Aus der Zeit gefallen

Personalmanagement

Ob zu jung oder zu alt: Wer das Geburtsjahr zum Maßstab macht, wie ideal eine Arbeitskraft zur Stelle passt, diskriminiert Menschen. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Da Deutschland älter wird, ist der Umgang mit Altersdiskriminierung entscheidend – auch und gerade am Arbeitsmarkt.

Diversität ist für Personalverantwortliche längst ein Thema. Doch bei einem Punkt zeigen die Stellenportale und Karriereseiten wenig Vielfalt: beim Alter. Egal ob Volkswagen, Danone, SAP oder Hello Fresh: Die abgebildeten Personen sind 20, maximal 30 Jahre alt. Sie symbolisieren, dass Unternehmen Nachwuchs suchen. Der ist in Geschlecht und Optik divers, aber nicht alt. Dabei kann sich kaum ein Arbeitgeber leisten, auf die Generation 50plus zu verzichten. Genau in dem Bereich besteht Nachholbedarf.

„Ageism“ bezeichnet das Phänomen, dass Personen wegen ihres Alters diskriminiert werden, egal ob jung oder alt. Das ist wie Sexismus und Rassismus eine Diskriminierung, aber weniger bekannt. Die EU-Direktive schreibt die Gleichstellung auch von Generationen vor. Auf Bundesebene verlangt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, Personen nicht aufgrund ihres Alters zu benachteiligen. Und in den USA gilt seit 1967 ein spezielles Gesetz gegen Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz. Doch in der Praxis ist vieles Auslegungssache.

Es gibt ein Höchstalter für Pilotinnen und Piloten, für die Ausbildung bei der Bundespolizei und sogar für Vorstandsposten bei Konzernen wie beispielsweise BMW. Manuel Gräfe hat den Deutschen Fußball-Bund verklagt, weil er als Schiedsrichter mit 47 Jahren zwangspensioniert wurde. Er sei gesund, nur laut Richtlinie zu alt, um noch Bundesligaspiele zu pfeifen. Der DFB sagt, die Richtlinie mache Platz für Nachwuchs. Wie zeitgemäß das ist, prüfen die Gerichte.

Das „alte Eisen“ wird relativ

„Alter sollte nicht ausschlaggebend sein. Doch wenn es sachliche Gründe gibt, wird Altersdiskriminierung toleriert“, sagt Lisa Warth, Expertin für Bevölkerungsalterung bei der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) in Genf. Um das zu ändern, will die UNECE einen Paradigmenwechsel herbeiführen, wie Warth sagt: Ältere Menschen sollen nicht mehr als Last gesehen werden, sondern als eine Bereicherung. Das gilt auch und gerade für den Job. Über die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland ist heute mindestens 45 Jahre alt. Das Renteneintrittsalter steigt. Und laut einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamts wird es in zehn Jahren mehr Arbeitskräfte geben, die 65 Jahre und älter sind als unter 20-jährige. Das „alte Eisen“, von dem lange die Rede war, wird relativ.

In unseren Köpfen aber sei das Bild noch verankert, sagt Warth: „Das größte Problem ist, dass sich Ageism nicht immer so deutlich zeigt. Oft existieren Vorurteile, ohne dass sie den Menschen bewusst sind.“ Dazu gehöre, dass man Ältere als teure Arbeitskräfte sehe, die weniger flexibel und belastbar seien. Viele wollten ältere Menschen nicht diskriminieren, sagt Warth. Sie tun es aber. Und zwar laut Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jede und jeder zweite Erwachsene. Wer aufgrund seines Alters diskriminiert werde, dessen Lebenserwartung könne sich um bis zu siebeneinhalb Jahre verkürzen, schreibt die WHO. Und die Universität Bayreuth hat herausgefunden, dass ältere Beschäftigte, die im Job Diskriminierung erleben, sich nicht nur gestresst fühlen und dadurch eventuell krank werden, sondern auch eine geringere Bindung an ihr Unternehmen haben und so am Ende eventuell schlechtere Leistung ­bringen.

„Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir ältere Menschen wertschätzen und besser integrieren,“ sagt Warth. Die Personalpolitik könne und müsse eine zentrale Rolle spielen. Verbesserungsbedarf nennt die UNECE an vielen Stellen: bei Ausschreibungstexten, Auswahlverfahren, Aufgabenzuteilungen, Aufstiegsmöglichkeiten oder Schulungen zum Beispiel. Wer etwa einen Job für Digital Natives ausschreibt, fokussiert sich auf eine Generation, als ob sie per se besser mit Digitalem klarkäme. Auch die Formulierung „junges Team“ stellt laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes Ältere in ein schlechtes Licht und schließt sie von Jobangeboten aus. Dabei wird es laut Appellen der UN mehr denn je auf ein positives Miteinander der Generationen ankommen.

Jung und erfahren: falsches Ideal

Viel Streit gab und gibt es um die Bezeichnung „Young Professionals“. Da sie offenkundig auf junge Menschen abzielt, ist sie diskriminierend, urteilte bereits das Bundesarbeitsgericht. Trotzdem finden sich immer noch Ausschreibungen mit genau der Formulierung im Netz. Die Personalagentur Capitalheads hat sich auf Young Professionals spezialisiert. Ihre Website zeigt ausschließlich junge Menschen, es geht um die „Zukunft von Unternehmen“, sagt ein Verantwortlicher der Kienbaum-Gruppe, zu dem Capitalheads inzwischen gehört. „Wir haben uns gegründet, weil wir merkten, dass der Mittelstand durch den demografischen Wandel vor einem riesigen Nachwuchsproblem steht“, sagt Moritz ter Haar, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer. Inzwischen sei die Altersgrenze aber relativ. Capitalheads rekrutiert auch „Future Leader“, Spezialisten und Expertinnen, im Durchschnitt seien diese Mitte bis Ende 30 Jahre alt. „Der Arbeitsmarkt ist so angespannt, dass es schwierig ist, manche Stelle überhaupt zu besetzen“, sagt ter Haar. Das Alter spielt inmitten des Fachkräftemangels kaum eine Rolle mehr.

Zu Beginn suche jedes Unternehmen die Eier legende Wollmilchsau: sehr jung und sehr erfahren. Dann beginne die Abwägung, was für die Stelle ausschlaggebend sei. Das Credo von Capitalheads, das sich im gesamten Markenauftritt widerspiegelt, ist: „Wir setzen auf Menschen mit viel Potenzial statt viel Erfahrung. Jemand kann zehn Jahre Erfahrung mitbringen, aber zehn Jahre lang alles falsch gemacht haben oder kein Interesse mehr daran haben, es weiter zu tun. Wichtig ist, wohin die Person sich entwickeln kann und will“, sagt ter Haar.

Dass für diese Entwicklung anfangs eher junge Menschen gesucht würden, liege oft am Gehalt. „Young Professionals“ ist auch eine Karrierestufe. Wer seit 15 Jahren Karriere macht, würde nicht auf diese Stufe zurückgehen wollen, sagt ter Haar: „Sie könnten den Job auch machen, aber das wäre für sie ein Karriererückschritt, an dem sie kein Interesse haben. Die Unternehmen sind zumeist offen, auch ältere Personen für eine juniorige Position in Betracht zu ziehen, zum Beispiel jene, die quer einsteigen. Nur scheitert es am Ende häufig an den unterschiedlichen Gehaltsvorstellungen.“ Wer nur aufgrund eines akuten Jobverlusts eine solche Stelle antrete, könne schnell wieder weg sein. Und auch wenn eine Beförderung gerechtfertigt wäre: Es muss auch Mitarbeitende auf Einstiegsniveau geben.

Erfahrungswerte und Stereotype

Die „Junior-Position“, wie sie auch heißt, gibt Jobinteressierten eine Idee, wo sie sich in Bezug auf Gehalt und Verantwortung eingruppieren. Wer nicht diskriminieren und verklagt werden will, schreibt nichts über das Alter, egal ob am Ende eher Jüngere die Stelle in Betracht ziehen. So neutral die Texte wären, so austauschbar werden sie auch, klagt ter Haar. Viele Bewerber und Kandidatinnen seien verwirrt, wer gesucht werde. Und manches Mal wolle ein Betrieb tatsächlich explizit einen Mann oder jemand Älteren, weil es bei gewissen Auslandseinsätzen für Frauen zu gefährlich sei oder jemand Jüngeres nicht den nötigen Respekt erfahren würde. Die Personalagentur filtert und erklärt, was in den Texten nicht stehen darf.

Die große Frage ist, warum Unternehmen überhaupt darauf setzen, dass eine junge Arbeitskraft die bessere sei, ganz unabhängig vom Gehalt. Laut ter Haar ist einer der häufigsten Gründe die nötige Flexibilität, die zum Beispiel für Reisen im Außendienst vorausgesetzt wird. Wer verheiratet sei, Familie habe oder ein Haus, müsse in dieser Hinsicht häufig passen. Für ter Haar ist das eine Erfahrung. Für die UNECE ist es eines der häufigsten Stereotype, das Ältere umgibt.

Dazu kommt der Gedanke, ob sich Weiterbildung für Ältere lohnt. Wer in Angestellte investiert, will, dass es sich auszahlt. Doch Arbeitsverhältnisse, bei denen Absolventinnen und Berufseinsteiger bis zur Rente in einem Unternehmen bleiben, sind selten. Wechsel werden häufiger. Außerdem müssen sich heute alle fortwährend neu qualifizieren, sagt Warth: „Die klassische Aufteilung, nach der es erst eine Phase der Ausbildung gibt und dann eine des produktiven Erwerbslebens, existiert nicht mehr. Heutzutage ist lebenslanges Lernen für alle Pflicht. Regelmäßiges Upskilling muss genauso dazugehören wie der Gang zum Arzt.“ Ältere bei Umstrukturierungen auf dem Abstellgleis zu parken, kann sich kaum ein Unternehmen leisten. Am Ende macht sich die Investition in ihre Fortbildung doppelt bezahlt: Denn die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit 55 Jahren noch einmal wechselt, ist eher gering.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Ideale. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

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