Sonderzahlungen und Mindestlohn

Arbeitsrecht

Lange Gegenstand heftiger politischer Debatten, ist der gesetzliche Mindestlohn seit Beginn dieses Jahres Gesetz. Wer voraussagt, dass er in absehbarer Zeit häufig Thema arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung sein wird, lehnt sich sicher nicht allzu weit aus dem Fenster. Für einige Branchen ist der tarifliche Mindestlohn bereits ein alter Bekannter. Die hierzu ergangene Rechtsprechung wird sich mit Blick auf die neue Gesetzgebung eines regen Interesses erfreuen können, dürfte sie sich doch ohne weiteres auch auf den allgemeinen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) übertragen lassen.

Eine Frage, die bereits in der Vergangenheit für Unklarheiten gesorgt hatte, war die nach der Anrechenbarkeit einmaliger Sonderzahlungen wie etwa Urlaubs- und Weihnachtsgeld im Wege einer auf das ganze Jahr bezogenen wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung auf den Mindestlohnanspruch.

Wer auf eine Entscheidung dieser Frage durch den Gesetzgeber gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Trotz der ausdrücklichen Bitte des Bundesrats um Klarstellung, welche Arbeitgeberleistungen auf das gesetzliche Mindestentgelt anzurechnen sind, ist der Gesetzgeber eine derartige Klarstellung schuldig geblieben.

Zum Ob der Anrechnung
In der Rechtspraxis werden die Arbeitgeberleistungen daraufhin überprüft, ob diese funktional mit der erbrachten Arbeitsleistung verknüpft sind oder nicht. Nur, wenn die arbeitgeberseitig erbrachte Leistung auch tatsächlich die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung selbst vergüten soll, die ja ihrerseits mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist, kommt eine Anrechnung in Betracht.

Eine Anrechnung scheidet daher dann aus, wenn die geleistete Zahlung andere Zwecke verfolgt, etwa die Belohnung von Betriebstreue, die Kompensation von Zusatzkosten oder wenn sie funktional darauf gerichtet ist, die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu unterstützen. Da Urlaubs- und Weihnachtsgeld regelmäßig ebenjene Zwecke verfolgen und eben nicht im direkten Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen, dürfte eine Anrechnung daher meist außer Betracht bleiben.

Letztlich wird sich die Frage nach der Anrechenbarkeit einer Sonderzahlung nur im Einzelfall beurteilen lassen.

Zum Wie der Anrechnung
Aber selbst dann, wenn nach dem Zweck der Leistung eine Anrechnung in Betracht kommt, sagt dies noch nichts darüber aus, ob auch eine jährliche Einmalzahlung genügt, um den Anforderungen an die Höhe des Mindestlohns zu genügen.

Dass dies nicht der Fall ist, legt bereits § 2 Abs. 1 MiLoG nahe, wonach der Mindestlohn spätestens am letzten Bankarbeitstag des auf die Arbeitsleistung folgenden Monats zahlbar ist.

Dies überzeugt auch in der Sache: Sinn und Zweck des Mindestlohns ist es, die eigene Lebenshaltung ohne fremde Hilfe bestreiten zu können. Hierzu ist es aber erforderlich, monatlich über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen, da Lebenshaltungskosten vor allem laufende Kosten darstellen und Lebensmittel laufend erworben und Miete monatlich gezahlt werden muss. Mit der bloßen Erreichung des Mindestlohns im Jahresmittel ist insbesondere dem Arbeitnehmer, der am unteren Ende der Gehaltsskala steht, nicht gedient.

Empfehlung für die Praxis
Es steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die oben dargestellten Grundsätze durch die Arbeitsgerichte auch auf den gesetzlichen Mindestlohn Anwendung finden werden – das Arbeitsgericht Berlin hat mit einer kürzlich ergangenen Entscheidung (vom 4. März 2015 – 54 Ca 14420/14) den Anfang gemacht.

Was also tun, wenn der geleistete Stundenlohn lediglich unter Berücksichtigung weiterer Sonderzahlungen im Jahresmittel die magische Grenze von 8,50 Euro (oder des jeweiligen tariflichen Mindestlohns) erreicht?

Für Neueinstellungen lautet die Antwort klar: Besser etwaige Gratifikationen von vornherein auf den Stundenlohn umlegen oder zumindest deren ratierliche Auszahlung vereinbaren.

Bei Bestandsarbeitsverhältnissen besteht vor allem die Möglichkeit des Abschlusses eines Änderungsvertrages, der die ratierliche Auszahlung der Gratifikationen oder gleich eine Erhöhung des Stundenlohns regeln kann.

Dabei ist der Arbeitgeber jedoch auf das Wohlwollen seiner Arbeitnehmer angewiesen: Das Arbeitsgericht Berlin hat in seiner oben genannten Entscheidung hohe Anforderungen an die Zulässigkeit einer Änderungskündigung wegen der Umlegung verschiedener Sonderzahlungen auf den Mindestlohn gestellt

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Michaela Massig, Foto: Privat

Michaela Massig

Rechtsanwältin
Allen & Overy
Michaela Massig ist Rechtsanwältin bei Allen & Overy LLP.

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