John Stepper: Gemeinsam lernen und wachsen

Sichtbar machen

Herr Stepper, Sie gelten als der Urheber der Working-Out-Loud-Methode. Was war die zündende Idee, die letztlich zu einer Bewegung führte, die das Arbeitsleben vieler Menschen verändert?
John C. Stepper: Wie viele Erfindungen entstand Working Out Loud, kurz WOL, aus der Not. In dem Fall aus etwas, das ich selbst suchte und im Job nicht mehr fand. Ich hatte mein ganzes Leben lang in großen Unternehmen gearbeitet. Manchmal war es großartig und manchmal nicht.

Ich war an einem Tiefpunkt meiner Karriere angelangt, als ich merkte, dass die meisten Leute um mich herum auch so etwas wie Karriere-Roulette spielten. Manchmal hatte man das Glück, einen guten Chef zu haben, und manchmal nicht. Ich hatte das Gefühl, dass es einen anderen Weg geben musste. So fing es an, mit einer Leere, die ich bei der Arbeit spürte. Die Frage, was man dagegen tun kann, führte zu jahrelangen Experimenten, bis wir schließlich eine Methode gefunden hatten, die wir seither immer weiter verbessern.

Über Working Out Loud wurde schon viel gesagt und geschrieben. Können Sie trotzdem kurz die Effekte der Methode zusammenfassen?
Es handelt sich um eine soziale Lernmethode, bei der Menschen in einer kleinen Gruppe, ihrem Circle, durch Interaktion mit anderen ihr persönliches Entwicklungsziel verfolgen. Diese Circles haben über ein paar Wochen eine strukturierte Agenda. Im Laufe der Zeit lernen die Teilnehmenden Beziehungen aufzubauen, Wissen zu teilen und Vertrauen sowie Verbundenheit zu anderen Menschen zu entwickeln. Dies ist die Basis dafür, die eigene Karriere selbst in die Hand zu nehmen, zu erkennen, wer man ist und welchen Beitrag man selbst für seinen Erfolg leisten kann.

Working Out Loud hat durch Ihre Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) und dem deutschen Beratungsunternehmen Kluge + Konsorten auch die HR-Szene in Deutschland bewegt. Wie kam es zum Projekt WOL4HR?
Die Idee dazu hatten Sabine und Alexander Kluge, mit denen ich schon sehr lange zusammenarbeite. Sie waren der Meinung, dass HR eine Schlüsselrolle bei der Veränderung der Arbeitswelt spielt, wenn es darum geht, die Kultur zu verändern, den Menschen zu helfen, sich zu entwickeln und ihre Karriere selbst zu gestalten. Sie waren es, die die Chance erkannten, dass es beim BPM ein hervorragendes landesweites Netzwerk von HR-Managern gibt, und meinten, wir sollten sie diese Methode selbst erleben lassen.

Dieses Projekt speziell für HR hat sehr viel Resonanz bekommen und begeisterte im vergangenen Jahr fast 450 Teilnehmende innerhalb kurzer Zeit. Auch die zweite Runde in diesem Jahr war ein Erfolg. Sie waren beim Kick-off im Januar und bei der Schlussveranstaltung im Mai selbst dabei. Was versprechen Sie sich von WOL4HR?
Mein Ziel ist es, Menschen dabei zu unterstützen, einen größeren Sinn und Zweck in ihrer Arbeit zu finden. Und dies nicht nur auf abstrakte Weise, sondern ganz praktisch integriert in ihren Alltag. Im Projekt WOL4HR haben sich Hunderte wichtige HR-Akteure zusammengefunden, die genau das in Unternehmen etablieren können. Sie haben den Einfluss auf die Belegschaften, den ich nicht habe. Ich hoffe, dass sie im Rahmen des Projekts das Gefühl erlebt haben, wie es ist, in einem vertraulichen, sicheren Raum, in dem sie ganz sie selbst sein können, gemeinsam mit anderen zu lernen und zu wachsen. Und dass sie auch die praktischen Vorteile der Vernetzung und des gemeinsamen Zugangs zu Ressourcen erfahren haben. So, dass sie motiviert sind, allen Mitarbeitenden im Unternehmen diese Methode ans Herz zu legen.

Was haben Sie in diesen Working-Out-Loud-Circles für HR beobachtet?
Die häufigste Reaktion ist wohl die Überraschung darüber, wie schnell man sinnvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen kann – Menschen, die bisher Fremde waren. Teilnehmende aus dem WOL4HR-Projekt sagten mir, das Beste daran sei der eigene Circle, diese Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Zielen und unterschiedlichem Hintergrund. Man lerne sich Woche für Woche besser kennen, man möge sich und helfe einander. Damit entwickele sich ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Verbundenheit. Das verändere die Beziehung zum Unternehmen. Und es sei ein sehr starkes Gefühl, mehr Kontrolle über sich selbst zu haben, aber gleichzeitig mit anderen Menschen im Unternehmen verbunden zu sein.

HR kann sich im Working-Out-Loud-Programm also selbst verändern und dadurch auch andere Menschen befähigen, sich zu entwickeln?
Wenn man mehr Menschen am Arbeitsplatz erreichen will, ist es absolut hilfreich, wenn HR diese Methode unterstützt und verbreitet. Die Menschen im Unternehmen sind oft unsicher, was sie tun dürfen, was angemessen ist und wofür sie Ärger bekommen könnten. Und so gibt es auch Widerstand. Working Out Loud ist eine Graswurzelbewegung, die im Gegensatz zu anderen Bewegungen während der Arbeit stattfindet und Teil des persönlichen Entwicklungsprogramms ist. Diese Normalität erhöht die Akzeptanz. Es ist keine exotische, seltsame Sache, die nur bestimmte Leute machen. HR ist der Schlüssel, um mehr Menschen den Zugang zu ermöglichen und die Teilnahme so einfach und angstfrei wie möglich zu gestalten.

Wie kann die Personalabteilung das Working-Out-Loud-Prinzip besser in die alltäglichen Prozesse und die Kultur des Unternehmens integrieren? Sind Sie mit dem Status quo zufrieden?
Zufrieden auf keinen Fall. Aber HR ist mit vielen Erwartungen konfrontiert, die teilweise im Konflikt miteinander stehen, sei es vom Management, sei es von den Mitarbeitenden mit ihren Bedürfnissen. Hinzu kommen noch äußere Faktoren wie die Pandemie, Energiekrise, Klimawandel, die flexible Arbeitsmodelle erfordern. Im Gegensatz dazu gibt es in manchem HR noch eine sehr traditionelle Auffassung von Lernen und Entwicklung, die oft sehr strukturiert und programmatisch geprägt ist. Working Out Loud ist anders, es bringt die Menschen durch eigene Initiative zusammen. Es ist mehr Vertrauen im Spiel und am Ende gibt es keinen Statusbericht, keine Prüfung. Jeder wählt sein eigenes Lernziel. HR kann dieses Instrument nutzen, um mehr Verbindungen im Unternehmen zu schaffen, und zwar so, dass Menschen Freude daran haben, selbst etwas zu tun, eigenmotiviert mit Kolleginnen und Kollegen zu lernen, und HR nicht jeden Aspekt kontrolliert.

Kam die Working-Out-Loud-Methode gerade zur richtigen Zeit, zu Beginn der New-Work-Bewegung?
Es war wahrscheinlich ein bisschen zu früh. Ich habe vor mehr als zehn Jahren mit der Entwicklung begonnen. Da waren soziale Medien und Intranet noch relativ neu. Aber es ist richtig, was Sie sagen: Working Out Loud entspricht dem Zeitgeist. Der Trend geht zu weniger Befehl und Kontrolle in Unternehmen und zu mehr Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Führungskräfte wollen verstärkt, dass ihre Mitarbeitenden Initiative und Gefühl für ihr eigenes Handeln entwickeln und dafür Verantwortung übernehmen. Auf Anweisungen warten? So funktioniert es nicht mehr. Früher gab es vorgezeichnete Karrierewege, heute können Menschen ihre Karriere im Unternehmen selbst in die Hand nehmen. Wenn HR den Mitarbeitenden dabei helfen will, ihre eigene Karriere zu managen und sich weiterzuentwickeln, dann müssen sie auch befähigt werden, die nächsten Schritte selbst herausfinden. Das sind ganz neue Kompetenzen, die wir in der Vergangenheit nicht entwickelt oder auch nicht gewollt haben. Jetzt, im Wandel der Arbeitswelt, brauchen wir gerade diese Kompetenzen umso mehr.

Welche Bedeutung hat das soziale Lernen angesichts der gravierenden Veränderungen in der Arbeitswelt, in der Vernetzung und Wissenstransfer immer wichtiger werden?
Soziales Lernen ist Lernen durch Handeln, durch Ausprobieren, innerhalb fester Strukturen und gemeinsamer Verantwortung mit Unterstützung durch andere Menschen. Diese Art des Lernens fördert notwendige Innovationen mehr als ein voller Seminartag.

Hätten Sie mit diesem Erfolg von Working Out Loud im Jahr 2010 gerechnet?
Die Antwort ist Nein. Ich traf an einem Tiefpunkt meiner Karriere die Entscheidung, mich mit einer neuen Methode der persönlichen Entwicklung am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen, sie zu testen und stets zu verbessern. Ich habe darüber ein Buch geschrieben – und meine Idee einfach in die Welt hinausgeschickt. Es dauerte bis 2015, bis das erste Unternehmen begann, sie zu nutzen. Es entstand eine Art Schneeballeffekt, weil große Unternehmen mit dieser Methode Erfolg hatten und ihren Freunden davon erzählten.

Welche Rolle spielt Working Out Loud in der gegenwärtigen Krisenzeit, in der viele Menschen aus verschiedenen Gründen verunsichert sind?
Wenn die Menschen diese eine Stunde pro Woche in ihrem Circle beschreiben, verwenden sie verschiedene Metaphern. Eine davon ist eine Oase in meiner Woche. Dieser Ausdruck gefällt mir. Denn normalerweise ist die eigene Arbeitswoche davon geprägt, Anforderungen anderer Menschen zu erfüllen. Aber hier ist eine Stunde, in der ich nur an mir selbst arbeite, und zwar auf eine Weise, die gut für mich und auch gut für das Unternehmen ist. Aber es ist mehr als das. Eine Studie der SRH Berlin über die Wirksamkeit von Working Out Loud zeigt, dass die Methode das Verständnis von Kontrolle und das Gefühl von Kontrolle verändert. Die Menschen lernen mit der Zeit, ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln und dafür, dass es anderen Menschen ähnlich geht wie ihnen. Sie wollen nicht mehr warten, dass etwas passiert, sondern die Macht haben, selbst etwas zu verändern. Das Gefühl zu haben, dazuzugehören, nicht alleine zu sein, ist sehr stark. Dazu eröffnen sich durch das Netzwerk praktische Möglichkeiten, konkrete Schritte, die helfen, das eigene Ziel zu erreichen. Die Kraft eines jeden kommt in diesem Circle zusammen. Jeder gibt seine eigene Kraft in die Gruppe und macht jeden Einzelnen ein bisschen besser – lasst sie wachsen.

Über den Gesprächspartner

John C. Stepper ist der Gründer der Working-Out-Loud- Bewegung. Der US-Amerikaner studierte Informatik an der Columbia University und arbeitete dreißig Jahre bei großen und globalen Unternehmen. Von eigenen Erfahrungen im Job geprägt, entwickelte Stepper die Working-Out-Loud-Methode sowie weitere Methoden des sozialen Lernens. Stepper ist Vater von fünf Kindern und lebt in seiner Geburtsstadt New York.

Über WOL4HR

WOL4HR ist ein Projekt des Bundesverbandes der Personalmanager*innen (BPM) und Kluge und Konsorten, begleitet von John C. Stepper.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Flexibilität. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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