Kristin Glöckner war bei ihrer Jobsuche rigoros: „Wenn ein Arbeitgeber kein Homeoffice angeboten hat, habe ich ihn gleich aussortiert“, sagt die 33-Jährige, die in den vergangenen Monaten eine neue Herausforderung im Marketing gesucht hat. Als voll berufstätige Mutter wünscht sie sich Flexibilität und eine gute Work-Life-Balance: „Ich möchte Beruf und Familie miteinander vereinen – was das Homeoffice erleichtert.“ Wie ihr geht es vielen Bewerberinnen und Kandidaten heute. Das beobachtet auch Jutta Rump, Professorin für Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Die Generation Y, also alle ab 1980 Geborenen, – zu ihr gehört die Bewerberin Glöckner– habe wie die Generation Z, das sind alle ab etwa 2000 Geborenen, auch schon vor der Pandemie Wert auf einen mobilen Arbeitsplatz gelegt. Trotz alledem waren deutsche Unternehmen in der Präsenzkultur verhaftet. „Vor Corona wurde immer gesagt: Das geht nicht. Corona hat gezeigt: Es geht“, sagt Rump. Seither ist das Homeoffice für viele aus dem Lebensmodell nicht mehr wegzudenken. Aber nur zu Hause zu sitzen und niemanden aus dem Kollegium mehr zu treffen, kommt für die meisten auch nicht infrage. „Es ist die Wahlfreiheit, die die Attraktivität ausmacht“, sagt die Professorin.
Dem stimmt Christoph Schmidt (Name geändert) zu. Der 38-Jährige lebt mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn bei München und arbeitet seit Kurzem für den Streaming-Service eines internationalen Konzerns. „Wenn ein Arbeitgeber Flexibilität nicht erlaubt, ist das ein No-Go“, findet er. „Die Führungskräfte der alten Schule, die immer noch auf Anwesenheit bestehen, müssen sich klarmachen, dass sie den Arbeitgeber dadurch unattraktiv machen.“ Gerade an einem Standort wie München, an dem sich immer mehr amerikanische Konzerne ansiedelten, sieht er für weniger flexible Unternehmen in Zukunft ein Problem, qualifizierte Talente anzulocken.
Viele Arbeitgeber, die während der Pandemie Arbeitszeit und Arbeitsort flexibilisiert haben, sehen das ein und haben bereits angekündigt, nach Corona die Uhren nicht zurückdrehen zu wollen. „Wir leben in einer Zeit, in der Geschwindigkeit eine enorme Rolle spielt“, sagt Expertin Rump. „Um in Balance zu bleiben, ist für Beschäftigte die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben viel wichtiger geworden.“ Die Beschäftigten möchten einmal gewonnene Freiheiten beibehalten. Und angesichts des Fachkräftemangels trauen sich Menschen auf Jobsuche heute auch eher, auch im Arbeitsumfeld für ihre Ideale einzustehen.
Passende Firmenkultur gesucht
Marketing-Expertin Kristin Glöckner hat gerade ihren Traum-Arbeitgeber gefunden: Ein mittelständisches IT-Unternehmen in Hannover bietet ideale Bedingungen. Das heißt: sowohl die richtige Mischung aus Homeoffice und Bürotagen als auch eine Firmenkultur, die zu ihr passt. Derzweite Faktor war für sie bei der Jobsuche ebenfalls relevant: „Mir ist bei der Suche klar geworden, dass ich in keinem Konzern zu Hause sein kann, wo ich im Zweifel nur eine Personalnummer bin.“ Stattdessen bedeutet „zu Hause sein“ für sie, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem alle sich kennen, wo es gemeinsame Events gibt und die Mittagspausen zusammen verbracht werden. Der Mittelständler bietet ihr eine solche Kultur der Nähe. „Außerdem hatte ich sofort das Gefühl, dass es bei meinem neuen Arbeitgeber etwas lockerer zugeht. Ich wurde zum Beispiel gleich geduzt“, ergänzt Glöckner. Bei dem IT-Unternehmen, für das sie nun tätig ist, hatte sie sich nicht klassisch auf eine Stellenanzeige beworben, sondern wurde von einer Recruiterin angesprochen. Auch das empfand sie als Unterschied zu den vorherigen selbst angestoßenen Bewerbungsprozessen. „Ich kam mir nicht wie eine Bittstellerin vor, sondern es gab ein Gespräch auf Augenhöhe.“
Diese Wertschätzung war für Glöckner ein großer Pluspunkt. Aber bei allen Hoheliedern auf Ideale in Kultur und Kommunikation – eine angemessene Vergütung spielt bei der Arbeitgeberwahl für Suchende natürlich eine Rolle. Das war bei der Mutter eines zehnjährigen Sohnes auch so: „Das Finanzielle ist mir im Laufe der Jahre wichtiger geworden“, sagt sie. „Ich möchte nicht in Vollzeit arbeiten gehen und im Supermarkt trotzdem überlegen, ob ich mir den Markenjoghurt leisten kann oder nicht.“
Ein gutes Gehalt ist wichtig
Dass sie sich ihres Wertes bewusst sein darf und sich nicht darunter verkaufen sollte, hat ihr Antje Welzandt eingeschärft. Die Personalberaterin vernetzt seit 25 Jahren potenzielle Beschäftigte und Arbeitgeber miteinander und hat Glöckner bei der Jobsuche geholfen. Ihrer Erfahrung nach legen Suchende neben der Freude am und beim Arbeiten den größten Wert auf Ehrlichkeit und Transparenz. Eine schicke Employer-Branding-Broschüre reicht da lange nicht– „Sie merken sofort, wenn sich ein Unternehmen als etwas verkaufen will, das es nicht ist“, sagt Welzandt.
Eine Studie der Online-Plattform Zenjob, für die im Mai 2021 rund 1.200 Personen der Generation Z befragt wurden, bestätigt diesen Eindruck. Demnach legen junge Angestellte den größten Wert auf eine Unternehmenskultur, in der offen und ehrlich kommuniziert wird. An zweiter Stelle landet das Gehalt. In Zeiten von Social Media, meint Expertin Jutta Rump, könnten es sich Unternehmen auch gar nicht mehr leisten, mit Dingen zu werben, die dann im Arbeitsalltag gar nicht zutreffen. „Ehrlichkeit ist eine absolute Notwendigkeit, weil sonst die Arbeitgebermarke beschädigt wird. Wer nicht ehrlich ist, handelt grob fahrlässig.“ Plattformen wie Linkedin, Xing oder Kununu machten Fehltritte sofort transparent und schreckten Jobsuchende dann womöglich ab.
Doch die informieren sich nicht nur dort über potenzielle Arbeitgeber. „Ich spreche auch direkt Beschäftigte an, die bei dem Unternehmen eine ähnliche Position haben, wie ich sie hätte, um vertraulich ihre Einschätzung zu bekommen“, sagt Peter Rummel. Der 53-Jährige aus der Nähe von München ist gerade auf der Suche nach einem neuen Job im höheren Management. Er hat die Erfahrung gemacht: „Wenn die Firma gut ist, haben die Angestellten in der Regel kein Problem, darüber zu sprechen.“
Konzepte nach Lebensphasen
Auch für Rummel zeigt sich der ideale Arbeitgeber flexibel, was den Arbeitsort und die Arbeitszeit betrifft. „Ich möchte mich neben meinem Job um meine Mutter kümmern können“, sagt er. Dass sein Arbeitgeber Konzepte für solche Lebensphasen anbietet, gehört für ihn wie auch für die meisten jungen Eltern zum Idealbild dazu. Für Rummel hat sich dieses Bild aufgrund seiner Familiensituation im Laufe des Berufslebens verschoben. „In jungen Jahren war mir die Arbeit sehr wichtig. Heute ist mir mein Job immer noch wichtig, aber die Familie geht vor.“
Für Christoph Schmidt hatte seine Familiengründung weniger Einfluss auf die Prioritäten. „Am ehesten hat sie finanziell eine Rolle gespielt, weil ich für meine Familie gut verdienen will“, erzählt er. Das war dem 38-Jährigen wichtiger, als seinen Traumjob auszuüben. Der wäre ohnehin ein völlig anderer gewesen, „vielleicht eher Koch oder Bergführer“, wie er sagt. Er sieht seine Arbeit pragmatisch, seinen Sinn sucht er woanders. „Ich bin gut darin, was ich mache, und es ist mir wichtig, dass ich sehr gut verdiene“, sagt er. Sein Gehalt ermöglicht es ihm, sich private Wünsche zu erfüllen, zu reisen, sich schön einzurichten und seinen Kindern etwas zu ermöglichen. Abhängig von solchen persönlichen Zielen, Stärken und Talenten und der beruflichen und privaten Lebensplanung, erklärt Jutta Rump, sehe der ideale Arbeitgeber heute immer noch für jeden ein bisschen anders aus. Auch, was für ein Typ Mensch man ist, sei entscheidend. Ob ein Kandidat oder eine Kandidatin etwa eine Neugründung oder ein Traditionshaus ansteuere, sei Typsache: „Für ein Start-up muss man schon risikofreudig sein. Diese Mentalität bringt nicht jeder mit. Wer sich in ein etabliertes Unternehmen begibt, will Sicherheit.“ Gerade während und nach der Corona-Krise sei die Jobsicherheit ein Thema, das viele beschäftige. So ging es auch Marketing-Expertin Kristin Glöckner, als sie sich für ein etabliertes Unternehmen entschied: „Bei einem Start-up wäre mir das Risiko zu groß gewesen, dass ich als Mutter dann auf einmal ohne Einkommen dastehe“, sagt sie.
Gemeinsam haben die für diesen Beitrag befragten Kandidaten und Bewerberinnen, dass sie lieber länger nach dem idealen Arbeitgeber suchen, als eine Stelle zuzusagen, die nur teilweise ihren Vorstellungen entspricht. Dieses Phänomen beobachtet auch Antje Welzandt. „Die Leute schauen inzwischen viel mehr darauf, wie der Job zu ihrem Leben passt, als dass sie ihr Leben für den Job aufgeben“, sagt die Personalberaterin. Jungen Berufstätigen dient die Elterngeneration dabei oft als ein Spiegel: Sie wollten oft nicht mehr so weit weg von ihrer Familie sein. Es geht ihnen mehr um Sinnhaftigkeit und sie wählen ihre Jobs selektiver und selbstbewusster aus. Sinn und Zeitsouveränität, so sieht es auch Rump, seien die beiden neuen Währungen, die in der Arbeitswelt zum Gehalt dazugekommen seien. Das bestätigt die Zenjob-Studie, der zufolge sich 83 Prozent der Befragten aus der Generation Z ihre Zeit selbst einteilen können wollen.
Daneben sei es Jobinteressierten wichtig, sich entsprechend ihrer Stärken und Talente im Unternehmen weiterentwickeln zu können sowie Freude an der Arbeit zu haben, meint Expertin Jutta Rump. Die, ist sich Marketing-Managerin Kristin Glöckner sicher, wird sie nach ihrer sorgfältigen Suche bei ihrem neuen Arbeitgeber auf jeden Fall finden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Ideale. Das Heft können Sie hier bestellen.