„Wir hatten eigentlich mit mehr Gegenwind gerechnet“

Employer Branding

Die Verkehrsbetriebe Zürich wollen mehr Frauen für den Quereinstieg als Tramführerin begeistern. Jörg Buckmann ist dort Leiter des Personalmanagements und spricht im Interview über die aktuelle Kampagne, die besonderen Qualifikationen von Verkäuferinnen und konservative Personaler.

Herr Buckmann, warum ist Tramführer ein Beruf für Quereinsteiger?
Es ist kein klassischer Lehrberuf. Unsere Tramführer sind daher alle Quereinsteiger, die bei uns eine zweimonatige Ausbildung machen, bevor sie im Straßenverkehr eingesetzt werden.

In der aktuellen Kampagne der Verkehrsbetriebe Zürich, die im Mai und Juni geschaltet wurde, sprechen Sie Frauen aus anderen Branchen wie dem Dienstleistungssektor und der Gastronomie gezielt an und wollen Sie für das Tramcockpit gewinnen. Warum?
Frauen suchen wir deshalb, weil es da ein riesiges ungenutztes Potenzial gibt. Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sind rund 47 Prozent Frauen, bei uns sitzt aber nur in jedem vierten Cockpit eine Tramführerin. Das bedeutet, dass wir da die Möglichkeiten bisher nur unzureichend genutzt haben. Außerdem meine ich, dass es einer Firma wie der unsrigen – mehr als die Hälfte unserer Kunden sind Frauen – gut ansteht, wenn wir mehr Frauen beschäftigen. Es geht aber auch darum, durchmischte Teams zu fördern. Denn die sind letztendlich produktiver, das ist mittlerweile klar bewiesen.

Worum geht es genau bei der Kampagne?
Wir haben die Kampagne so konzipiert, dass sie im doppelten Sinne zielgruppenfokussiert ist. Einerseits, weil wir nur auf Frauen abzielen und andererseits, weil wir ganz bestimmte Branchen und Berufsgruppen in den Fokus rücken. Das sind die Gastronomie, der Verkauf und persönliche Dienstleistungen wie Friseurinnen, Kosmetikerinnen oder Fußreflexzonenmasseurinnen. Durch Inserate, Kinowerbung, Online-Anzeigen und Radiospots sprechen wir die Frauen, die wir gern als Quereinsteigerinnen zu uns lotsen wollen, ganz direkt an. Zum Beispiel durch die Slogans „Die VBZ suchen aufgeweckte Bäckerinnen“ oder „Die VBZ sucht flinke Kellnerinnen“. Und dadurch, dass wir als Unternehmen bekannt sind und jeder weiß, dass wir sicher keine Bäckerinnen oder Kellnerinnen suchen, gelingt es mit ganz wenigen Worten, einen Verblüffungs- und Aufmerksamkeitseffekt zu erzielen. Damit spielen wir.

Warum suchen Sie mit Ihren Kampagnenmotiven insbesondere Friseurinnen, Bäckerinnen oder Kellnerinnen?
Zum Beruf des Tramfahrers gehört Schichtarbeit. Die ist nun einmal nicht wahnsinnig beliebt und es ist für Menschen, die das noch nie gemacht haben, nur ziemlich schwer vorstellbar, was das wirklich bedeutet. Mitarbeiterinnen, die aus den Branchen kommen, die wir mit der Kampagne gezielt ansprechen, haben damit meist schon Erfahrung. Und wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die bereits in Schichtarbeit tätig waren, überdurchschnittlich einfach den Einstieg bei uns geschafft haben.
Ein zweiter wichtiger Aspekt ist der Umgang mit Kunden. Leuten in der Gastronomie oder dem Dienstleistungssektor muss man nicht lange erzählen was Kundendienst ist. Als Tramführer ist man eingeschlossen und hat seine Ruhe, mag man meinen. Das täuscht. Die Kollegen werden doch relativ häufig angesprochen und müssen Auskunft geben, auch während der Fahrt. Aus diesem Grund ist das für uns ein ganz wichtiger Aspekt.
Daher haben wir uns auf diese Branchen und Berufe konzentriert und die sind ja tatsächlich zumeist typische Frauenberufe. Das hilft uns, da kommunikativ anzusetzen.

Und es gab keine kritischen Stimmen oder Ärger, etwa, weil sich Männer vernachlässigt fühlen durch Ihre Kampagne?
(lacht) Stimmt, da gibt es eine ganze Palette möglicher Punkte. Von den Männern haben wir eigentlich mit mehr Gegenwind gerechnet. Es gibt ja auch Männergruppen in der Schweiz, die relativ antifeministische Parolen von sich geben. Aber es kamen nur drei, vier Leserbriefe, wir waren überrascht, dass die das doch so sportlich genommen haben. Wir hätten uns fast gewünscht, dass sie etwas aktiver sind, das hätte uns noch etwas mehr PR gegeben.

Bewerben sich die Männer denn auch noch?
Absolut. Es ist noch immer so, dass 70 Prozent der Bewerbungen von Männern kommen. Das ist auch das Schöne an der Kampagne. Obwohl wir so fokussiert auf einzelne Zielgruppen sind, kommen die Bewerbungen der Männer trotzdem.

Wie haben denn die Branchen, aus denen Sie die zukünftigen Tramfahrerinnen rekrutieren wollen, reagiert? Erfreut waren die sicher nicht über die Kampagne.
Branchenverbände sind gar nicht bei uns vorstellig geworden. Aber wir hätten auch noch ein paar Ideen, die die Branchenverbände dann stärker provozieren würden: Zum Beispiel eine gezielte Plakatkampagne, wo wir Coiffeusen genau vor Coiffeurstudios ansprechen würden oder Kellnerinnen und Köchinnen vor Gastronomiebetrieben. Oder Inserate in Branchenzeitschriften, da haben wir ein paar ganz freche Texte.

Davon haben Sie aber Abstand genommen?
Das ist noch in der Schublade. Und zwar aus erfreulichem Grund: Es war schlicht nicht nötig. Die Kampagne ist auch so eingeschlagen und hat gewirkt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dann der ein oder andere Branchenverband sagen würde, „Mensch jetzt reicht’s aber“.
Aber wir haben es ja nicht darauf angelegt, andere Arbeitgeber zu provozieren. Und ich glaube man muss schon bei einem städtischen Verkehrsunternehmen, was zu einem Großteil von Steuern lebt, ein bisschen eine andere Haltung berücksichtigen. Das kommt auch dazu. Aber das, was wir jetzt gemacht haben, das ist frisch und das kommt schon sehr gut an.

Die Frauen honorieren also Ihre Bemühungen?
Die Kampagne hat genial eingeschlagen. Die Anzahl der Bewerbungen hat generell enorm zugenommen und der Anteil an Frauen darunter ist wieder auf 30 Prozent angestiegen – der war zwischen der ersten ähnlich konzipierten Kampagne aus dem letzten Jahr und der zweiten im Mai und Juni diesen Jahres wieder auf 20 Prozent abgesackt. Davor hatten wir nur 16 Prozent weibliche Bewerbungen. Und bei den Anstellungen erwarte ich auch wieder einen positiven Effekt, bei der Vorjahreskampagne war es auch so, dass wir den Anteil der Frauen bei den Anstellungen auf 40 Prozent steigern konnten.
Es wirkt also wirklich. Und zwar ohne dass man eine Zwangsquote einführen würde. Ich will jetzt nicht von den VBZ auf andere schließen, aber wenn ich mich so umschaue, sind mir sehr wenige gute Kampagnen bekannt, mit denen man versucht, mehr Frauen in die Firmen zu bekommen, ohne dass man mit diesem Zwangsinstrument der Quote operiert.

Das liegt doch bestimmt – zumindest in Deutschland – auch am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Da sind die Personaler doch bestimmt vorsichtig mit so einer Kampagne.
Das ist die typische HR-Antwort. Denn es wäre auch in Deutschland erlaubt, solche Kampagnen zu machen. Die Personaler sind halt tendenziell eher konservativ und zurückhaltend und nennen dann wissentlich oder unwissentlich dieses Gleichstellungsgesetz als Ausrede. Aber ich habe ein Statement von einem Anwalt, der sagt: Solange man nachweisen kann, dass man auch Männer einstellt und im Auswahlverfahren nicht diskriminiert, spricht nichts dagegen, dass man Frauen stärker anspricht. Das wäre auch in Deutschland möglich. Ein Beispiel dafür ist ja das Modellprogramm „Mehr Männer in Kitas“ mit der Kampagne in Hamburg.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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