Was das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung bedeutet

Arbeitsrecht

Arbeitgeber in der EU müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter künftig systematisch erfassen. Was ändert sich nun für Unternehmen?

Stechuhr für alle?

Juristen sind der Überzeugung, das Urteil könnte große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag in Deutschland haben. Das Arbeitszeitgesetz schreibt bislang nur ausdrücklich vor, dass die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehenden Zeiten zu erfassen sind. Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) reicht dies jedenfalls nicht aus.

Schutz der Arbeitnehmer

Der Gerichtshof ist vielmehr der Ansicht, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre tägliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann. Für die Arbeitnehmer sei es daher äußerst schwierig beziehungsweise gar unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.

Hintergrund der Entscheidung

Geklagt hatte eine spanische Gewerkschaft vor dem nationalen Gerichtshof in Spanien. Sie wollte die Deutsche Bank dort verpflichten, die täglich geleisteten Stunden der Arbeitnehmer vollständig aufzuzeichnen. In Spanien besteht bislang nur eine Pflicht zur Erfassung von Überstunden. Dies sei nach Auffassung der Gewerkschaft aber nicht ausreichend. Der nationale Gerichtshof in Spanien legte die Frage dem EuGH vor. Dieser entschied nun im Sinne der Gewerkschaft.

Rechtliche Grundlage der Entscheidung

Der EuGH vertritt die Ansicht, die Verpflichtung zur systematischen Erfassung der Arbeitszeit ergebe sich aus der Charta der Grundrechte der EU sowie der Arbeitszeitrichtlinie. Hieraus folge ein Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.

EU-Staaten können über Umsetzung bestimmen

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun die Aufgabe, Arbeitgeber zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzureichen. Dabei können die einzelnen Länder eigenständig über die konkrete Umsetzung und Art des Systems entscheiden. Zulässig sei dabei, Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter Unternehmen, wie etwa der Größe, Rechnung zu tragen.

Kein akuter Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Aus dem Urteil dürfte kein unmittelbarer Handlungsbedarf für Unternehmen folgen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese zunächst abwarten können, bis der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Umsetzungsgesetz verabschiedet hat. Das Urteil verdeutlicht aber, dass die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes in der Zukunft im Fokus der Politik bleiben wird. Insofern ist auch mit weiteren Prüfungen der Aufsichtsbehörden zu rechnen. Arbeitgeber sollten die Vorgaben des zu erwartenden neuen Gesetzes daher beachten, sobald dieses verabschiedet ist.

Endgültiges Aus der Vertrauensarbeitszeit

Die vom EuGH geforderte systematische Erfassung der Arbeitszeit ist mit den modernen flexiblen Arbeitsformen und insbesondere der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit schwer in Einklang zu bringen. Die Entscheidung trifft daher auf Kritik bei den Arbeitgeberverbänden. Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren, so die Sprecherin der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Gewerkschaften in Deutschland hingegen begrüßen die Entscheidung erwartungsgemäß. Insofern wird die Umsetzung des Urteils wohl noch zu lebhaft geführten politischen Diskussionen führen.

Weitere Reaktionen auf das EuGH-Urteil haben wir hier zusammengefasst.

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(c) CMS

Isabel Meyer-Michaelis

CMS Hasche Sigle
Dr. Isabel Meyer-Michaelis ist Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland. Ihre Beratungspraxis umfasst unter anderem die arbeitsrechtliche Beratung bei Restrukturierungen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie die  Betreuung von kündigungsrechtlichen Auseinandersetzungen und Aufhebungsverhandlungen.

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