielvereinbarung oder durch eine Zielvorgabe. Regelmäßig gibt es gerichtliche Entscheidungen zu Sachverhalten, in denen die Vereinbarung bzw. Vorgabe von Zielen unterblieben ist oder zu spät erfolgte. Ein Urteil vom 11. Juli 2023 (2 Sa 150/22) des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zeigt, dass Arbeitgeber für die Festlegung oder ­Vereinbarung von Zielen vorgesehene Stichtage einhalten sollten.

Schadensersatzforderungen für ­Bild- und Videodaten eines ehemaligen ­Mitarbeitenden

Die personenbezogenen Daten ihrer Beschäftigten müssen Arbeitgeber im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung verarbeiten. Berücksichtigt der Arbeitgeber die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung nicht, kann dies Schadensersatzansprüche des Beschäftigten rechtfertigen. Die Richtung der Verpflichtungen können vielfältig sein. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hatte im Urteil vom 27. Juli 2023 (3 Sa 33/22) zu bewerten, ob das Verwenden von Bild- und Videoaufnahmen von ehemaligen Mitarbeitenden eine Schadensersatzforderung rechtfertigt. Der ehemalige Arbeitgeber hatte Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Foto- und Videoaufnahmen vom Kläger zu Werbezwecken verwendet. Unter Berücksichtigung, dass kommerzielle Zwecke verfolgt wurden, erkannte das LAG auf eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro. Das LAG Düsseldorf hatte im Urteil vom 26. April 2023 (12 Sa 18/23) angenommen, dass eine verdeckte Überwachung durch einen Detektiv, die das Ziel hat, einen Arbeitnehmer beim Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit zu überführen, und die sich nicht auf das erforderliche und verhältnismäßige Maß beschränkt, eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt und einen Schadensersatz in Höhe von 1.500 Euro rechtfertige.

Teilkündigung einer Homeoffice-Vereinbarung

Grundsätzlich gilt, dass Verträge einzuhalten sind. Daraus folgt auch, dass es im Grundsatz nicht zulässig ist, nur einzelne Bestandteile eines Arbeitsvertrags zu kündigen und den Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten. Denn eine einseitige Änderung von Vertragsbedingungen kann nicht gegen den Willen des Vertragspartners erfolgen. Eine solche Teilkündigung kann, wie das Landesarbeitsgericht Hamm in einem Urteil vom 16. März 2023 (18 Sa 832/22) festgestellt hat, jedoch ausnahmsweise zulässig sein, wenn dem oder der Kündigenden hierzu ausdrücklich ein Recht eingeräumt wurde und nicht die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten von der Teilkündigung betroffen sind. Dann wird nach dem Landesarbeitsgericht Hamm kein zwingender Kündigungsschutz umgegangen. Im konkreten Fall war daher die Kündigung einer Zusatzvereinbarung zum Homeoffice-Arbeitsplatz wirksam.

Teilzeitbeschäftigung: Arbeit auf Abruf

In Paragraf 12 Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) ist für die sogenannte Arbeit auf Abruf vorgesehen, dass eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festgelegt wird. Fehlt eine solche Festlegung, gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Haben die Arbeitsvertragsparteien zunächst keine wöchentliche Arbeitszeit festgelegt, kann dies in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Ruft der Arbeitgeber in einem Zeitraum eine höhere Wochenarbeitszeit ab, kann diesem Abrufverhalten kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert beigemessen werden. Eine konkludente Erhöhung der abzurufenden Wochenarbeitszeit kann darin nicht gesehen werden, entschied das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 10. Oktober 2023 (5 AZR 2/23).

Unzulässiges Hausverbot

Der Arbeitgeber kann während eines laufenden Ausschlussverfahrens gegen einen Betriebsrat nicht Fakten schaffen, indem er ein Hausverbot ausspricht. Das entschied das LAG Hessen mit Beschluss vom 28. August 2023 (16 TaBVGa 97/23). Das Hausverbot störe die Betriebsratstätigkeit in unzulässiger Weise. Der Arbeitgeber warf dem Betriebsratsvorsitzenden eine Urkundenfälschung durch das unberechtigte Anbringen eines Eingangsstempels vor. Will ein Arbeitgeber den Ausgang eines Ausschlussverfahrens gegenüber einem Betriebsrat nicht abwarten, ist die vorläufige Untersagung der Ausübung des Betriebsratsamts – dies aber nur in Ausnahmefällen, wenn eine weitere Amtsausübung im Interesse einer ordnungsgemäßen Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar ist – das statthafte Mittel.

Verjährung des Urlaubabgeltungsanspruchs

Nachdem das Bundesarbeitsgericht Ende 2022 entschied, dass die Verjährung des Anspruchs auf den
gesetzlichen Mindesturlaub im laufenden Arbeitsverhältnis erst beginnen kann, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist, hatten die Erfurter Richter nun auch noch die Frage zu klären, wie der Urlaubsabgeltungsanspruch verjährt.

Mit dem Urteil vom 31. Januar 2023 (9 AZR 456/20) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass für den Urlaubabgeltungsanspruch die Verjährung am Ende des Jahres beginnt, in dem das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat oder nicht.

Verlust der Warnfunktion bei mehrmaliger Abmahnung

Eine wiederholt verspätete Arbeitsaufnahme trotz einschlägiger Abmahnungen kann geeignet sein, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Da es sich dabei um eine tendenziell eher weniger gewichtige Pflichtverletzung handelt, hat das Landesarbeitsgericht Köln in einem Urteil vom 20. Oktober 2022 (8 Sa 465/22) die Auffassung vertreten, dass für die negative Prognose der störungsfreien Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht nur eine Abmahnung, sondern zwei Abmahnungen erforderlich sind. Das Landesarbeitsgericht erkannte zudem nicht an, dass der Arbeitnehmer bereits drei Abmahnungen erhalten hat.

Da sich der Arbeitgeber hier nach mehreren Wiederholungen des Zuspätkommens zum Ausspruch einer Abmahnung entschieden hat und in diesem Zuge auch die länger zurückliegenden Einzelfälle, in denen der Arbeitnehmer die Arbeit verspätet aufgenommen hat, noch mitabgemahnt und die mehreren Abmahnungen am gleichen Tag übergeben hat, ist die Situation mit einer Sammelabmahnung – also eine Abmahnung, in der mehrere Pflichtverstöße zusammen abgemahnt werden – vergleichbar. Daher bedurfte es nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Köln einer weiteren einschlägigen Abmahnung, bevor eine Kündigung ausgesprochen werden konnte.

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Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners 

Pascal Verma

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners in Hamburg. Seine Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht und im Datenschutzrecht.

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